zwischen redlichen und unredlichen Besitzern. Sie wußten, daß sie kein wirkliches, gegenwärtiges Recht, sowie ein wahrer Erbe, auf die Sachen hatten (cum scirent ad se non pertinere), aber sie handelten doch in Kraft einer all- gemeinen gesetzlichen Befugniß, sie konnten glauben, es werde Niemand die Erbschaft antreten wollen, ja sie hatten die Aussicht, in sehr kurzer Zeit wahre Eigenthümer durch Usucapion zu werden. Der Zustand derselben wurde noch verwickelter und zweifelhafter durch dieselbe Verordnung von Hadrian, indem nunmehr der wahre Erbe auch nach vollendeter Usucapion die Erbschaftssachen durch eine Art von Restitution abfordern konnte (u).
Die Lage, und besonders das Bewußtseyn solcher Be- sitzer mußte durch eine angestellte Klage von Grund aus verändert werden. Die bis zu dieser Zeit mögliche Meinung, daß Niemand sich der Erbschaft annehmen wolle, war selbst durch die neue Verordnung nicht ausgeschlossen. Sobald aber ein Kläger (sey es der Erbe, oder der Fiscus) gegen sie auftrat, hörte die bisherige halbe Redlichkeit ihres Be- wußtseyns auf, und sie wurden nun in der That unredliche Besitzer im vollen Sinne des Worts. Auch mußte diese Veränderung eintreten, nicht erst von der L. C. an, sondern sobald ihnen die wirkliche Anstellung einer Klage bekannt wurde.
Daß nun gerade von diesem eigenthümlichen Rechtsver- hältniß in dem Senatsschluß von Hadrian die Rede war,
(u)Gajus II. § 58.
§. 264. Wirkung der L. C. — Umfang. Einleitung.
zwiſchen redlichen und unredlichen Beſitzern. Sie wußten, daß ſie kein wirkliches, gegenwärtiges Recht, ſowie ein wahrer Erbe, auf die Sachen hatten (cum scirent ad se non pertinere), aber ſie handelten doch in Kraft einer all- gemeinen geſetzlichen Befugniß, ſie konnten glauben, es werde Niemand die Erbſchaft antreten wollen, ja ſie hatten die Ausſicht, in ſehr kurzer Zeit wahre Eigenthümer durch Uſucapion zu werden. Der Zuſtand derſelben wurde noch verwickelter und zweifelhafter durch dieſelbe Verordnung von Hadrian, indem nunmehr der wahre Erbe auch nach vollendeter Uſucapion die Erbſchaftsſachen durch eine Art von Reſtitution abfordern konnte (u).
Die Lage, und beſonders das Bewußtſeyn ſolcher Be- ſitzer mußte durch eine angeſtellte Klage von Grund aus verändert werden. Die bis zu dieſer Zeit mögliche Meinung, daß Niemand ſich der Erbſchaft annehmen wolle, war ſelbſt durch die neue Verordnung nicht ausgeſchloſſen. Sobald aber ein Kläger (ſey es der Erbe, oder der Fiscus) gegen ſie auftrat, hörte die bisherige halbe Redlichkeit ihres Be- wußtſeyns auf, und ſie wurden nun in der That unredliche Beſitzer im vollen Sinne des Worts. Auch mußte dieſe Veränderung eintreten, nicht erſt von der L. C. an, ſondern ſobald ihnen die wirkliche Anſtellung einer Klage bekannt wurde.
Daß nun gerade von dieſem eigenthümlichen Rechtsver- hältniß in dem Senatsſchluß von Hadrian die Rede war,
(u)Gajus II. § 58.
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§. 264. Wirkung der L. C. — Umfang. Einleitung.
zwiſchen redlichen und unredlichen Beſitzern. Sie wußten,
daß ſie kein wirkliches, gegenwärtiges Recht, ſowie ein
wahrer Erbe, auf die Sachen hatten (cum scirent ad se
non pertinere), aber ſie handelten doch in Kraft einer all-
gemeinen geſetzlichen Befugniß, ſie konnten glauben, es
werde Niemand die Erbſchaft antreten wollen, ja ſie hatten
die Ausſicht, in ſehr kurzer Zeit wahre Eigenthümer durch
Uſucapion zu werden. Der Zuſtand derſelben wurde noch
verwickelter und zweifelhafter durch dieſelbe Verordnung von
Hadrian, indem nunmehr der wahre Erbe auch nach
vollendeter Uſucapion die Erbſchaftsſachen durch eine Art
von Reſtitution abfordern konnte (u).
Die Lage, und beſonders das Bewußtſeyn ſolcher Be-
ſitzer mußte durch eine angeſtellte Klage von Grund aus
verändert werden. Die bis zu dieſer Zeit mögliche Meinung,
daß Niemand ſich der Erbſchaft annehmen wolle, war ſelbſt
durch die neue Verordnung nicht ausgeſchloſſen. Sobald
aber ein Kläger (ſey es der Erbe, oder der Fiscus) gegen
ſie auftrat, hörte die bisherige halbe Redlichkeit ihres Be-
wußtſeyns auf, und ſie wurden nun in der That unredliche
Beſitzer im vollen Sinne des Worts. Auch mußte dieſe
Veränderung eintreten, nicht erſt von der L. C. an, ſondern
ſobald ihnen die wirkliche Anſtellung einer Klage bekannt
wurde.
Daß nun gerade von dieſem eigenthümlichen Rechtsver-
hältniß in dem Senatsſchluß von Hadrian die Rede war,
(u) Gajus II. § 58.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/109>, abgerufen am 22.07.2024.
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