Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.Gott, die strafende Gerechtigkeit, die Nemesis walte und ihr Arm uns erreichen werde, sollten wir uns auch jenseits des Grabes flüchten; und wenn hier die Frevler entronnen selber und nicht sie ereilt nahend der Götter Geschick, kommt es nach Solons Verheissung zuletzt dennoch, und unvergoltene Thaten büssen die Kinder dann oder ein später Geschlecht. Dass es Jedem ergeht, nach dem er verdient, und kein Unrecht unvergolten bleibt, dieses Bewusstsein aller Menschen, der Guten wie der Bösen, nennen wir das Gewissen und die unausbleibliche Erfüllung dieses jedem Menschen verkündeten Gesetzes ist die allwaltende Strafgerechtigkeit Gottes, das Weltgericht, dem die Menschen und die Völker gleichmässig unterworfen sind. Die Erinnerung an den göttlichen Weltrichter weckten den Griechen nicht allein die erhabenen Tragödieen eines. Aeschylos und Sophokles, sondern auch die gleich erhabenen Werke der bildenden Kunst, wie z. B. die berühmten Gruppen der Niobe und des Laohoon; wer könnte diese Gruppen erschauen, ohne die Strafe der Götter zu fürchten? Am schönsten aber bewährte sich dem ganzen griechischen Volke die Nemesis darin, dass aus dem riesigen Bloeke persischen Marmors bei Rhamnus, dritthalb Stunden von Marathon, welchen (so hiess es) die übermüthigen Perser zum Siegesdenkmale über die Griechen bestimmt hatten, Phidias die Bildsäule der göttlichen Nemesis selbst anfertigen konnte, deren ernste Gestalt und Gebehrde den Griechen zurief: "Werdet nicht übermüthig! Gott allein gebührt die Ehre!" Wenn nun die Maurerei das Winkelmass als erstes und höchstes Symbol dem Gesellen darreicht, mahnt sie ihn an die göttliche Gerechtigkeit, die sittliche Weltordnung, das Sittengesetz, wie es schon die Griechen gelehrt haben und weshalb bei ihnen die Nemesis das Mass und das Richtscheit trug, woran dem Guten der Lohn und dem Bösen die Strafe, einem Jeden das Verdiente zugemessen werden sollte. Deshalb ist auch das maurerische Symbol des Winkelmasses, mit Allem, was sich daran anschliesset, unbestreitbar ägyptisch-griechischen Ursprunges. Das Mass ist das Gesetz der Menschheit und jedes einzelnen Menschen; das rechte Mass schaffet allein das Gute und das Gott, die strafende Gerechtigkeit, die Nemesis walte und ihr Arm uns erreichen werde, sollten wir uns auch jenseits des Grabes flüchten; und wenn hier die Frevler entronnen selber und nicht sie ereilt nahend der Götter Geschick, kommt es nach Solons Verheissung zuletzt dennoch, und unvergoltene Thaten büssen die Kinder dann oder ein später Geschlecht. Dass es Jedem ergeht, nach dem er verdient, und kein Unrecht unvergolten bleibt, dieses Bewusstsein aller Menschen, der Guten wie der Bösen, nennen wir das Gewissen und die unausbleibliche Erfüllung dieses jedem Menschen verkündeten Gesetzes ist die allwaltende Strafgerechtigkeit Gottes, das Weltgericht, dem die Menschen und die Völker gleichmässig unterworfen sind. Die Erinnerung an den göttlichen Weltrichter weckten den Griechen nicht allein die erhabenen Tragödieen eines. Aeschylos und Sophokles, sondern auch die gleich erhabenen Werke der bildenden Kunst, wie z. B. die berühmten Gruppen der Niobe und des Laohoon; wer könnte diese Gruppen erschauen, ohne die Strafe der Götter zu fürchten? Am schönsten aber bewährte sich dem ganzen griechischen Volke die Nemesis darin, dass aus dem riesigen Bloeke persischen Marmors bei Rhamnus, dritthalb Stunden von Marathon, welchen (so hiess es) die übermüthigen Perser zum Siegesdenkmale über die Griechen bestimmt hatten, Phidias die Bildsäule der göttlichen Nemesis selbst anfertigen konnte, deren ernste Gestalt und Gebehrde den Griechen zurief: „Werdet nicht übermüthig! Gott allein gebührt die Ehre!