Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.
Namen und Formen hervorsuchen, und in dem heutigen
Prozeß von Klagenconsumtion, negativer Function, Nova-
tion sprechen? Ich muß ein solches Verfahren durchaus
für eine falsche, verwirrende Gelehrsamkeit erklären, für
einen Weg, der von der Wahrheit abzuführen geeignet ist.

Insbesondere muß dabei noch auf folgende Analogie
des heutigen Rechts mit dem alten Recht aufmerksam
gemacht werden. Nach der von mir oben aufgestellten
Formel kommt Alles darauf an, was und wie viel zum
Gegenstand des Rechtsstreits erhoben, und dadurch dem
Urtheil des Richters unterworfen worden ist (S. 304).
Wir können Das mit einem altrömischen Kunstausdruck so
bezeichnen: Es kommt darauf an, was in judicium deducirt
ist. Dabei ist nur der Unterschied zu beachten, daß die
Römer den Umfang des in judicium deductum aus der
formula, und zwar vorzugsweise aus der in derselben ent-
haltenen intentio beurtheilten; wir haben eine so feste, gleich-
förmige Prozeßform nicht, müssen uns aber an den Inhalt
der Klagschrift (insbesondere des Antrags) halten, so daß
unsre Beurtheilung dieses Gegenstandes auf der einen
Seite freier, auf der anderen Seite aber schwankender und
unsicherer ist, als es die der Römer war. Auch hierin
also haben wir die Analogie eines altrömischen Rechts-
instituts vor uns, dessen genaues Studium uns sehr för-
dern und vergleichend belehren, dessen versuchte unmittel-
bare Anwendung aber nur irre führen kann.



§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.
Namen und Formen hervorſuchen, und in dem heutigen
Prozeß von Klagenconſumtion, negativer Function, Nova-
tion ſprechen? Ich muß ein ſolches Verfahren durchaus
für eine falſche, verwirrende Gelehrſamkeit erklären, für
einen Weg, der von der Wahrheit abzuführen geeignet iſt.

