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Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.

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ewigen Geistes.1) Hiermit eröffnet sich ein sehr weiter und tiefer Anschauungskreis für die Bedeutung des heiligen Wortes. Das heilige Wort, der göttliche Geist und Gedanke, der ewige Logos, steigt zur Menschheit herab, wird als Mensch geboren, um sich selbst in Wort und Schrift zu verkünden und zu offenbaren. Es ist dieses nur der mythische oder mythologische Ausdruck des Glaubens, dass der menschliche Geist aus dem göttlichen stamme und in der Menschheit und in ihrer Geschichte die Gottheit zeitlich und räumlich sei und sich offenbare. Das parsische menschgeborne göttliche Wort hom oder Homanes ist der Christus Johannes des Evangelisten, welcher auch das Wort und den Geist Gottes mündlich verkündigte, lehrte und predigte. Dass nach der parsischen Lehre das heilige Wort zuerst mündlich und weniger vollkommen durch Hom und dann schriftlich und vollkommener durch Zarathustra verkündet wurde, enthält die Andeutung der einfachen geschichtlichen Thatsache, dass alle Religionslehre, jede göttliche Offenbarung in der Menschheit und durch dieselbe zuerst nur durch das Wort, durch die Tradition fortgetragen und erst später nach dem Aufkommen der Schrift aufgezeichnet worden sei. Mit den heiligen Schriften, mit der Niederschreibung des Wortes Gottes, d. h. Dessen, was der Mensch als solches in sich zu vernehmen glaubt, schliesst gleichsam die religiöse Entwickelung, der bis dahin freie Gottglaube ab, weil nun diesem die Schrift der geschriebene Buchstabe, das gegebene göttliche Gesetz, die 10 Tafeln überall hemmend und bannend entgegentreten und die Schrift nur noch ausgelegt, erläutert und commentirt werden kann und darf, wie wir dieses auf eine höchst belehrende und merkwürdige Weise bei dem Zendvolke an dem Avesta, bei den brahmanischen Indern an den Veden und bei den Buddhisten an ihrem Gesetze (dharma), am allermeisten aber bei den Christen bezüglich der Bibel ersehen können. So lange das geschriebene Religionsgesetz besteht und gilt, bestehen alle religiösen Bewegungen und Fortschritte blos in den

1) Rhode, die heilige Sage des Zendvolkes, S. 114. ff. vergl. mit S. 131; Röth, a. a. O., I. S. 422.

ewigen Geistes.1) Hiermit eröffnet sich ein sehr weiter und tiefer Anschauungskreis für die Bedeutung des heiligen Wortes. Das heilige Wort, der göttliche Geist und Gedanke, der ewige Logos, steigt zur Menschheit herab, wird als Mensch geboren, um sich selbst in Wort und Schrift zu verkünden und zu offenbaren. Es ist dieses nur der mythische oder mythologische Ausdruck des Glaubens, dass der menschliche Geist aus dem göttlichen stamme und in der Menschheit und in ihrer Geschichte die Gottheit zeitlich und räumlich sei und sich offenbare. Das parsische menschgeborne göttliche Wort hom oder Homanes ist der Christus Johannes des Evangelisten, welcher auch das Wort und den Geist Gottes mündlich verkündigte, lehrte und predigte. Dass nach der parsischen Lehre das heilige Wort zuerst mündlich und weniger vollkommen durch Hom und dann schriftlich und vollkommener durch Zarathustra verkündet wurde, enthält die Andeutung der einfachen geschichtlichen Thatsache, dass alle Religionslehre, jede göttliche Offenbarung in der Menschheit und durch dieselbe zuerst nur durch das Wort, durch die Tradition fortgetragen und erst später nach dem Aufkommen der Schrift aufgezeichnet worden sei. Mit den heiligen Schriften, mit der Niederschreibung des Wortes Gottes, d. h. Dessen, was der Mensch als solches in sich zu vernehmen glaubt, schliesst gleichsam die religiöse Entwickelung, der bis dahin freie Gottglaube ab, weil nun diesem die Schrift der geschriebene Buchstabe, das gegebene göttliche Gesetz, die 10 Tafeln überall hemmend und bannend entgegentreten und die Schrift nur noch ausgelegt, erläutert und commentirt werden kann und darf, wie wir dieses auf eine höchst belehrende und merkwürdige Weise bei dem Zendvolke an dem Avesta, bei den brahmanischen Indern an den Veden und bei den Buddhisten an ihrem Gesetze (dharma), am allermeisten aber bei den Christen bezüglich der Bibel ersehen können. So lange das geschriebene Religionsgesetz besteht und gilt, bestehen alle religiösen Bewegungen und Fortschritte blos in den

