Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.
Bedürfniß nicht anerkennen, da die Stelle, wenn sie den
Magistratus anstatt des Judex erwähnte, sowohl zu dem
älteren als zu dem neueren Recht passen würde. Auch für
die ältere Zeit konnte man sagen, die L. C. sey vollzogen,
sobald der Prätor die Parteien über ihre Behauptungen
gehört, und dadurch das Material zur Conception der For-
mel erlangt hatte. Hätten nun die Compilatoren in dem
ursprünglichen Text der Stelle die Erwähnung des Prätors,
des Proconsuls, oder des Präses vorgefunden, so wäre es
unbegreiflich, warum sie diesem den zu ihrer Zeit weniger
passenden Judex substituirt hätten; eine Veränderung in
umgekehrter Richtung wäre eher denkbar gewesen.

Die einfachste Erkärung scheint mir die, nach welcher
die Kaiser von einem einzelnen Rechtsfall sprachen, der zu
den extraordinariis judiciis gehörte. Dann war der Aus-
druck judex für magistratus ganz passend und keinem
Mißverständniß ausgesetzt; die Stelle gäbe dann ein treues
Bild von der Stellung der L. C. in den Prozessen dieser
Klasse. Das Rescript sollte nämlich sagen, was als
Surrogat der wirklichen L. C. in denjenigen Prozessen
gedacht werden müsse, worin eine solche nicht vorkam.
Zu diesem Zweck wurden allgemeine, beschreibende Aus-
drücke gebraucht, die bei der Beschreibung der wahren
L. C. (im ordentlichen Prozeß) in dieser Zeit gewiß nicht
gebraucht worden wären, und die der Stelle den unver-
dienten Schein einer Interpolation geben. -- Allerdings
sagt die Stelle, wie wir sie vor uns haben, nicht, daß

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Bedürfniß nicht anerkennen, da die Stelle, wenn ſie den
Magiſtratus anſtatt des Judex erwähnte, ſowohl zu dem
älteren als zu dem neueren Recht paſſen würde. Auch für
die ältere Zeit konnte man ſagen, die L. C. ſey vollzogen,
ſobald der Prätor die Parteien über ihre Behauptungen
gehört, und dadurch das Material zur Conception der For-
mel erlangt hatte. Hätten nun die Compilatoren in dem
urſprünglichen Text der Stelle die Erwähnung des Prätors,
des Proconſuls, oder des Präſes vorgefunden, ſo wäre es
unbegreiflich, warum ſie dieſem den zu ihrer Zeit weniger
paſſenden Judex ſubſtituirt hätten; eine Veränderung in
umgekehrter Richtung wäre eher denkbar geweſen.

