Bedürfniß nicht anerkennen, da die Stelle, wenn sie den Magistratus anstatt des Judex erwähnte, sowohl zu dem älteren als zu dem neueren Recht passen würde. Auch für die ältere Zeit konnte man sagen, die L. C. sey vollzogen, sobald der Prätor die Parteien über ihre Behauptungen gehört, und dadurch das Material zur Conception der For- mel erlangt hatte. Hätten nun die Compilatoren in dem ursprünglichen Text der Stelle die Erwähnung des Prätors, des Proconsuls, oder des Präses vorgefunden, so wäre es unbegreiflich, warum sie diesem den zu ihrer Zeit weniger passenden Judex substituirt hätten; eine Veränderung in umgekehrter Richtung wäre eher denkbar gewesen.
Die einfachste Erkärung scheint mir die, nach welcher die Kaiser von einem einzelnen Rechtsfall sprachen, der zu den extraordinariis judiciis gehörte. Dann war der Aus- druck judex für magistratus ganz passend und keinem Mißverständniß ausgesetzt; die Stelle gäbe dann ein treues Bild von der Stellung der L. C. in den Prozessen dieser Klasse. Das Rescript sollte nämlich sagen, was als Surrogat der wirklichen L. C. in denjenigen Prozessen gedacht werden müsse, worin eine solche nicht vorkam. Zu diesem Zweck wurden allgemeine, beschreibende Aus- drücke gebraucht, die bei der Beschreibung der wahren L. C. (im ordentlichen Prozeß) in dieser Zeit gewiß nicht gebraucht worden wären, und die der Stelle den unver- dienten Schein einer Interpolation geben. -- Allerdings sagt die Stelle, wie wir sie vor uns haben, nicht, daß
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Bedürfniß nicht anerkennen, da die Stelle, wenn ſie den Magiſtratus anſtatt des Judex erwähnte, ſowohl zu dem älteren als zu dem neueren Recht paſſen würde. Auch für die ältere Zeit konnte man ſagen, die L. C. ſey vollzogen, ſobald der Prätor die Parteien über ihre Behauptungen gehört, und dadurch das Material zur Conception der For- mel erlangt hatte. Hätten nun die Compilatoren in dem urſprünglichen Text der Stelle die Erwähnung des Prätors, des Proconſuls, oder des Präſes vorgefunden, ſo wäre es unbegreiflich, warum ſie dieſem den zu ihrer Zeit weniger paſſenden Judex ſubſtituirt hätten; eine Veränderung in umgekehrter Richtung wäre eher denkbar geweſen.
Die einfachſte Erkärung ſcheint mir die, nach welcher die Kaiſer von einem einzelnen Rechtsfall ſprachen, der zu den extraordinariis judiciis gehörte. Dann war der Aus- druck judex für magistratus ganz paſſend und keinem Mißverſtändniß ausgeſetzt; die Stelle gäbe dann ein treues Bild von der Stellung der L. C. in den Prozeſſen dieſer Klaſſe. Das Reſcript ſollte nämlich ſagen, was als Surrogat der wirklichen L. C. in denjenigen Prozeſſen gedacht werden müſſe, worin eine ſolche nicht vorkam. Zu dieſem Zweck wurden allgemeine, beſchreibende Aus- drücke gebraucht, die bei der Beſchreibung der wahren L. C. (im ordentlichen Prozeß) in dieſer Zeit gewiß nicht gebraucht worden wären, und die der Stelle den unver- dienten Schein einer Interpolation geben. — Allerdings ſagt die Stelle, wie wir ſie vor uns haben, nicht, daß
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Bedürfniß nicht anerkennen, da die Stelle, wenn ſie den
Magiſtratus anſtatt des Judex erwähnte, ſowohl zu dem
älteren als zu dem neueren Recht paſſen würde. Auch für
die ältere Zeit konnte man ſagen, die L. C. ſey vollzogen,
ſobald der Prätor die Parteien über ihre Behauptungen
gehört, und dadurch das Material zur Conception der For-
mel erlangt hatte. Hätten nun die Compilatoren in dem
urſprünglichen Text der Stelle die Erwähnung des Prätors,
des Proconſuls, oder des Präſes vorgefunden, ſo wäre es
unbegreiflich, warum ſie dieſem den zu ihrer Zeit weniger
paſſenden Judex ſubſtituirt hätten; eine Veränderung in
umgekehrter Richtung wäre eher denkbar geweſen.
Die einfachſte Erkärung ſcheint mir die, nach welcher
die Kaiſer von einem einzelnen Rechtsfall ſprachen, der zu
den extraordinariis judiciis gehörte. Dann war der Aus-
druck judex für magistratus ganz paſſend und keinem
Mißverſtändniß ausgeſetzt; die Stelle gäbe dann ein treues
Bild von der Stellung der L. C. in den Prozeſſen dieſer
Klaſſe. Das Reſcript ſollte nämlich ſagen, was als
Surrogat der wirklichen L. C. in denjenigen Prozeſſen
gedacht werden müſſe, worin eine ſolche nicht vorkam.
Zu dieſem Zweck wurden allgemeine, beſchreibende Aus-
drücke gebraucht, die bei der Beſchreibung der wahren
L. C. (im ordentlichen Prozeß) in dieſer Zeit gewiß nicht
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/36>, abgerufen am 20.04.2024.
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