Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
handelten Fragen mit in den Kreis dieser Untersuchung zu ziehen. Daher ist derselbe nunmehr einer abgesonderten, selbstständigen Betrachtung zu unterwerfen (§ 359).
Neben der hier dargestellten großen und allgemein aner- kannten Verschiedenheit, die bei dem Uebergang aus den Römischen Zuständen in die heutigen eingetreten ist, muß es als eine Merkwürdigkeit erwähnt werden, daß sich in einem kleinen Europäischen Lande ein ähnlicher Rechtszu- stand ausgebildet hat, wie der oben dargestellte Römische: eine origo, verschieden von dem domicilium, aber mit ent- schiedenem Uebergewicht über dieses; ein Rechtszustand, der nicht Ueberrest des Römischen, und eben so wenig Nach- ahmung desselben ist, so wie er auch darin eigenthümlich erscheint, daß er nicht ausschließend auf einem Stadtbür- gerrecht, sondern auf dem Heimathsrecht oder Bürgerrecht in irgend einer Gemeinde (sey sie städtisch oder ländlich) beruht. Dieser Zustand findet sich in den meisten Kantonen der deutschen Schweiz, wo das Heimathsrecht in einer be- stimmten Gemeinde, welches zugleich Bedingung für den Erwerb des Kantonsbürgerrechts ist, vorzugsweise vor dem vielleicht anderswo gewählten Wohnsitz, entscheidend ist für viele der wichtigsten Rechtsverhältnisse: namentlich für die Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit, für die Ehe, väterliche Gewalt, Vormundschaft, so wie für das Recht der Testamente und die Intestaterbfolge. Für mehrere
Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
handelten Fragen mit in den Kreis dieſer Unterſuchung zu ziehen. Daher iſt derſelbe nunmehr einer abgeſonderten, ſelbſtſtändigen Betrachtung zu unterwerfen (§ 359).
Neben der hier dargeſtellten großen und allgemein aner- kannten Verſchiedenheit, die bei dem Uebergang aus den Römiſchen Zuſtänden in die heutigen eingetreten iſt, muß es als eine Merkwürdigkeit erwähnt werden, daß ſich in einem kleinen Europäiſchen Lande ein ähnlicher Rechtszu- ſtand ausgebildet hat, wie der oben dargeſtellte Römiſche: eine origo, verſchieden von dem domicilium, aber mit ent- ſchiedenem Uebergewicht über dieſes; ein Rechtszuſtand, der nicht Ueberreſt des Römiſchen, und eben ſo wenig Nach- ahmung deſſelben iſt, ſo wie er auch darin eigenthümlich erſcheint, daß er nicht ausſchließend auf einem Stadtbür- gerrecht, ſondern auf dem Heimathsrecht oder Bürgerrecht in irgend einer Gemeinde (ſey ſie ſtädtiſch oder ländlich) beruht. Dieſer Zuſtand findet ſich in den meiſten Kantonen der deutſchen Schweiz, wo das Heimathsrecht in einer be- ſtimmten Gemeinde, welches zugleich Bedingung für den Erwerb des Kantonsbürgerrechts iſt, vorzugsweiſe vor dem vielleicht anderswo gewählten Wohnſitz, entſcheidend iſt für viele der wichtigſten Rechtsverhältniſſe: namentlich für die Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit, für die Ehe, väterliche Gewalt, Vormundſchaft, ſo wie für das Recht der Teſtamente und die Inteſtaterbfolge. Für mehrere
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Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
handelten Fragen mit in den Kreis dieſer Unterſuchung zu
ziehen. Daher iſt derſelbe nunmehr einer abgeſonderten,
ſelbſtſtändigen Betrachtung zu unterwerfen (§ 359).
Neben der hier dargeſtellten großen und allgemein aner-
kannten Verſchiedenheit, die bei dem Uebergang aus den
Römiſchen Zuſtänden in die heutigen eingetreten iſt, muß
es als eine Merkwürdigkeit erwähnt werden, daß ſich in
einem kleinen Europäiſchen Lande ein ähnlicher Rechtszu-
ſtand ausgebildet hat, wie der oben dargeſtellte Römiſche:
eine origo, verſchieden von dem domicilium, aber mit ent-
ſchiedenem Uebergewicht über dieſes; ein Rechtszuſtand, der
nicht Ueberreſt des Römiſchen, und eben ſo wenig Nach-
ahmung deſſelben iſt, ſo wie er auch darin eigenthümlich
erſcheint, daß er nicht ausſchließend auf einem Stadtbür-
gerrecht, ſondern auf dem Heimathsrecht oder Bürgerrecht
in irgend einer Gemeinde (ſey ſie ſtädtiſch oder ländlich)
beruht. Dieſer Zuſtand findet ſich in den meiſten Kantonen
der deutſchen Schweiz, wo das Heimathsrecht in einer be-
ſtimmten Gemeinde, welches zugleich Bedingung für den
Erwerb des Kantonsbürgerrechts iſt, vorzugsweiſe vor
dem vielleicht anderswo gewählten Wohnſitz, entſcheidend
iſt für viele der wichtigſten Rechtsverhältniſſe: namentlich
für die Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit, für die
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Recht der Teſtamente und die Inteſtaterbfolge. Für mehrere
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/116>, abgerufen am 24.11.2024.
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