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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847.

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§. 264. Wirkung der L. C. -- Umfang. Einleitung.
nicht ein früheres unredliches Bewußtseyn nachgewiesen
werden kann, mit der Insinuation der Klage angenommen.

§. 222. "Wenn kein früherer Zeitpunkt der Unredlich-
keit des Besitzes
ausgemittelt werden kann, so
wird der Tag der dem Besitzer durch die Gerichte
behändigten Klage dafür angenommen."

Dieser Ausspruch stimmt mit der Lehre vieler neuerer
Romanisten wörtlich überein. Man ist jedoch bei der Be-
arbeitung des Preußischen Gesetzes erst allmälig auf diese
Vorschrift gekommen. In irgend einem älteren Entwurf
war der Zeitpunkt des eröffneten Urtheils als Anfang der
Unredlichkeit angenommen worden. Dieser Bestimmung
widersprach Tevenar, indem er behauptete, jeder nicht
rechtmäßige Besitzer könne und solle aus der insinuirten
Klage sein Unrecht abnehmen, und wenn er es nicht ein-
sehen wolle, so verdiene diese Verstockung keine Scho-
nung (z). Dazu bemerkte Suarez: "damit bin ich völlig
einverstanden," entkräftete aber sogleich diese Bestimmung
durch den Zusatz: "Übrigens ist es ja dem Richter über-
lassen, den Anfang der Unredlichkeit nach den Umständen
auch anders zu bestimmen
."


(z) Simon a. a. O., S. 171. --
Diese ganz willkührliche Behaup-
tung wird durch die sehr gewöhn-
liche Erfahrung widerlegt, daß viele
Beklagte, die am Ende verurtheilt
werden, dennoch den Prozeß mit
fester Ueberzeugung von ihrem Recht
durchführen. Wer hieran zweifeln
wollte, möge doch erwägen, wie
oft in Richtercollegien verschiedene
Meinungen über Freisprechung oder
Verurtheilung vorkommen. Was
nun die Minorität redlich glaubt,
muß wohl auch dem Beklagten zu
glauben gestattet werden.
VI. 7

§. 264. Wirkung der L. C. — Umfang. Einleitung.
nicht ein früheres unredliches Bewußtſeyn nachgewieſen
werden kann, mit der Inſinuation der Klage angenommen.

§. 222. „Wenn kein früherer Zeitpunkt der Unredlich-
keit des Beſitzes
ausgemittelt werden kann, ſo
wird der Tag der dem Beſitzer durch die Gerichte
behändigten Klage dafür angenommen.“

Dieſer Ausſpruch ſtimmt mit der Lehre vieler neuerer
Romaniſten wörtlich überein. Man iſt jedoch bei der Be-
arbeitung des Preußiſchen Geſetzes erſt allmälig auf dieſe
Vorſchrift gekommen. In irgend einem älteren Entwurf
war der Zeitpunkt des eröffneten Urtheils als Anfang der
Unredlichkeit angenommen worden. Dieſer Beſtimmung
widerſprach Tevenar, indem er behauptete, jeder nicht
rechtmäßige Beſitzer könne und ſolle aus der inſinuirten
Klage ſein Unrecht abnehmen, und wenn er es nicht ein-
ſehen wolle, ſo verdiene dieſe Verſtockung keine Scho-
nung (z). Dazu bemerkte Suarez: „damit bin ich völlig
einverſtanden,“ entkräftete aber ſogleich dieſe Beſtimmung
durch den Zuſatz: „Übrigens iſt es ja dem Richter über-
laſſen, den Anfang der Unredlichkeit nach den Umſtänden
auch anders zu beſtimmen
.“


(z) Simon a. a. O., S. 171. —
Dieſe ganz willkührliche Behaup-
tung wird durch die ſehr gewöhn-
liche Erfahrung widerlegt, daß viele
Beklagte, die am Ende verurtheilt
werden, dennoch den Prozeß mit
feſter Ueberzeugung von ihrem Recht
durchführen. Wer hieran zweifeln
wollte, möge doch erwägen, wie
oft in Richtercollegien verſchiedene
Meinungen über Freiſprechung oder
Verurtheilung vorkommen. Was
nun die Minorität redlich glaubt,
muß wohl auch dem Beklagten zu
glauben geſtattet werden.
VI. 7
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[97/0115] §. 264. Wirkung der L. C. — Umfang. Einleitung. nicht ein früheres unredliches Bewußtſeyn nachgewieſen werden kann, mit der Inſinuation der Klage angenommen. §. 222. „Wenn kein früherer Zeitpunkt der Unredlich- keit des Beſitzes ausgemittelt werden kann, ſo wird der Tag der dem Beſitzer durch die Gerichte behändigten Klage dafür angenommen.“ Dieſer Ausſpruch ſtimmt mit der Lehre vieler neuerer Romaniſten wörtlich überein. Man iſt jedoch bei der Be- arbeitung des Preußiſchen Geſetzes erſt allmälig auf dieſe Vorſchrift gekommen. In irgend einem älteren Entwurf war der Zeitpunkt des eröffneten Urtheils als Anfang der Unredlichkeit angenommen worden. Dieſer Beſtimmung widerſprach Tevenar, indem er behauptete, jeder nicht rechtmäßige Beſitzer könne und ſolle aus der inſinuirten Klage ſein Unrecht abnehmen, und wenn er es nicht ein- ſehen wolle, ſo verdiene dieſe Verſtockung keine Scho- nung (z). Dazu bemerkte Suarez: „damit bin ich völlig einverſtanden,“ entkräftete aber ſogleich dieſe Beſtimmung durch den Zuſatz: „Übrigens iſt es ja dem Richter über- laſſen, den Anfang der Unredlichkeit nach den Umſtänden auch anders zu beſtimmen.“ (z) Simon a. a. O., S. 171. — Dieſe ganz willkührliche Behaup- tung wird durch die ſehr gewöhn- liche Erfahrung widerlegt, daß viele Beklagte, die am Ende verurtheilt werden, dennoch den Prozeß mit feſter Ueberzeugung von ihrem Recht durchführen. Wer hieran zweifeln wollte, möge doch erwägen, wie oft in Richtercollegien verſchiedene Meinungen über Freiſprechung oder Verurtheilung vorkommen. Was nun die Minorität redlich glaubt, muß wohl auch dem Beklagten zu glauben geſtattet werden. VI. 7

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/115>, abgerufen am 27.11.2024.