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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.
ecclesia Romana in einem ganz neuen, willkührlichen Sinn
genommen, da er ursprünglich blos den Gegensatz gegen
die orientalischen Kirchen bezeichnen sollte: theils war die
gänzliche Aufhebung der Novelle 9, die der Zeitgenosse
Julian ausdrücklich bezeugt, übersehen.

Die erste Anerkennung jenes neuen Rechtssatzes findet
sich um das J. 878 (r). Nachher hat Irnerius denselben
Satz ausgesprochen (s). Er wurde endlich bestätigt durch
Decretalen von Innocenz III. (t) und Bonifacius VIII. (u).

Aus dieser geschichtlichen Übersicht ergiebt sich zugleich,
für welche Fälle das Privilegium der 40 Jahre gelten
soll. Es tritt an die Stelle der außerdem geltenden 10,
20, 30 Jahre, ist also, im Sinn von Justinian, gewiß
auch anwendbar auf die Usucapion der Immobilien. Da-
gegen bleiben unverändert, also von dem Privilegium un-
berührt, alle kürzere Klagverjährungen, und neben diesen

(r) c. 17 C. 16 q. 3, von P.
Johannes VIII.
(s) Auth. Quas actiones C.
de SS. eccl. (1. 2.) "Quas actio-
nes alias decennalis, alias vi-
cennalis, alias tricennalis prae-
scriptio excludit: hae, si loco
religioso competant, quadra-
ginta annis excluduntur: usu-
capione triennii, vel quadrien-
nii praescriptione, in suo ro-
bore durantibus: sola Romana
ecclesia gaudente centum an-
norum spatio vel privilegio."

-- Mit Unrecht hat Irnerius we-
gen dieser Stelle viel leiden müs-
sen als Verfälscher des Römischen
Rechts. Allerdings steht in der
Überschrift als Quelle nur Nov.
131 C.
6, er hat aber diese aus
der Nov. 111 und dem längst un-
zweifelhaften Gerichtsgebrauch er-
gänzt, so daß man ihm nicht den
Vorwurf machen darf, er selbst
habe die Nov. 9 misverstanden und
unrichtig angewendet. Vgl. Sa-
vigny
Geschichte des R. R. im
Mittelalter B. 2 § 70.
(t) C. 13. 14. 17 X. de prae-
script.
(2. 26.) um 1206.
(u) C. 2 X. de praescr. in
VI,
(2. 13.) um 1300.

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ecclesia Romana in einem ganz neuen, willkührlichen Sinn
genommen, da er urſprünglich blos den Gegenſatz gegen
die orientaliſchen Kirchen bezeichnen ſollte: theils war die
gänzliche Aufhebung der Novelle 9, die der Zeitgenoſſe
Julian ausdrücklich bezeugt, überſehen.

Die erſte Anerkennung jenes neuen Rechtsſatzes findet
ſich um das J. 878 (r). Nachher hat Irnerius denſelben
Satz ausgeſprochen (s). Er wurde endlich beſtätigt durch
Decretalen von Innocenz III. (t) und Bonifacius VIII. (u).

Aus dieſer geſchichtlichen Überſicht ergiebt ſich zugleich,
für welche Fälle das Privilegium der 40 Jahre gelten
ſoll. Es tritt an die Stelle der außerdem geltenden 10,
20, 30 Jahre, iſt alſo, im Sinn von Juſtinian, gewiß
auch anwendbar auf die Uſucapion der Immobilien. Da-
gegen bleiben unverändert, alſo von dem Privilegium un-
berührt, alle kürzere Klagverjährungen, und neben dieſen

(r) c. 17 C. 16 q. 3, von P.
Johannes VIII.
(s) Auth. Quas actiones C.
de SS. eccl. (1. 2.) „Quas actio-
nes alias decennalis, alias vi-
cennalis, alias tricennalis prae-
scriptio excludit: hae, si loco
religioso competant, quadra-
ginta annis excluduntur: usu-
capione triennii, vel quadrien-
nii praescriptione, in suo ro-
bore durantibus: sola Romana
ecclesia gaudente centum an-
norum spatio vel privilegio.”

— Mit Unrecht hat Irnerius we-
gen dieſer Stelle viel leiden müſ-
ſen als Verfälſcher des Römiſchen
Rechts. Allerdings ſteht in der
Überſchrift als Quelle nur Nov.
131 C.
6, er hat aber dieſe aus
der Nov. 111 und dem längſt un-
zweifelhaften Gerichtsgebrauch er-
gänzt, ſo daß man ihm nicht den
Vorwurf machen darf, er ſelbſt
habe die Nov. 9 misverſtanden und
unrichtig angewendet. Vgl. Sa-
vigny
Geſchichte des R. R. im
Mittelalter B. 2 § 70.
(t) C. 13. 14. 17 X. de prae-
script.
(2. 26.) um 1206.
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[358/0372] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. ecclesia Romana in einem ganz neuen, willkührlichen Sinn genommen, da er urſprünglich blos den Gegenſatz gegen die orientaliſchen Kirchen bezeichnen ſollte: theils war die gänzliche Aufhebung der Novelle 9, die der Zeitgenoſſe Julian ausdrücklich bezeugt, überſehen. Die erſte Anerkennung jenes neuen Rechtsſatzes findet ſich um das J. 878 (r). Nachher hat Irnerius denſelben Satz ausgeſprochen (s). Er wurde endlich beſtätigt durch Decretalen von Innocenz III. (t) und Bonifacius VIII. (u). Aus dieſer geſchichtlichen Überſicht ergiebt ſich zugleich, für welche Fälle das Privilegium der 40 Jahre gelten ſoll. Es tritt an die Stelle der außerdem geltenden 10, 20, 30 Jahre, iſt alſo, im Sinn von Juſtinian, gewiß auch anwendbar auf die Uſucapion der Immobilien. Da- gegen bleiben unverändert, alſo von dem Privilegium un- berührt, alle kürzere Klagverjährungen, und neben dieſen (r) c. 17 C. 16 q. 3, von P. Johannes VIII. (s) Auth. Quas actiones C. de SS. eccl. (1. 2.) „Quas actio- nes alias decennalis, alias vi- cennalis, alias tricennalis prae- scriptio excludit: hae, si loco religioso competant, quadra- ginta annis excluduntur: usu- capione triennii, vel quadrien- nii praescriptione, in suo ro- bore durantibus: sola Romana ecclesia gaudente centum an- norum spatio vel privilegio.” — Mit Unrecht hat Irnerius we- gen dieſer Stelle viel leiden müſ- ſen als Verfälſcher des Römiſchen Rechts. Allerdings ſteht in der Überſchrift als Quelle nur Nov. 131 C. 6, er hat aber dieſe aus der Nov. 111 und dem längſt un- zweifelhaften Gerichtsgebrauch er- gänzt, ſo daß man ihm nicht den Vorwurf machen darf, er ſelbſt habe die Nov. 9 misverſtanden und unrichtig angewendet. Vgl. Sa- vigny Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 2 § 70. (t) C. 13. 14. 17 X. de prae- script. (2. 26.) um 1206. (u) C. 2 X. de praescr. in VI, (2. 13.) um 1300.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/372>, abgerufen am 23.12.2024.