Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 294. Rechtskraft der Gründe. Preußisches Recht.
müßte das Urtheil Nichts enthalten, als allein die Verur-
theilung, oder die Freisprechung; die Überzeugung, die der
Richter über die Präjudicialfragen gewonnen hätte, wäre
für ihn blos ein Beweggrund der Entscheidung, käme
nicht in das Urtheil, würde nicht rechtskräftig, und wäre
nicht Gegenstand eines möglichen Rechtsmittels (f). Ge-
setzt nun, es fände sich über diese Frage gar keine gesetz-
liche Vorschrift, so müßte es doch für höchst bedenklich ge-
halten werden, wenn der Umfang der in jedem einzelnen
Rechtsstreit eintretenden Rechtskraft von ganz zufälligen
Umständen abhängig gemacht werden sollte. Nichts kann
nämlich zufälliger seyn, als die dem subjectiven Ermessen
des Richters überlassene Vermuthung, daß eine Präjudicial-
frage leichter, als die Haupsache, entschieden werden könne.
Wenn der Richter dieser Vermuthung Raum giebt, wird
über die Präjudicialfrage ein besonderes Urtheil gesprochen,
das dann unzweifelhaft rechtskräftig wird; sollte nun wohl
die Rechtskraft blos deswegen nicht eintreten, weil zufällig
der Richter jene Vermuthung nicht gelten läßt, und daher
kein besonderes Urtheil über die Präjudicialfrage spricht?

In der That aber findet sich über jene Frage, nämlich
über die Behandlung des Falles eines gleichzeitigen Urtheils
über die Präjudicialpunkte und die Hauptsache, folgende
ausführliche Vorschrift:

gelingt, in der Hauptsache so-
gleich eine rechtskräftige Abwei-
sung
zu bewirken, weil dadurch
die Verhandlung über die Ex-
ception ohnehin entbehrlich wird.
§ 64--67.
(f) Daß die Sache in der neue-
sten Zeit in dieser buchstäblichen
Strenge aufgefaßt worden ist, wird
unten nachgewiesen werden.

§. 294. Rechtskraft der Gründe. Preußiſches Recht.
müßte das Urtheil Nichts enthalten, als allein die Verur-
theilung, oder die Freiſprechung; die Überzeugung, die der
Richter über die Präjudicialfragen gewonnen hätte, wäre
für ihn blos ein Beweggrund der Entſcheidung, käme
nicht in das Urtheil, würde nicht rechtskräftig, und wäre
nicht Gegenſtand eines möglichen Rechtsmittels (f). Ge-
ſetzt nun, es fände ſich über dieſe Frage gar keine geſetz-
liche Vorſchrift, ſo müßte es doch für höchſt bedenklich ge-
halten werden, wenn der Umfang der in jedem einzelnen
Rechtsſtreit eintretenden Rechtskraft von ganz zufälligen
Umſtänden abhängig gemacht werden ſollte. Nichts kann
nämlich zufälliger ſeyn, als die dem ſubjectiven Ermeſſen
des Richters überlaſſene Vermuthung, daß eine Präjudicial-
frage leichter, als die Haupſache, entſchieden werden könne.
Wenn der Richter dieſer Vermuthung Raum giebt, wird
über die Präjudicialfrage ein beſonderes Urtheil geſprochen,
das dann unzweifelhaft rechtskräftig wird; ſollte nun wohl
die Rechtskraft blos deswegen nicht eintreten, weil zufällig
der Richter jene Vermuthung nicht gelten läßt, und daher
kein beſonderes Urtheil über die Präjudicialfrage ſpricht?

In der That aber findet ſich über jene Frage, nämlich
über die Behandlung des Falles eines gleichzeitigen Urtheils
über die Präjudicialpunkte und die Hauptſache, folgende
ausführliche Vorſchrift:

