Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.
Wege derselbe praktische Zweck im heutigen Prozeß erreicht
wird, ist so eben bereits gezeigt worden.

Fassen wir die eben erörterte Streitfrage kurz zusam-
men. Die Römer hatten in ihrem Prozeß einige alte
Rechtsinstitute, die zu Justinian's Zeit längst verschwunden
waren, uns aber in der neuesten Zeit bekannt geworden
sind. In diesen Instituten war Vieles ganz formell und
historisch: Anderes beruhte auf einem allgemeinen und
bleibenden praktischen Bedürfniß, das eben durch jene
geschichtlichen Formen damals seine Befriedigung erhalten
sollte. In den anderthalb tausend Jahren, seit welchen
jene Formen verschwanden, hat das praktische Bedürfniß
stets fortgedauert, und man hat sich auf andere Weise zu
helfen gesucht, besser oder schlechter, mit mehr oder weniger
deutlichem Bewußtseyn, wie es eben gelingen wollte. Jetzt
werden jene alten Formen entdeckt, und wir finden, daß
die Römer dieselben gebraucht haben, um praktische Bedürf-
nisse zu befriedigen, die auch wir bisher anerkannt haben.
Zu verwundern ist daran nicht viel, da ja die Römer bei
der Aufstellung jener Formen nicht aus einer wunderlichen
Laune zu Werke gingen, sondern mit ächt praktischem Sinn,
wovon sie bekanntlich ein nicht geringes Maaß hatten.

Die neue Entdeckung zeigt uns also, daß wir uns das
bleibende Wesen jener alten Rechtsinstitute unter anderen
Formen und Namen wirklich angeeignet haben, und diese
Bestätigung der Richtigkeit unsres Verfahrens ist sehr an-
ziehend und belehrend. Sollen wir aber deshalb die alten

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Wege derſelbe praktiſche Zweck im heutigen Prozeß erreicht
wird, iſt ſo eben bereits gezeigt worden.

Faſſen wir die eben erörterte Streitfrage kurz zuſam-
men. Die Römer hatten in ihrem Prozeß einige alte
Rechtsinſtitute, die zu Juſtinian’s Zeit längſt verſchwunden
waren, uns aber in der neueſten Zeit bekannt geworden
ſind. In dieſen Inſtituten war Vieles ganz formell und
hiſtoriſch: Anderes beruhte auf einem allgemeinen und
bleibenden praktiſchen Bedürfniß, das eben durch jene
geſchichtlichen Formen damals ſeine Befriedigung erhalten
ſollte. In den anderthalb tauſend Jahren, ſeit welchen
jene Formen verſchwanden, hat das praktiſche Bedürfniß
ſtets fortgedauert, und man hat ſich auf andere Weiſe zu
helfen geſucht, beſſer oder ſchlechter, mit mehr oder weniger
deutlichem Bewußtſeyn, wie es eben gelingen wollte. Jetzt
werden jene alten Formen entdeckt, und wir finden, daß
die Römer dieſelben gebraucht haben, um praktiſche Bedürf-
niſſe zu befriedigen, die auch wir bisher anerkannt haben.
Zu verwundern iſt daran nicht viel, da ja die Römer bei
der Aufſtellung jener Formen nicht aus einer wunderlichen
Laune zu Werke gingen, ſondern mit ächt praktiſchem Sinn,
wovon ſie bekanntlich ein nicht geringes Maaß hatten.

