Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
gesetzt wird, so ist nicht das eben erwähnte örtliche Recht, sondern vielmehr das am Ort der angestellten Klage geltende Recht, das Recht des jetzt urtheilenden Richters, anzu- wenden (x).
Diese Ausnahme ist die bloße Folge eines sehr allge- meinen Grundsatzes über die Anwendbarkeit zwingender Ge- setze (§ 349. 372. A). Sie ist anzuwenden sowohl positiv, als negativ: das heißt, indem der Richter das für ihn gel- tende zwingende Gesetz anzuwenden hat, auch wenn es am Sitz der Obligation nicht gilt; eben so aber auch, indem er das anderwärts (am Sitz der Obligation) geltende zwin- gende Gesetz nicht anzuwenden hat, wenn es für ihn nicht als Gesetz besteht.
Die erwähnte Ausnahme kommt vor sowohl bei Ver- trägen, als bei Delicten.
Unter die Verträge dieser Art gehören die durch Wucher- gesetze verbotene. Wird also eine Zinsenschuld eingeklagt, die dem für diesen Richter geltenden Gesetz widerspricht, so muß er sie als ungültig behandeln, auch wenn am Sitz der Obligation ein gleichmäßig einschränkendes Wuchergesetz nicht vorhanden seyn mag; denn der Sinn eines solchen Gesetzes geht dahin, daß kein unter ihm lebender Richter seine Amtsgewalt zur Durchführung eines so unsittlichen, gemeinschädlichen Unternehmens, wie der wucherliche Ver- trag angesehen wird, anwenden soll. -- Eben so aber wird
(x) Damit stimmt überein WächterII. S. 389--405.
Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
geſetzt wird, ſo iſt nicht das eben erwähnte örtliche Recht, ſondern vielmehr das am Ort der angeſtellten Klage geltende Recht, das Recht des jetzt urtheilenden Richters, anzu- wenden (x).
Dieſe Ausnahme iſt die bloße Folge eines ſehr allge- meinen Grundſatzes über die Anwendbarkeit zwingender Ge- ſetze (§ 349. 372. A). Sie iſt anzuwenden ſowohl poſitiv, als negativ: das heißt, indem der Richter das für ihn gel- tende zwingende Geſetz anzuwenden hat, auch wenn es am Sitz der Obligation nicht gilt; eben ſo aber auch, indem er das anderwärts (am Sitz der Obligation) geltende zwin- gende Geſetz nicht anzuwenden hat, wenn es für ihn nicht als Geſetz beſteht.
Die erwähnte Ausnahme kommt vor ſowohl bei Ver- trägen, als bei Delicten.
Unter die Verträge dieſer Art gehören die durch Wucher- geſetze verbotene. Wird alſo eine Zinſenſchuld eingeklagt, die dem für dieſen Richter geltenden Geſetz widerſpricht, ſo muß er ſie als ungültig behandeln, auch wenn am Sitz der Obligation ein gleichmäßig einſchränkendes Wuchergeſetz nicht vorhanden ſeyn mag; denn der Sinn eines ſolchen Geſetzes geht dahin, daß kein unter ihm lebender Richter ſeine Amtsgewalt zur Durchführung eines ſo unſittlichen, gemeinſchädlichen Unternehmens, wie der wucherliche Ver- trag angeſehen wird, anwenden ſoll. — Eben ſo aber wird
(x) Damit ſtimmt überein WächterII. S. 389—405.
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Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
geſetzt wird, ſo iſt nicht das eben erwähnte örtliche Recht,
ſondern vielmehr das am Ort der angeſtellten Klage geltende
Recht, das Recht des jetzt urtheilenden Richters, anzu-
wenden (x).
Dieſe Ausnahme iſt die bloße Folge eines ſehr allge-
meinen Grundſatzes über die Anwendbarkeit zwingender Ge-
ſetze (§ 349. 372. A). Sie iſt anzuwenden ſowohl poſitiv,
als negativ: das heißt, indem der Richter das für ihn gel-
tende zwingende Geſetz anzuwenden hat, auch wenn es am
Sitz der Obligation nicht gilt; eben ſo aber auch, indem
er das anderwärts (am Sitz der Obligation) geltende zwin-
gende Geſetz nicht anzuwenden hat, wenn es für ihn nicht
als Geſetz beſteht.
Die erwähnte Ausnahme kommt vor ſowohl bei Ver-
trägen, als bei Delicten.
Unter die Verträge dieſer Art gehören die durch Wucher-
geſetze verbotene. Wird alſo eine Zinſenſchuld eingeklagt,
die dem für dieſen Richter geltenden Geſetz widerſpricht, ſo
muß er ſie als ungültig behandeln, auch wenn am Sitz
der Obligation ein gleichmäßig einſchränkendes Wuchergeſetz
nicht vorhanden ſeyn mag; denn der Sinn eines ſolchen
Geſetzes geht dahin, daß kein unter ihm lebender Richter
ſeine Amtsgewalt zur Durchführung eines ſo unſittlichen,
gemeinſchädlichen Unternehmens, wie der wucherliche Ver-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/298>, abgerufen am 27.11.2024.
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