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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
Lehre von der unvordenklichen Zeit ihr praktisches Wesen,
die eigenthümliche Art ihrer Wirksamkeit. Hierüber haben
sich folgende zwey Meynungen gebildet.

Nach Einigen ist sie eine wahre Verjährung, das heißt
es entsteht durch ihren Ablauf, eben so wie bey der Usu-
capion und der Klagverjährung, eine wirkliche Verände-
rung des Rechtszustandes, eine Erweiterung des Vermö-
gens durch ein neu erworbenes Recht (a).

Nach Anderen begründet sie blos die Vermuthung, daß
in einer längst vergangenen Zeit ein Recht durch einen
wirklichen, nur in Vergessenheit gerathenen, Erwerbsgrund
entstanden sey, so daß sie nicht gegenwärtig den Rechts-
zustand ändert, sondern blos den Beweis einer früheren
Änderung darbietet (b).

Die Gründe für die erste Meynung bestehen darin, daß
erstlich der allgemeine Verjährungsbegriff auf sie paßt
(§ 178), zweytens das canonische Recht den Ausdruck prae-
scriptio
dabey gebraucht (§ 198). Allein jener allgemeine
Verjährungsbegriff ist selbst grundlos und verwerflich, und
der Ausdruck des canonischen Rechts, der unter dem Ein-
fluß eines unächten Sprachgebrauchs gewählt worden ist,
kann über die Natur des Rechtsinstituts Nichts beweisen.

Aus folgenden Gründen ist die zweyte Meynung als
wahr anzunehmen. Das Römische Recht, in welchem die-

(a) Neller p. 114. 115. Un-
terholzner
§ 147. Pfeiffer
§ 2. 19.
(b) Wernher p. 746. Böhmer
§ 39. Thibaut S. 185. Arndts
S. 139 -- 142.

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Lehre von der unvordenklichen Zeit ihr praktiſches Weſen,
die eigenthümliche Art ihrer Wirkſamkeit. Hierüber haben
ſich folgende zwey Meynungen gebildet.

Nach Einigen iſt ſie eine wahre Verjährung, das heißt
es entſteht durch ihren Ablauf, eben ſo wie bey der Uſu-
capion und der Klagverjährung, eine wirkliche Verände-
rung des Rechtszuſtandes, eine Erweiterung des Vermö-
gens durch ein neu erworbenes Recht (a).

Nach Anderen begründet ſie blos die Vermuthung, daß
in einer längſt vergangenen Zeit ein Recht durch einen
wirklichen, nur in Vergeſſenheit gerathenen, Erwerbsgrund
entſtanden ſey, ſo daß ſie nicht gegenwärtig den Rechts-
zuſtand ändert, ſondern blos den Beweis einer früheren
Änderung darbietet (b).

Die Gründe für die erſte Meynung beſtehen darin, daß
erſtlich der allgemeine Verjährungsbegriff auf ſie paßt
(§ 178), zweytens das canoniſche Recht den Ausdruck prae-
scriptio
dabey gebraucht (§ 198). Allein jener allgemeine
Verjährungsbegriff iſt ſelbſt grundlos und verwerflich, und
der Ausdruck des canoniſchen Rechts, der unter dem Ein-
fluß eines unächten Sprachgebrauchs gewählt worden iſt,
kann über die Natur des Rechtsinſtituts Nichts beweiſen.

Aus folgenden Gründen iſt die zweyte Meynung als
wahr anzunehmen. Das Römiſche Recht, in welchem die-

(a) Neller p. 114. 115. Un-
terholzner
§ 147. Pfeiffer
§ 2. 19.
(b) Wernher p. 746. Böhmer
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S. 139 — 142.
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[528/0542] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. Lehre von der unvordenklichen Zeit ihr praktiſches Weſen, die eigenthümliche Art ihrer Wirkſamkeit. Hierüber haben ſich folgende zwey Meynungen gebildet. Nach Einigen iſt ſie eine wahre Verjährung, das heißt es entſteht durch ihren Ablauf, eben ſo wie bey der Uſu- capion und der Klagverjährung, eine wirkliche Verände- rung des Rechtszuſtandes, eine Erweiterung des Vermö- gens durch ein neu erworbenes Recht (a). Nach Anderen begründet ſie blos die Vermuthung, daß in einer längſt vergangenen Zeit ein Recht durch einen wirklichen, nur in Vergeſſenheit gerathenen, Erwerbsgrund entſtanden ſey, ſo daß ſie nicht gegenwärtig den Rechts- zuſtand ändert, ſondern blos den Beweis einer früheren Änderung darbietet (b). Die Gründe für die erſte Meynung beſtehen darin, daß erſtlich der allgemeine Verjährungsbegriff auf ſie paßt (§ 178), zweytens das canoniſche Recht den Ausdruck prae- scriptio dabey gebraucht (§ 198). Allein jener allgemeine Verjährungsbegriff iſt ſelbſt grundlos und verwerflich, und der Ausdruck des canoniſchen Rechts, der unter dem Ein- fluß eines unächten Sprachgebrauchs gewählt worden iſt, kann über die Natur des Rechtsinſtituts Nichts beweiſen. Aus folgenden Gründen iſt die zweyte Meynung als wahr anzunehmen. Das Römiſche Recht, in welchem die- (a) Neller p. 114. 115. Un- terholzner § 147. Pfeiffer § 2. 19. (b) Wernher p. 746. Böhmer § 39. Thibaut S. 185. Arndts S. 139 — 142.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/542>, abgerufen am 22.11.2024.