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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841.

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§. 201. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Forts.)
ses Institut seinen Ursprung hat, kann es nicht als eine
Art von Ersitzung gedacht haben, da in mehreren Fällen
seiner Anwendung weder ein Besitz zum Grund liegt, noch
ein Privatrecht erworben, sondern nur ein öffentlicher Zu-
stand als rechtmäßig gegründet festgestellt wird (§ 196). --
Hätte man wirklich eine Art der Ersitzung in den Fällen
einführen wollen, worin jetzt die unvordenkliche Zeit gilt,
so wäre Nichts natürlicher gewesen, als eine bestimmte,
nur hinreichend lange Zeit vorzuschreiben, etwa 100 Jahre,
die man als Verjährungszeit im canonischen Recht ohne-
hin schon frühe angewendet hat. Daß man dieses nicht
that, sondern eine Zeit von unbestimmter Dauer, also ver-
schieden von allen bekannten Verjährungen, vorschrieb, zeigt
deutlich, daß man zwar einen ähnlichen Vortheil wie durch
Ersitzung erreichen wollte, nämlich die Feststellung schwan-
kender Rechtsverhältnisse, aber auf einem ganz anderen
Wege. -- Endlich, wenn wirklich eine gegenwärtige Ver-
änderung durch unvordenkliche Zeit bewirkt werden sollte,
so müßte doch dafür irgend ein Zeitpunkt angegeben wer-
den können; ein solcher ist aber hier gar nicht zu finden,
man möchte denn etwa den Tod des letzten Zeugen, der
den entgegen gesetzten Zustand gekannt hätte, als einen
solchen Zeitpunkt ansehen wollen (c). -- Das wahre Ver-
hältniß zur Ersitzung ist also dieses. Die Ersitzung ist
wirklich, ihrer Natur nach, dazu bestimmt, ein neues Recht
zu begründen, obgleich sie in vielen Fällen auch wohl da-

(c) Arndts S. 140.
IV. 34

§. 201. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)
ſes Inſtitut ſeinen Urſprung hat, kann es nicht als eine
Art von Erſitzung gedacht haben, da in mehreren Fällen
ſeiner Anwendung weder ein Beſitz zum Grund liegt, noch
ein Privatrecht erworben, ſondern nur ein öffentlicher Zu-
ſtand als rechtmäßig gegründet feſtgeſtellt wird (§ 196). —
Hätte man wirklich eine Art der Erſitzung in den Fällen
einführen wollen, worin jetzt die unvordenkliche Zeit gilt,
ſo wäre Nichts natürlicher geweſen, als eine beſtimmte,
nur hinreichend lange Zeit vorzuſchreiben, etwa 100 Jahre,
die man als Verjährungszeit im canoniſchen Recht ohne-
hin ſchon frühe angewendet hat. Daß man dieſes nicht
that, ſondern eine Zeit von unbeſtimmter Dauer, alſo ver-
ſchieden von allen bekannten Verjährungen, vorſchrieb, zeigt
deutlich, daß man zwar einen ähnlichen Vortheil wie durch
Erſitzung erreichen wollte, nämlich die Feſtſtellung ſchwan-
kender Rechtsverhältniſſe, aber auf einem ganz anderen
Wege. — Endlich, wenn wirklich eine gegenwärtige Ver-
änderung durch unvordenkliche Zeit bewirkt werden ſollte,
ſo müßte doch dafür irgend ein Zeitpunkt angegeben wer-
den können; ein ſolcher iſt aber hier gar nicht zu finden,
man möchte denn etwa den Tod des letzten Zeugen, der
den entgegen geſetzten Zuſtand gekannt hätte, als einen
ſolchen Zeitpunkt anſehen wollen (c). — Das wahre Ver-
hältniß zur Erſitzung iſt alſo dieſes. Die Erſitzung iſt
wirklich, ihrer Natur nach, dazu beſtimmt, ein neues Recht
zu begründen, obgleich ſie in vielen Fällen auch wohl da-

(c) Arndts S. 140.
IV. 34
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[529/0543] §. 201. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.) ſes Inſtitut ſeinen Urſprung hat, kann es nicht als eine Art von Erſitzung gedacht haben, da in mehreren Fällen ſeiner Anwendung weder ein Beſitz zum Grund liegt, noch ein Privatrecht erworben, ſondern nur ein öffentlicher Zu- ſtand als rechtmäßig gegründet feſtgeſtellt wird (§ 196). — Hätte man wirklich eine Art der Erſitzung in den Fällen einführen wollen, worin jetzt die unvordenkliche Zeit gilt, ſo wäre Nichts natürlicher geweſen, als eine beſtimmte, nur hinreichend lange Zeit vorzuſchreiben, etwa 100 Jahre, die man als Verjährungszeit im canoniſchen Recht ohne- hin ſchon frühe angewendet hat. Daß man dieſes nicht that, ſondern eine Zeit von unbeſtimmter Dauer, alſo ver- ſchieden von allen bekannten Verjährungen, vorſchrieb, zeigt deutlich, daß man zwar einen ähnlichen Vortheil wie durch Erſitzung erreichen wollte, nämlich die Feſtſtellung ſchwan- kender Rechtsverhältniſſe, aber auf einem ganz anderen Wege. — Endlich, wenn wirklich eine gegenwärtige Ver- änderung durch unvordenkliche Zeit bewirkt werden ſollte, ſo müßte doch dafür irgend ein Zeitpunkt angegeben wer- den können; ein ſolcher iſt aber hier gar nicht zu finden, man möchte denn etwa den Tod des letzten Zeugen, der den entgegen geſetzten Zuſtand gekannt hätte, als einen ſolchen Zeitpunkt anſehen wollen (c). — Das wahre Ver- hältniß zur Erſitzung iſt alſo dieſes. Die Erſitzung iſt wirklich, ihrer Natur nach, dazu beſtimmt, ein neues Recht zu begründen, obgleich ſie in vielen Fällen auch wohl da- (c) Arndts S. 140. IV. 34

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/543>, abgerufen am 22.11.2024.