gelingt, in der Hauptſache ſo-
gleich eine rechtskräftige Abwei-
ſung
zu bewirken, weil dadurch
die Verhandlung über die Ex-
ception ohnehin entbehrlich wird.
§ 64—67.
(f) Daß die Sache in der neue-
ſten Zeit in dieſer buchſtäblichen
Strenge aufgefaßt worden iſt, wird
unten nachgewieſen werden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0415" n="397"/><fw place="top" type="header">§. 294. Rechtskraft der Gründe. Preußi&#x017F;ches Recht.</fw><lb/>
müßte das Urtheil Nichts enthalten, als allein die Verur-<lb/>
theilung, oder die Frei&#x017F;prechung; die Überzeugung, die der<lb/>
Richter über die Präjudicialfragen gewonnen hätte, wäre<lb/>
für ihn blos ein Beweggrund der Ent&#x017F;cheidung, käme<lb/>
nicht in das Urtheil, würde nicht rechtskräftig, und wäre<lb/>
nicht Gegen&#x017F;tand eines möglichen Rechtsmittels <note place="foot" n="(f)">Daß die Sache in der neue-<lb/>
&#x017F;ten Zeit in die&#x017F;er buch&#x017F;täblichen<lb/>
Strenge aufgefaßt worden i&#x017F;t, wird<lb/>
unten nachgewie&#x017F;en werden.</note>. Ge-<lb/>
&#x017F;etzt nun, es fände &#x017F;ich über die&#x017F;e Frage gar keine ge&#x017F;etz-<lb/>
liche Vor&#x017F;chrift, &#x017F;o müßte es doch für höch&#x017F;t bedenklich ge-<lb/>
halten werden, wenn der Umfang der in jedem einzelnen<lb/>
Rechts&#x017F;treit eintretenden Rechtskraft von ganz zufälligen<lb/>
Um&#x017F;tänden abhängig gemacht werden &#x017F;ollte. Nichts kann<lb/>
nämlich zufälliger &#x017F;eyn, als die dem &#x017F;ubjectiven Erme&#x017F;&#x017F;en<lb/>
des Richters überla&#x017F;&#x017F;ene Vermuthung, daß eine Präjudicial-<lb/>
frage leichter, als die Haup&#x017F;ache, ent&#x017F;chieden werden könne.<lb/>
Wenn der Richter die&#x017F;er Vermuthung Raum giebt, wird<lb/>
über die Präjudicialfrage ein be&#x017F;onderes Urtheil ge&#x017F;prochen,<lb/>
das dann unzweifelhaft rechtskräftig wird; &#x017F;ollte nun wohl<lb/>
die Rechtskraft blos deswegen nicht eintreten, weil zufällig<lb/>
der Richter jene Vermuthung nicht gelten läßt, und daher<lb/>
kein be&#x017F;onderes Urtheil über die Präjudicialfrage &#x017F;pricht?</p><lb/>
            <p>In der That aber findet &#x017F;ich über jene Frage, nämlich<lb/>
über die Behandlung des Falles eines gleichzeitigen Urtheils<lb/>
über die Präjudicialpunkte und die Haupt&#x017F;ache, folgende<lb/>
ausführliche Vor&#x017F;chrift:<lb/><note xml:id="seg2pn_47_2" prev="#seg2pn_47_1" place="foot" n="(e)">gelingt, in der Haupt&#x017F;ache &#x017F;o-<lb/>
gleich eine rechtskräftige <hi rendition="#g">Abwei-<lb/>
&#x017F;ung</hi> zu bewirken, weil dadurch<lb/>
die Verhandlung über die Ex-<lb/>
ception ohnehin entbehrlich wird.<lb/>
§ 64&#x2014;67.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0415] §. 294. Rechtskraft der Gründe. Preußiſches Recht. müßte das Urtheil Nichts enthalten, als allein die Verur- theilung, oder die Freiſprechung; die Überzeugung, die der Richter über die Präjudicialfragen gewonnen hätte, wäre für ihn blos ein Beweggrund der Entſcheidung, käme nicht in das Urtheil, würde nicht rechtskräftig, und wäre nicht Gegenſtand eines möglichen Rechtsmittels (f). Ge- ſetzt nun, es fände ſich über dieſe Frage gar keine geſetz- liche Vorſchrift, ſo müßte es doch für höchſt bedenklich ge- halten werden, wenn der Umfang der in jedem einzelnen Rechtsſtreit eintretenden Rechtskraft von ganz zufälligen Umſtänden abhängig gemacht werden ſollte. Nichts kann nämlich zufälliger ſeyn, als die dem ſubjectiven Ermeſſen des Richters überlaſſene Vermuthung, daß eine Präjudicial- frage leichter, als die Haupſache, entſchieden werden könne. Wenn der Richter dieſer Vermuthung Raum giebt, wird über die Präjudicialfrage ein beſonderes Urtheil geſprochen, das dann unzweifelhaft rechtskräftig wird; ſollte nun wohl die Rechtskraft blos deswegen nicht eintreten, weil zufällig der Richter jene Vermuthung nicht gelten läßt, und daher kein beſonderes Urtheil über die Präjudicialfrage ſpricht? In der That aber findet ſich über jene Frage, nämlich über die Behandlung des Falles eines gleichzeitigen Urtheils über die Präjudicialpunkte und die Hauptſache, folgende ausführliche Vorſchrift: (e) (f) Daß die Sache in der neue- ſten Zeit in dieſer buchſtäblichen Strenge aufgefaßt worden iſt, wird unten nachgewieſen werden. (e) gelingt, in der Hauptſache ſo- gleich eine rechtskräftige Abwei- ſung zu bewirken, weil dadurch die Verhandlung über die Ex- ception ohnehin entbehrlich wird. § 64—67.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/415
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/415>, abgerufen am 23.07.2024.