Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 391. A. Erwerb d. Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht. (Forts.)
Unterbrechung eingeführt, so ist die eine oder die andere
Bestimmung auch auf die laufende Usucapion sofort anzu-
wenden.

4. Das neue Gesetz, welches den Zeitraum verlängert,
ist sogleich anwendbar auch auf die laufende Usucapion oder
Klagverjährung (e).

5. Schwieriger, und zugleich praktisch wichtiger, ist
die Frage bei einem neuen Gesetz, welches den Zeitraum
abkürzt. Hier müssen wir grundsätzlich dem Erwerber die
Wahl lassen, ob er das alte Gesetz anwenden will, oder
das neue; im letzten Fall aber darf er den Zeitraum erst
berechnen von dem Erlaß des neuen Gesetzes an, so daß
er die bereits abgelaufene Zeit nicht mit einrechnen darf.
Zu der ersten Wahl ist er berechtigt, weil das neue Gesetz
gewiß nicht die Absicht gehabt hat, dem Gegner einen
günstigeren Erfolg, als nach dem unveränderten alten Gesetz,
zu verschaffen; zu der zweiten Wahl, weil er kein gerin-
geres Recht haben kann, als Der, welcher in diesem Augen-
blick die Usucapion oder die Klagverjährung anfängt. Da-
gegen würde es eine ungehörige Rückwirkung seyn, wenn

(e) Im Jahre 528 ertheilte
Justinian den Kirchen das Pri-
vilegium, daß ihre Klagrechte erst
in 100 Jahren verjähren sollten.
L. 23 C. de SS. eccl. (1. 2), s.
o. B. 5 S. 355. Am Ende die-
ses Gesetzes stehen die etwas dun-
klen Worte: "Haec autem omnia
observari sancimus in iis casi-
bus, qui vel postea fuerint nati,
vel jam in judicium deducti
sunt."
Büchstäblich genommen,
gehen die letzten Worte auch auf
die Klagen, deren bisherige
(dreißigjährige) Verjährung be-
reits vor der angestellten Klage
abgelaufen war. Dann liegt da-
rin eine durch Nichts gerechtfer-
tigte Rückwirkung. Vgl. Weber
S. 7.

§. 391. A. Erwerb d. Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht. (Fortſ.)
Unterbrechung eingeführt, ſo iſt die eine oder die andere
Beſtimmung auch auf die laufende Uſucapion ſofort anzu-
wenden.

4. Das neue Geſetz, welches den Zeitraum verlängert,
iſt ſogleich anwendbar auch auf die laufende Uſucapion oder
Klagverjährung (e).

5. Schwieriger, und zugleich praktiſch wichtiger, iſt
die Frage bei einem neuen Geſetz, welches den Zeitraum
abkürzt. Hier müſſen wir grundſätzlich dem Erwerber die
Wahl laſſen, ob er das alte Geſetz anwenden will, oder
das neue; im letzten Fall aber darf er den Zeitraum erſt
berechnen von dem Erlaß des neuen Geſetzes an, ſo daß
er die bereits abgelaufene Zeit nicht mit einrechnen darf.
Zu der erſten Wahl iſt er berechtigt, weil das neue Geſetz
gewiß nicht die Abſicht gehabt hat, dem Gegner einen
günſtigeren Erfolg, als nach dem unveränderten alten Geſetz,
zu verſchaffen; zu der zweiten Wahl, weil er kein gerin-
geres Recht haben kann, als Der, welcher in dieſem Augen-
blick die Uſucapion oder die Klagverjährung anfängt. Da-
gegen würde es eine ungehörige Rückwirkung ſeyn, wenn

