Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

der Lilie (Unschuld und Reinheit), der Cypresse (Hoheit und Grösse), der Eiche (Festigkeit) u. s. f. vergleichen; später und bald aber wird die blos symbolische Bedeutung auch hier vergessen und nun sind Götter und Menschen wirkliche Pflanzen und Thiere, aber verzauberte, verwünschte und bestrafte, welche der Erlösung harren und hoffen. Nehmen die Fylgien, welche in der christlichen Zeit in den Sagen vielfach zu Engeln umgestaltet worden sind, nicht die Thierbildung an, so erscheinen sie bald als hehre Frauen (die christliche Maria), bald ganz in derselben Gestalt wie der Mensch selbst. In Belgien sagt man: "Wenn ein Kind auf der Erde fällt, fällt ein Engel im Himmel mit." Verliessen die Seelen den Aufenthalt bei der Göttin Holda, Hrosa, Gode, den Wolkenhimmel, den Kindsbrunnen, die himmlische Kinderwiese und den himmlischen Kindergarten, musste entschieden werden, ob sie in einen menschlichen Körper hinabsteigen sollen, oder ob ihnen mit Bewahrung der Geistigkeit der Beruf eines Schutzgeistes zukommen solle, was noch heute in deutschen Kinderspielen dargestellt wird und worüber die schönen Ausführungen und Sammlungen von Mannhardt in ihrem ganzen Umfange nachgelesen zu werden verdienen. Das neugeborne Kind galt, so lange es die heidnische Wassertaufe, mit welcher die Namengebung verbunden war, noch nicht empfangen oder noch keine menschliche Speise genossen hatte, als Seele. Der menschliche, sowie jeder andere Körper wurde als ein Gewand gedacht, das die Seele anzieht (leihham, altn. likhamr). Das Band zwischen der Seele und dem Leibe war so lange los, bis es durch ein von den Schicksalsjungfrauen oder der höchsten Göttin gesponnenes Seil oder einen Ring, der in unseren Sagen besonders lebhaft unter der Benennung Schwanring in Erinnerung blieb, gefestigt wurde. Mehrere Spuren verrathen, dass man dieses Schicksalsseil erst während der Wasserbegiessung gefertigt wähnte. Auch der Genuss irdischer Speise raubt der Seele die rein geistige Natur und band sie in die Körperwelt.

Bei den Griechen1) lehrte schon Hesiod das Dasein

1) Vergl. besonders Welker, griech. Götterlehre, I. S. 731 ff., über die Dämonen, erste und zweite, ober- und unterirdische Wächter; Preller, Demeter und Persephone, S. 222 ff.; Wachsrauth, die Ansichten der Stoiker über Mantik und Dämonen. Berlin 1860.

der Lilie (Unschuld und Reinheit), der Cypresse (Hoheit und Grösse), der Eiche (Festigkeit) u. s. f. vergleichen; später und bald aber wird die blos symbolische Bedeutung auch hier vergessen und nun sind Götter und Menschen wirkliche Pflanzen und Thiere, aber verzauberte, verwünschte und bestrafte, welche der Erlösung harren und hoffen. Nehmen die Fylgien, welche in der christlichen Zeit in den Sagen vielfach zu Engeln umgestaltet worden sind, nicht die Thierbildung an, so erscheinen sie bald als hehre Frauen (die christliche Maria), bald ganz in derselben Gestalt wie der Mensch selbst. In Belgien sagt man: „Wenn ein Kind auf der Erde fällt, fällt ein Engel im Himmel mit.“ Verliessen die Seelen den Aufenthalt bei der Göttin Holda, Hrôsa, Gôde, den Wolkenhimmel, den Kindsbrunnen, die himmlische Kinderwiese und den himmlischen Kindergarten, musste entschieden werden, ob sie in einen menschlichen Körper hinabsteigen sollen, oder ob ihnen mit Bewahrung der Geistigkeit der Beruf eines Schutzgeistes zukommen solle, was noch heute in deutschen Kinderspielen dargestellt wird und worüber die schönen Ausführungen und Sammlungen von Mannhardt in ihrem ganzen Umfange nachgelesen zu werden verdienen. Das neugeborne Kind galt, so lange es die heidnische Wassertaufe, mit welcher die Namengebung verbunden war, noch nicht empfangen oder noch keine menschliche Speise genossen hatte, als Seele. Der menschliche, sowie jeder andere Körper wurde als ein Gewand gedacht, das die Seele anzieht (lîhham, altn. likhamr). Das Band zwischen der Seele und dem Leibe war so lange los, bis es durch ein von den Schicksalsjungfrauen oder der höchsten Göttin gesponnenes Seil oder einen Ring, der in unseren Sagen besonders lebhaft unter der Benennung Schwanring in Erinnerung blieb, gefestigt wurde. Mehrere Spuren verrathen, dass man dieses Schicksalsseil erst während der Wasserbegiessung gefertigt wähnte. Auch der Genuss irdischer Speise raubt der Seele die rein geistige Natur und band sie in die Körperwelt.