Insbeſondere muß dabei noch auf folgende Analogie
des heutigen Rechts mit dem alten Recht aufmerkſam
gemacht werden. Nach der von mir oben aufgeſtellten
Formel kommt Alles darauf an, was und wie viel zum
Gegenſtand des Rechtsſtreits erhoben, und dadurch dem
Urtheil des Richters unterworfen worden iſt (S. 304).
Wir können Das mit einem altrömiſchen Kunſtausdruck ſo
bezeichnen: Es kommt darauf an, was in judicium deducirt
iſt. Dabei iſt nur der Unterſchied zu beachten, daß die
Römer den Umfang des in judicium deductum aus der
formula, und zwar vorzugsweiſe aus der in derſelben ent-
haltenen intentio beurtheilten; wir haben eine ſo feſte, gleich-
förmige Prozeßform nicht, müſſen uns aber an den Inhalt
der Klagſchrift (insbeſondere des Antrags) halten, ſo daß
unſre Beurtheilung dieſes Gegenſtandes auf der einen
Seite freier, auf der anderen Seite aber ſchwankender und
unſicherer iſt, als es die der Römer war. Auch hierin
alſo haben wir die Analogie eines altrömiſchen Rechts-
inſtituts vor uns, deſſen genaues Studium uns ſehr för-
dern und vergleichend belehren, deſſen verſuchte unmittel-
bare Anwendung aber nur irre führen kann.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0327" n="309"/><fw place="top" type="header">§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.</fw><lb/>
Namen und Formen hervor&#x017F;uchen, und in dem heutigen<lb/>
Prozeß von Klagencon&#x017F;umtion, negativer Function, Nova-<lb/>
tion &#x017F;prechen? Ich muß ein &#x017F;olches Verfahren durchaus<lb/>
für eine fal&#x017F;che, verwirrende Gelehr&#x017F;amkeit erklären, für<lb/>
einen Weg, der von der Wahrheit abzuführen geeignet i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>Insbe&#x017F;ondere muß dabei noch auf folgende Analogie<lb/>
des heutigen Rechts mit dem alten Recht aufmerk&#x017F;am<lb/>
gemacht werden. Nach der von mir oben aufge&#x017F;tellten<lb/>
Formel kommt Alles darauf an, was und wie viel zum<lb/>
Gegen&#x017F;tand des Rechts&#x017F;treits erhoben, und dadurch dem<lb/>
Urtheil des Richters unterworfen worden i&#x017F;t (S. 304).<lb/>
Wir können Das mit einem altrömi&#x017F;chen Kun&#x017F;tausdruck &#x017F;o<lb/>
bezeichnen: Es kommt darauf an, was <hi rendition="#aq">in judicium</hi> deducirt<lb/>
i&#x017F;t. Dabei i&#x017F;t nur der Unter&#x017F;chied zu beachten, daß die<lb/>
Römer den Umfang des <hi rendition="#aq">in judicium deductum</hi> aus der<lb/><hi rendition="#aq">formula,</hi> und zwar vorzugswei&#x017F;e aus der in der&#x017F;elben ent-<lb/>
haltenen <hi rendition="#aq">intentio</hi> beurtheilten; wir haben eine &#x017F;o fe&#x017F;te, gleich-<lb/>
förmige Prozeßform nicht, mü&#x017F;&#x017F;en uns aber an den Inhalt<lb/>
der Klag&#x017F;chrift (insbe&#x017F;ondere des Antrags) halten, &#x017F;o daß<lb/>
un&#x017F;re Beurtheilung die&#x017F;es Gegen&#x017F;tandes auf der einen<lb/>
Seite freier, auf der anderen Seite aber &#x017F;chwankender und<lb/>
un&#x017F;icherer i&#x017F;t, als es die der Römer war. Auch hierin<lb/>
al&#x017F;o haben wir die Analogie eines altrömi&#x017F;chen Rechts-<lb/>
in&#x017F;tituts vor uns, de&#x017F;&#x017F;en genaues Studium uns &#x017F;ehr för-<lb/>
dern und vergleichend belehren, de&#x017F;&#x017F;en ver&#x017F;uchte unmittel-<lb/>
bare Anwendung aber nur irre führen kann.</p>
            </div><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[309/0327] §. 286. Inhalt des Urtheils. Arten. Namen und Formen hervorſuchen, und in dem heutigen Prozeß von Klagenconſumtion, negativer Function, Nova- tion ſprechen? Ich muß ein ſolches Verfahren durchaus für eine falſche, verwirrende Gelehrſamkeit erklären, für einen Weg, der von der Wahrheit abzuführen geeignet iſt. Insbeſondere muß dabei noch auf folgende Analogie des heutigen Rechts mit dem alten Recht aufmerkſam gemacht werden. Nach der von mir oben aufgeſtellten Formel kommt Alles darauf an, was und wie viel zum Gegenſtand des Rechtsſtreits erhoben, und dadurch dem Urtheil des Richters unterworfen worden iſt (S. 304). Wir können Das mit einem altrömiſchen Kunſtausdruck ſo bezeichnen: Es kommt darauf an, was in judicium deducirt iſt. Dabei iſt nur der Unterſchied zu beachten, daß die Römer den Umfang des in judicium deductum aus der formula, und zwar vorzugsweiſe aus der in derſelben ent- haltenen intentio beurtheilten; wir haben eine ſo feſte, gleich- förmige Prozeßform nicht, müſſen uns aber an den Inhalt der Klagſchrift (insbeſondere des Antrags) halten, ſo daß unſre Beurtheilung dieſes Gegenſtandes auf der einen Seite freier, auf der anderen Seite aber ſchwankender und unſicherer iſt, als es die der Römer war. Auch hierin alſo haben wir die Analogie eines altrömiſchen Rechts- inſtituts vor uns, deſſen genaues Studium uns ſehr för- dern und vergleichend belehren, deſſen verſuchte unmittel- bare Anwendung aber nur irre führen kann.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/327
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/327>, abgerufen am 25.11.2024.