1) Rhode, die heilige Sage des Zendvolkes, S. 114. ff. vergl. mit S. 131; Röth, a. a. O., I. S. 422.
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 Wort und Schrift zu verkünden und zu offenbaren. Es ist dieses nur der mythische oder mythologische
 Ausdruck des Glaubens, dass der menschliche Geist aus dem göttlichen stamme und in der Menschheit
 und in ihrer Geschichte die Gottheit zeitlich und räumlich sei und sich offenbare. Das parsische
 menschgeborne göttliche Wort hom oder Homanes ist der Christus Johannes des Evangelisten, welcher
 auch das Wort und den Geist Gottes mündlich verkündigte, lehrte und predigte. Dass nach der
 parsischen Lehre das heilige Wort zuerst mündlich und weniger vollkommen durch Hom und dann
 schriftlich und vollkommener durch Zarathustra verkündet wurde, enthält die Andeutung der einfachen
 geschichtlichen Thatsache, dass alle Religionslehre, jede göttliche Offenbarung in der Menschheit
 und durch dieselbe zuerst nur durch das Wort, durch die Tradition fortgetragen und erst später nach
 dem Aufkommen der Schrift aufgezeichnet worden sei. Mit den heiligen Schriften, mit der
 Niederschreibung des Wortes Gottes, d. h. Dessen, was der Mensch als solches in sich zu vernehmen
 glaubt, schliesst gleichsam die religiöse Entwickelung, der bis dahin freie Gottglaube ab, weil nun
 diesem die Schrift der geschriebene Buchstabe, das gegebene göttliche Gesetz, die 10 Tafeln überall
 hemmend und bannend entgegentreten und die Schrift nur noch ausgelegt, erläutert und commentirt
 werden kann und darf, wie wir dieses auf eine höchst belehrende und merkwürdige Weise bei dem
 Zendvolke an dem Avesta, bei den brahmanischen Indern an den Veden und bei den Buddhisten an ihrem
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[308/0324] ewigen Geistes. 1) Hiermit eröffnet sich ein sehr weiter und tiefer Anschauungskreis für die Bedeutung des heiligen Wortes. Das heilige Wort, der göttliche Geist und Gedanke, der ewige Logos, steigt zur Menschheit herab, wird als Mensch geboren, um sich selbst in Wort und Schrift zu verkünden und zu offenbaren. Es ist dieses nur der mythische oder mythologische Ausdruck des Glaubens, dass der menschliche Geist aus dem göttlichen stamme und in der Menschheit und in ihrer Geschichte die Gottheit zeitlich und räumlich sei und sich offenbare. Das parsische menschgeborne göttliche Wort hom oder Homanes ist der Christus Johannes des Evangelisten, welcher auch das Wort und den Geist Gottes mündlich verkündigte, lehrte und predigte. Dass nach der parsischen Lehre das heilige Wort zuerst mündlich und weniger vollkommen durch Hom und dann schriftlich und vollkommener durch Zarathustra verkündet wurde, enthält die Andeutung der einfachen geschichtlichen Thatsache, dass alle Religionslehre, jede göttliche Offenbarung in der Menschheit und durch dieselbe zuerst nur durch das Wort, durch die Tradition fortgetragen und erst später nach dem Aufkommen der Schrift aufgezeichnet worden sei. Mit den heiligen Schriften, mit der Niederschreibung des Wortes Gottes, d. h. Dessen, was der Mensch als solches in sich zu vernehmen glaubt, schliesst gleichsam die religiöse Entwickelung, der bis dahin freie Gottglaube ab, weil nun diesem die Schrift der geschriebene Buchstabe, das gegebene göttliche Gesetz, die 10 Tafeln überall hemmend und bannend entgegentreten und die Schrift nur noch ausgelegt, erläutert und commentirt werden kann und darf, wie wir dieses auf eine höchst belehrende und merkwürdige Weise bei dem Zendvolke an dem Avesta, bei den brahmanischen Indern an den Veden und bei den Buddhisten an ihrem Gesetze (dharma), am allermeisten aber bei den Christen bezüglich der Bibel ersehen können. So lange das geschriebene Religionsgesetz besteht und gilt, bestehen alle religiösen Bewegungen und Fortschritte blos in den 1) Rhode, die heilige Sage des Zendvolkes, S. 114. ff. vergl. mit S. 131; Röth, a. a. O., I. S. 422.

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Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/324>, abgerufen am 19.05.2024.