“ Wenn nun die Maurerei das Winkelmass als erstes und höchstes Symbol dem Gesellen darreicht, mahnt sie ihn an die göttliche Gerechtigkeit, die sittliche Weltordnung, das Sittengesetz, wie es schon die Griechen gelehrt haben und weshalb bei ihnen die Nemesis das Mass und das Richtscheit trug, woran dem Guten der Lohn und dem Bösen die Strafe, einem Jeden das Verdiente zugemessen werden sollte. Deshalb ist auch das maurerische Symbol des Winkelmasses, mit Allem, was sich daran anschliesset, unbestreitbar ägyptisch-griechischen Ursprunges. Das Mass ist das Gesetz der Menschheit und jedes einzelnen Menschen; das rechte Mass schaffet allein das Gute und das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0407" n="391"/> Gott, die strafende Gerechtigkeit, die Nemesis walte und ihr Arm uns erreichen werde, sollten wir uns auch jenseits des Grabes flüchten; und wenn hier die Frevler entronnen selber und nicht sie ereilt nahend der Götter Geschick, kommt es nach Solons Verheissung zuletzt dennoch, und unvergoltene Thaten büssen die Kinder dann oder ein später Geschlecht. Dass es Jedem ergeht, nach dem er verdient, und kein Unrecht unvergolten bleibt, dieses Bewusstsein aller Menschen, der Guten wie der Bösen, nennen wir das Gewissen und die unausbleibliche Erfüllung dieses jedem Menschen verkündeten Gesetzes ist die allwaltende Strafgerechtigkeit Gottes, das Weltgericht, dem die Menschen und die Völker gleichmässig unterworfen sind. Die Erinnerung an den göttlichen Weltrichter weckten den Griechen nicht allein die erhabenen Tragödieen eines. Aeschylos und Sophokles, sondern auch die gleich erhabenen Werke der bildenden Kunst, wie z. B. die berühmten Gruppen der Niobe und des Laohoon; wer könnte diese Gruppen erschauen, ohne die Strafe der Götter zu fürchten? Am schönsten aber bewährte sich dem ganzen griechischen Volke die Nemesis darin, dass aus dem riesigen Bloeke persischen Marmors bei Rhamnus, dritthalb Stunden von Marathon, welchen (so hiess es) die übermüthigen Perser zum Siegesdenkmale über die Griechen bestimmt hatten, Phidias die Bildsäule der göttlichen Nemesis selbst anfertigen konnte, deren ernste Gestalt und Gebehrde den Griechen zurief: „Werdet nicht übermüthig! 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Gott, die strafende Gerechtigkeit, die Nemesis walte und ihr Arm uns erreichen werde, sollten wir uns auch jenseits des Grabes flüchten; und wenn hier die Frevler entronnen selber und nicht sie ereilt nahend der Götter Geschick, kommt es nach Solons Verheissung zuletzt dennoch, und unvergoltene Thaten büssen die Kinder dann oder ein später Geschlecht. Dass es Jedem ergeht, nach dem er verdient, und kein Unrecht unvergolten bleibt, dieses Bewusstsein aller Menschen, der Guten wie der Bösen, nennen wir das Gewissen und die unausbleibliche Erfüllung dieses jedem Menschen verkündeten Gesetzes ist die allwaltende Strafgerechtigkeit Gottes, das Weltgericht, dem die Menschen und die Völker gleichmässig unterworfen sind. Die Erinnerung an den göttlichen Weltrichter weckten den Griechen nicht allein die erhabenen Tragödieen eines. Aeschylos und Sophokles, sondern auch die gleich erhabenen Werke der bildenden Kunst, wie z. B. die berühmten Gruppen der Niobe und des Laohoon; wer könnte diese Gruppen erschauen, ohne die Strafe der Götter zu fürchten? Am schönsten aber bewährte sich dem ganzen griechischen Volke die Nemesis darin, dass aus dem riesigen Bloeke persischen Marmors bei Rhamnus, dritthalb Stunden von Marathon, welchen (so hiess es) die übermüthigen Perser zum Siegesdenkmale über die Griechen bestimmt hatten, Phidias die Bildsäule der göttlichen Nemesis selbst anfertigen konnte, deren ernste Gestalt und Gebehrde den Griechen zurief: „Werdet nicht übermüthig! Gott allein gebührt die Ehre!“
Wenn nun die Maurerei das Winkelmass als erstes und höchstes Symbol dem Gesellen darreicht, mahnt sie ihn an die göttliche Gerechtigkeit, die sittliche Weltordnung, das Sittengesetz, wie es schon die Griechen gelehrt haben und weshalb bei ihnen die Nemesis das Mass und das Richtscheit trug, woran dem Guten der Lohn und dem Bösen die Strafe, einem Jeden das Verdiente zugemessen werden sollte. Deshalb ist auch das maurerische Symbol des Winkelmasses, mit Allem, was sich daran anschliesset, unbestreitbar ägyptisch-griechischen Ursprunges. Das Mass ist das Gesetz der Menschheit und jedes einzelnen Menschen; das rechte Mass schaffet allein das Gute und das
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