Die einfachſte Erkärung ſcheint mir die, nach welcher
die Kaiſer von einem einzelnen Rechtsfall ſprachen, der zu
den extraordinariis judiciis gehörte. Dann war der Aus-
druck judex für magistratus ganz paſſend und keinem
Mißverſtändniß ausgeſetzt; die Stelle gäbe dann ein treues
Bild von der Stellung der L. C. in den Prozeſſen dieſer
Klaſſe. Das Reſcript ſollte nämlich ſagen, was als
Surrogat der wirklichen L. C. in denjenigen Prozeſſen
gedacht werden müſſe, worin eine ſolche nicht vorkam.
Zu dieſem Zweck wurden allgemeine, beſchreibende Aus-
drücke gebraucht, die bei der Beſchreibung der wahren
L. C. (im ordentlichen Prozeß) in dieſer Zeit gewiß nicht
gebraucht worden wären, und die der Stelle den unver-
dienten Schein einer Interpolation geben. — Allerdings
ſagt die Stelle, wie wir ſie vor uns haben, nicht, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0036" n="18"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;e. Kap. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Verletzung.</fw><lb/>
Bedürfniß nicht anerkennen, da die Stelle, wenn &#x017F;ie den<lb/>
Magi&#x017F;tratus an&#x017F;tatt des Judex erwähnte, &#x017F;owohl zu dem<lb/>
älteren als zu dem neueren Recht pa&#x017F;&#x017F;en würde. Auch für<lb/>
die ältere Zeit konnte man &#x017F;agen, die L. C. &#x017F;ey vollzogen,<lb/>
&#x017F;obald der Prätor die Parteien über ihre Behauptungen<lb/>
gehört, und dadurch das Material zur Conception der For-<lb/>
mel erlangt hatte. Hätten nun die Compilatoren in dem<lb/>
ur&#x017F;prünglichen Text der Stelle die Erwähnung des Prätors,<lb/>
des Procon&#x017F;uls, oder des Prä&#x017F;es vorgefunden, &#x017F;o wäre es<lb/>
unbegreiflich, warum &#x017F;ie die&#x017F;em den zu ihrer Zeit weniger<lb/>
pa&#x017F;&#x017F;enden Judex &#x017F;ub&#x017F;tituirt hätten; eine Veränderung in<lb/>
umgekehrter Richtung wäre eher denkbar gewe&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>Die einfach&#x017F;te Erkärung &#x017F;cheint mir die, nach welcher<lb/>
die Kai&#x017F;er von einem einzelnen Rechtsfall &#x017F;prachen, der zu<lb/>
den <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">extraordinariis</hi> judiciis</hi> gehörte. Dann war der Aus-<lb/>
druck <hi rendition="#aq">judex</hi> für <hi rendition="#aq">magistratus</hi> ganz pa&#x017F;&#x017F;end und keinem<lb/>
Mißver&#x017F;tändniß ausge&#x017F;etzt; die Stelle gäbe dann ein treues<lb/>
Bild von der Stellung der L. C. in den Proze&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;er<lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;e. Das Re&#x017F;cript &#x017F;ollte nämlich &#x017F;agen, was als<lb/>
Surrogat der wirklichen L. C. in denjenigen Proze&#x017F;&#x017F;en<lb/>
gedacht werden mü&#x017F;&#x017F;e, worin eine &#x017F;olche nicht vorkam.<lb/>
Zu die&#x017F;em Zweck wurden allgemeine, be&#x017F;chreibende Aus-<lb/>
drücke gebraucht, die bei der Be&#x017F;chreibung der wahren<lb/>
L. C. (im ordentlichen Prozeß) in die&#x017F;er Zeit gewiß nicht<lb/>
gebraucht worden wären, und die der Stelle den unver-<lb/>
dienten Schein einer Interpolation geben. &#x2014; Allerdings<lb/>
&#x017F;agt die Stelle, wie wir &#x017F;ie vor uns haben, nicht, daß<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0036] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. Bedürfniß nicht anerkennen, da die Stelle, wenn ſie den Magiſtratus anſtatt des Judex erwähnte, ſowohl zu dem älteren als zu dem neueren Recht paſſen würde. Auch für die ältere Zeit konnte man ſagen, die L. C. ſey vollzogen, ſobald der Prätor die Parteien über ihre Behauptungen gehört, und dadurch das Material zur Conception der For- mel erlangt hatte. Hätten nun die Compilatoren in dem urſprünglichen Text der Stelle die Erwähnung des Prätors, des Proconſuls, oder des Präſes vorgefunden, ſo wäre es unbegreiflich, warum ſie dieſem den zu ihrer Zeit weniger paſſenden Judex ſubſtituirt hätten; eine Veränderung in umgekehrter Richtung wäre eher denkbar geweſen. Die einfachſte Erkärung ſcheint mir die, nach welcher die Kaiſer von einem einzelnen Rechtsfall ſprachen, der zu den extraordinariis judiciis gehörte. Dann war der Aus- druck judex für magistratus ganz paſſend und keinem Mißverſtändniß ausgeſetzt; die Stelle gäbe dann ein treues Bild von der Stellung der L. C. in den Prozeſſen dieſer Klaſſe. Das Reſcript ſollte nämlich ſagen, was als Surrogat der wirklichen L. C. in denjenigen Prozeſſen gedacht werden müſſe, worin eine ſolche nicht vorkam. Zu dieſem Zweck wurden allgemeine, beſchreibende Aus- drücke gebraucht, die bei der Beſchreibung der wahren L. C. (im ordentlichen Prozeß) in dieſer Zeit gewiß nicht gebraucht worden wären, und die der Stelle den unver- dienten Schein einer Interpolation geben. — Allerdings ſagt die Stelle, wie wir ſie vor uns haben, nicht, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/36
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/36>, abgerufen am 20.04.2024.