Bei den Griechen1) lehrte schon Hesiod das Dasein

1) Vergl. besonders Welker, griech. Götterlehre, I. S. 731 ff., über die Dämonen, erste und zweite, ober- und unterirdische Wächter; Preller, Demeter und Persephone, S. 222 ff.; Wachsrauth, die Ansichten der Stoiker über Mantik und Dämonen. Berlin 1860.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0609" n="593"/>
der Lilie (Unschuld und Reinheit), der Cypresse (Hoheit und
 Grösse), der Eiche (Festigkeit) u. s. f. vergleichen; später und bald aber wird die blos symbolische
 Bedeutung auch hier vergessen und nun sind Götter und Menschen wirkliche Pflanzen und Thiere, aber
 verzauberte, verwünschte und bestrafte, welche der Erlösung harren und hoffen. Nehmen die Fylgien,
 welche in der christlichen Zeit in den Sagen vielfach zu Engeln umgestaltet worden sind, nicht die
 Thierbildung an, so erscheinen sie bald als hehre Frauen (die christliche Maria), bald ganz in
 derselben Gestalt wie der Mensch selbst. In Belgien sagt man: &#x201E;Wenn ein Kind auf der Erde fällt,
 fällt ein Engel im Himmel mit.&#x201C; Verliessen die Seelen den Aufenthalt bei der Göttin Holda, Hrôsa,
 Gôde, den Wolkenhimmel, den Kindsbrunnen, die himmlische Kinderwiese und den himmlischen
 Kindergarten, musste entschieden werden, ob sie in einen menschlichen Körper hinabsteigen sollen,
 oder ob ihnen mit Bewahrung der Geistigkeit der Beruf eines Schutzgeistes zukommen solle, was noch
 heute in deutschen Kinderspielen dargestellt wird und worüber die schönen Ausführungen und
 Sammlungen von Mannhardt in ihrem ganzen Umfange nachgelesen zu werden verdienen. Das neugeborne
 Kind galt, so lange es die heidnische Wassertaufe, mit welcher die Namengebung verbunden war, noch
 nicht empfangen oder noch keine menschliche Speise genossen hatte, als Seele. Der menschliche, sowie
 jeder andere Körper wurde als ein Gewand gedacht, das die Seele anzieht (lîhham, altn. likhamr). Das
 Band zwischen der Seele und dem Leibe war so lange los, bis es durch ein von den
 Schicksalsjungfrauen oder der höchsten Göttin gesponnenes Seil oder einen Ring, der in unseren Sagen
 besonders lebhaft unter der Benennung Schwanring in Erinnerung blieb, gefestigt wurde. Mehrere
 Spuren verrathen, dass man dieses Schicksalsseil erst während der Wasserbegiessung gefertigt wähnte.
 Auch der Genuss irdischer Speise raubt der Seele die rein geistige Natur und band sie in die
 Körperwelt.</p>
        <p> Bei den Griechen<note place="foot" n="1)">Vergl. besonders Welker, griech. Götterlehre, I. S.
 731 ff., über die Dämonen, erste und zweite, ober- und unterirdische Wächter; Preller, Demeter und
 Persephone, S. 222 ff.; Wachsrauth, die Ansichten der Stoiker über Mantik und Dämonen. Berlin 1860.
 </note> lehrte schon Hesiod das Dasein
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[593/0609] der Lilie (Unschuld und Reinheit), der Cypresse (Hoheit und Grösse), der Eiche (Festigkeit) u. s. f. vergleichen; später und bald aber wird die blos symbolische Bedeutung auch hier vergessen und nun sind Götter und Menschen wirkliche Pflanzen und Thiere, aber verzauberte, verwünschte und bestrafte, welche der Erlösung harren und hoffen. Nehmen die Fylgien, welche in der christlichen Zeit in den Sagen vielfach zu Engeln umgestaltet worden sind, nicht die Thierbildung an, so erscheinen sie bald als hehre Frauen (die christliche Maria), bald ganz in derselben Gestalt wie der Mensch selbst. In Belgien sagt man: „Wenn ein Kind auf der Erde fällt, fällt ein Engel im Himmel mit.“ Verliessen die Seelen den Aufenthalt bei der Göttin Holda, Hrôsa, Gôde, den Wolkenhimmel, den Kindsbrunnen, die himmlische Kinderwiese und den himmlischen Kindergarten, musste entschieden werden, ob sie in einen menschlichen Körper hinabsteigen sollen, oder ob ihnen mit Bewahrung der Geistigkeit der Beruf eines Schutzgeistes zukommen solle, was noch heute in deutschen Kinderspielen dargestellt wird und worüber die schönen Ausführungen und Sammlungen von Mannhardt in ihrem ganzen Umfange nachgelesen zu werden verdienen. Das neugeborne Kind galt, so lange es die heidnische Wassertaufe, mit welcher die Namengebung verbunden war, noch nicht empfangen oder noch keine menschliche Speise genossen hatte, als Seele. Der menschliche, sowie jeder andere Körper wurde als ein Gewand gedacht, das die Seele anzieht (lîhham, altn. likhamr). Das Band zwischen der Seele und dem Leibe war so lange los, bis es durch ein von den Schicksalsjungfrauen oder der höchsten Göttin gesponnenes Seil oder einen Ring, der in unseren Sagen besonders lebhaft unter der Benennung Schwanring in Erinnerung blieb, gefestigt wurde. Mehrere Spuren verrathen, dass man dieses Schicksalsseil erst während der Wasserbegiessung gefertigt wähnte. Auch der Genuss irdischer Speise raubt der Seele die rein geistige Natur und band sie in die Körperwelt. Bei den Griechen 1) lehrte schon Hesiod das Dasein 1) Vergl. besonders Welker, griech. Götterlehre, I. S. 731 ff., über die Dämonen, erste und zweite, ober- und unterirdische Wächter; Preller, Demeter und Persephone, S. 222 ff.; Wachsrauth, die Ansichten der Stoiker über Mantik und Dämonen. Berlin 1860.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Internetloge: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-14T13:44:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-14T13:44:32Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-08-14T13:44:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/609
Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/609>, abgerufen am 18.05.2024.