(e) Im Jahre 528 ertheilte
Juſtinian den Kirchen das Pri-
vilegium, daß ihre Klagrechte erſt
in 100 Jahren verjähren ſollten.
L. 23 C. de SS. eccl. (1. 2), ſ.
o. B. 5 S. 355. Am Ende die-
ſes Geſetzes ſtehen die etwas dun-
klen Worte: „Haec autem omnia
observari sancimus in iis casi-
bus, qui vel postea fuerint nati,
vel jam in judicium deducti
sunt.“
Büchſtäblich genommen,
gehen die letzten Worte auch auf
die Klagen, deren bisherige
(dreißigjährige) Verjährung be-
reits vor der angeſtellten Klage
abgelaufen war. Dann liegt da-
rin eine durch Nichts gerechtfer-
tigte Rückwirkung. Vgl. Weber
S. 7.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0453" n="431"/><fw place="top" type="header">§. 391. <hi rendition="#aq">A.</hi> Erwerb d. Rechte. Anwendungen. <hi rendition="#aq">II.</hi> Sachenrecht. (Fort&#x017F;.)</fw><lb/>
Unterbrechung eingeführt, &#x017F;o i&#x017F;t die eine oder die andere<lb/>
Be&#x017F;timmung auch auf die laufende U&#x017F;ucapion &#x017F;ofort anzu-<lb/>
wenden.</p><lb/>
            <p>4. Das neue Ge&#x017F;etz, welches den Zeitraum verlängert,<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ogleich anwendbar auch auf die laufende U&#x017F;ucapion oder<lb/>
Klagverjährung <note place="foot" n="(e)">Im Jahre 528 ertheilte<lb/><hi rendition="#g">Ju&#x017F;tinian</hi> den Kirchen das Pri-<lb/>
vilegium, daß ihre Klagrechte er&#x017F;t<lb/>
in 100 Jahren verjähren &#x017F;ollten.<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 23 <hi rendition="#i">C. de SS. eccl.</hi></hi> (1. 2), &#x017F;.<lb/>
o. B. 5 S. 355. Am Ende die-<lb/>
&#x017F;es Ge&#x017F;etzes &#x017F;tehen die etwas dun-<lb/>
klen Worte: <hi rendition="#aq">&#x201E;Haec autem omnia<lb/>
observari sancimus in iis casi-<lb/>
bus, qui vel postea fuerint nati,<lb/>
vel jam in judicium deducti<lb/>
sunt.&#x201C;</hi> Büch&#x017F;täblich genommen,<lb/>
gehen die letzten Worte auch auf<lb/>
die Klagen, deren bisherige<lb/>
(dreißigjährige) Verjährung be-<lb/>
reits vor der ange&#x017F;tellten Klage<lb/>
abgelaufen war. Dann liegt da-<lb/>
rin eine durch Nichts gerechtfer-<lb/>
tigte Rückwirkung. Vgl. <hi rendition="#g">Weber</hi><lb/>
S. 7.</note>.</p><lb/>
            <p>5. Schwieriger, und zugleich prakti&#x017F;ch wichtiger, i&#x017F;t<lb/>
die Frage bei einem neuen Ge&#x017F;etz, welches den Zeitraum<lb/>
abkürzt. Hier mü&#x017F;&#x017F;en wir grund&#x017F;ätzlich dem Erwerber die<lb/>
Wahl la&#x017F;&#x017F;en, ob er das alte Ge&#x017F;etz anwenden will, oder<lb/>
das neue; im letzten Fall aber darf er den Zeitraum er&#x017F;t<lb/>
berechnen von dem Erlaß des neuen Ge&#x017F;etzes an, &#x017F;o daß<lb/>
er die bereits abgelaufene Zeit nicht mit einrechnen darf.<lb/>
Zu der er&#x017F;ten Wahl i&#x017F;t er berechtigt, weil das neue Ge&#x017F;etz<lb/>
gewiß nicht die Ab&#x017F;icht gehabt hat, dem Gegner einen<lb/>
gün&#x017F;tigeren Erfolg, als nach dem unveränderten alten Ge&#x017F;etz,<lb/>
zu ver&#x017F;chaffen; zu der zweiten Wahl, weil er kein gerin-<lb/>
geres Recht haben kann, als Der, welcher in die&#x017F;em Augen-<lb/>
blick die U&#x017F;ucapion oder die Klagverjährung anfängt. Da-<lb/>
gegen würde es eine ungehörige Rückwirkung &#x017F;eyn, wenn<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[431/0453] §. 391. A. Erwerb d. Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht. (Fortſ.) Unterbrechung eingeführt, ſo iſt die eine oder die andere Beſtimmung auch auf die laufende Uſucapion ſofort anzu- wenden. 4. Das neue Geſetz, welches den Zeitraum verlängert, iſt ſogleich anwendbar auch auf die laufende Uſucapion oder Klagverjährung (e). 5. Schwieriger, und zugleich praktiſch wichtiger, iſt die Frage bei einem neuen Geſetz, welches den Zeitraum abkürzt. Hier müſſen wir grundſätzlich dem Erwerber die Wahl laſſen, ob er das alte Geſetz anwenden will, oder das neue; im letzten Fall aber darf er den Zeitraum erſt berechnen von dem Erlaß des neuen Geſetzes an, ſo daß er die bereits abgelaufene Zeit nicht mit einrechnen darf. Zu der erſten Wahl iſt er berechtigt, weil das neue Geſetz gewiß nicht die Abſicht gehabt hat, dem Gegner einen günſtigeren Erfolg, als nach dem unveränderten alten Geſetz, zu verſchaffen; zu der zweiten Wahl, weil er kein gerin- geres Recht haben kann, als Der, welcher in dieſem Augen- blick die Uſucapion oder die Klagverjährung anfängt. Da- gegen würde es eine ungehörige Rückwirkung ſeyn, wenn (e) Im Jahre 528 ertheilte Juſtinian den Kirchen das Pri- vilegium, daß ihre Klagrechte erſt in 100 Jahren verjähren ſollten. L. 23 C. de SS. eccl. (1. 2), ſ. o. B. 5 S. 355. Am Ende die- ſes Geſetzes ſtehen die etwas dun- klen Worte: „Haec autem omnia observari sancimus in iis casi- bus, qui vel postea fuerint nati, vel jam in judicium deducti sunt.“ Büchſtäblich genommen, gehen die letzten Worte auch auf die Klagen, deren bisherige (dreißigjährige) Verjährung be- reits vor der angeſtellten Klage abgelaufen war. Dann liegt da- rin eine durch Nichts gerechtfer- tigte Rückwirkung. Vgl. Weber S. 7.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/453
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/453>, abgerufen am 17.05.2024.