Die neue Entdeckung zeigt uns alſo, daß wir uns das
bleibende Weſen jener alten Rechtsinſtitute unter anderen
Formen und Namen wirklich angeeignet haben, und dieſe
Beſtätigung der Richtigkeit unſres Verfahrens iſt ſehr an-
ziehend und belehrend. Sollen wir aber deshalb die alten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0326" n="308"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;e. Kap. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Verletzung.</fw><lb/>
Wege der&#x017F;elbe prakti&#x017F;che Zweck im heutigen Prozeß erreicht<lb/>
wird, i&#x017F;t &#x017F;o eben bereits gezeigt worden.</p><lb/>
              <p>Fa&#x017F;&#x017F;en wir die eben erörterte Streitfrage kurz zu&#x017F;am-<lb/>
men. Die Römer hatten in ihrem Prozeß einige alte<lb/>
Rechtsin&#x017F;titute, die zu Ju&#x017F;tinian&#x2019;s Zeit läng&#x017F;t ver&#x017F;chwunden<lb/>
waren, uns aber in der neue&#x017F;ten Zeit bekannt geworden<lb/>
&#x017F;ind. In die&#x017F;en In&#x017F;tituten war Vieles ganz formell und<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;ch: Anderes beruhte auf einem allgemeinen und<lb/>
bleibenden prakti&#x017F;chen Bedürfniß, das eben durch jene<lb/>
ge&#x017F;chichtlichen Formen damals &#x017F;eine Befriedigung erhalten<lb/>
&#x017F;ollte. In den anderthalb tau&#x017F;end Jahren, &#x017F;eit welchen<lb/>
jene Formen ver&#x017F;chwanden, hat das prakti&#x017F;che Bedürfniß<lb/>
&#x017F;tets fortgedauert, und man hat &#x017F;ich auf andere Wei&#x017F;e zu<lb/>
helfen ge&#x017F;ucht, be&#x017F;&#x017F;er oder &#x017F;chlechter, mit mehr oder weniger<lb/>
deutlichem Bewußt&#x017F;eyn, wie es eben gelingen wollte. Jetzt<lb/>
werden jene alten Formen entdeckt, und wir finden, daß<lb/>
die Römer die&#x017F;elben gebraucht haben, um prakti&#x017F;che Bedürf-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e zu befriedigen, die auch wir bisher anerkannt haben.<lb/>
Zu verwundern i&#x017F;t daran nicht viel, da ja die Römer bei<lb/>
der Auf&#x017F;tellung jener Formen nicht aus einer wunderlichen<lb/>
Laune zu Werke gingen, &#x017F;ondern mit ächt prakti&#x017F;chem Sinn,<lb/>
wovon &#x017F;ie bekanntlich ein nicht geringes Maaß hatten.</p><lb/>
              <p>Die neue Entdeckung zeigt uns al&#x017F;o, daß wir uns das<lb/>
bleibende We&#x017F;en jener alten Rechtsin&#x017F;titute unter anderen<lb/>
Formen und Namen wirklich angeeignet haben, und die&#x017F;e<lb/>
Be&#x017F;tätigung der Richtigkeit un&#x017F;res Verfahrens i&#x017F;t &#x017F;ehr an-<lb/>
ziehend und belehrend. Sollen wir aber deshalb die alten<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0326] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. Wege derſelbe praktiſche Zweck im heutigen Prozeß erreicht wird, iſt ſo eben bereits gezeigt worden. Faſſen wir die eben erörterte Streitfrage kurz zuſam- men. Die Römer hatten in ihrem Prozeß einige alte Rechtsinſtitute, die zu Juſtinian’s Zeit längſt verſchwunden waren, uns aber in der neueſten Zeit bekannt geworden ſind. In dieſen Inſtituten war Vieles ganz formell und hiſtoriſch: Anderes beruhte auf einem allgemeinen und bleibenden praktiſchen Bedürfniß, das eben durch jene geſchichtlichen Formen damals ſeine Befriedigung erhalten ſollte. In den anderthalb tauſend Jahren, ſeit welchen jene Formen verſchwanden, hat das praktiſche Bedürfniß ſtets fortgedauert, und man hat ſich auf andere Weiſe zu helfen geſucht, beſſer oder ſchlechter, mit mehr oder weniger deutlichem Bewußtſeyn, wie es eben gelingen wollte. Jetzt werden jene alten Formen entdeckt, und wir finden, daß die Römer dieſelben gebraucht haben, um praktiſche Bedürf- niſſe zu befriedigen, die auch wir bisher anerkannt haben. Zu verwundern iſt daran nicht viel, da ja die Römer bei der Aufſtellung jener Formen nicht aus einer wunderlichen Laune zu Werke gingen, ſondern mit ächt praktiſchem Sinn, wovon ſie bekanntlich ein nicht geringes Maaß hatten. Die neue Entdeckung zeigt uns alſo, daß wir uns das bleibende Weſen jener alten Rechtsinſtitute unter anderen Formen und Namen wirklich angeeignet haben, und dieſe Beſtätigung der Richtigkeit unſres Verfahrens iſt ſehr an- ziehend und belehrend. Sollen wir aber deshalb die alten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/326
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/326>, abgerufen am 25.11.2024.