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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841.

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§. 198. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht.
eine streng durchgeführte Gleichheit erwarten wird (h). Die
größte Abweichung von der richtigen Auffassung bestand
in der sehr häufigen Anwendung der unvordenklichen Zeit
auf die Servituten (§ 197).

Was den inneren Werth dieses Rechtsinstituts betrifft,
so haben sich von alter Zeit her praktische Schriftsteller
bestimmt, und zum Theil in den stärksten Ausdrücken, da-
gegen ausgesprochen (i). Dagegen hat dasselbe neuerlich
einen sehr warmen Vertheidiger gefunden, der es überaus
hoch gestellt hat (k). Vielleicht lassen sich diese streitende
Meynungen auf folgende Weise vereinigen. Im öffentli-
chen Recht ist die unvordenkliche Zeit durchaus nicht zu
entbehren (§ 195), und es ist ganz gleichgültig, wie wir
Juristen darüber urtheilen, sie wird sich unfehlbar Bahn
brechen, so oft eine Veranlassung dazu erscheint. Auch
im Privatrecht würde sie sich geltend machen, wenn nicht
überall durch bestimmte und kurze Verjährungen aller Art
für dieselben Zwecke im positiven Recht auf weit heilsa-
mere Weise gesorgt wäre. Denn wer die unvordenkliche
Zeit aus Erfahrung kennt, sey es durch eigene, persön-
liche Rechtsverhältnisse, oder durch richterliche Geschäfte,
wird wohl darüber schwerlich im Zweifel seyn können,
daß ihr jede Verjährung von bestimmter Zeit weit vorzu-

(h) Viele Fälle der Anwen-
dung, vom zwölften Jahrhundert
her, sind zusammen gestellt bey
Kress p. 58--61.
(i) Ludewig opuscula mis-
cella T. 1 p. 508--511. Neller
p.
117. Besonders aber die bey
Schelling S. 103 abgedruckte
heftige Stelle aus einer Disser-
tation von Senckenberg.
(k) Göschel zerstreute Blät-
ter Th. 1 S. 373--378.

§. 198. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht.
eine ſtreng durchgeführte Gleichheit erwarten wird (h). Die
größte Abweichung von der richtigen Auffaſſung beſtand
in der ſehr häufigen Anwendung der unvordenklichen Zeit
auf die Servituten (§ 197).

Was den inneren Werth dieſes Rechtsinſtituts betrifft,
ſo haben ſich von alter Zeit her praktiſche Schriftſteller
beſtimmt, und zum Theil in den ſtärkſten Ausdrücken, da-
gegen ausgeſprochen (i). Dagegen hat daſſelbe neuerlich
einen ſehr warmen Vertheidiger gefunden, der es überaus
hoch geſtellt hat (k). Vielleicht laſſen ſich dieſe ſtreitende
Meynungen auf folgende Weiſe vereinigen. Im öffentli-
chen Recht iſt die unvordenkliche Zeit durchaus nicht zu
entbehren (§ 195), und es iſt ganz gleichgültig, wie wir
Juriſten darüber urtheilen, ſie wird ſich unfehlbar Bahn
brechen, ſo oft eine Veranlaſſung dazu erſcheint. Auch
im Privatrecht würde ſie ſich geltend machen, wenn nicht
überall durch beſtimmte und kurze Verjährungen aller Art
für dieſelben Zwecke im poſitiven Recht auf weit heilſa-
mere Weiſe geſorgt wäre. Denn wer die unvordenkliche
Zeit aus Erfahrung kennt, ſey es durch eigene, perſön-
liche Rechtsverhältniſſe, oder durch richterliche Geſchäfte,
wird wohl darüber ſchwerlich im Zweifel ſeyn können,
daß ihr jede Verjährung von beſtimmter Zeit weit vorzu-

(h) Viele Fälle der Anwen-
dung, vom zwölften Jahrhundert
her, ſind zuſammen geſtellt bey
Kress p. 58—61.
(i) Ludewig opuscula mis-
cella T. 1 p. 508—511. Neller
p.
117. Beſonders aber die bey
Schelling S. 103 abgedruckte
heftige Stelle aus einer Diſſer-
tation von Senckenberg.
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ter Th. 1 S. 373—378.
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[511/0525] §. 198. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht. eine ſtreng durchgeführte Gleichheit erwarten wird (h). Die größte Abweichung von der richtigen Auffaſſung beſtand in der ſehr häufigen Anwendung der unvordenklichen Zeit auf die Servituten (§ 197). Was den inneren Werth dieſes Rechtsinſtituts betrifft, ſo haben ſich von alter Zeit her praktiſche Schriftſteller beſtimmt, und zum Theil in den ſtärkſten Ausdrücken, da- gegen ausgeſprochen (i). Dagegen hat daſſelbe neuerlich einen ſehr warmen Vertheidiger gefunden, der es überaus hoch geſtellt hat (k). Vielleicht laſſen ſich dieſe ſtreitende Meynungen auf folgende Weiſe vereinigen. Im öffentli- chen Recht iſt die unvordenkliche Zeit durchaus nicht zu entbehren (§ 195), und es iſt ganz gleichgültig, wie wir Juriſten darüber urtheilen, ſie wird ſich unfehlbar Bahn brechen, ſo oft eine Veranlaſſung dazu erſcheint. Auch im Privatrecht würde ſie ſich geltend machen, wenn nicht überall durch beſtimmte und kurze Verjährungen aller Art für dieſelben Zwecke im poſitiven Recht auf weit heilſa- mere Weiſe geſorgt wäre. Denn wer die unvordenkliche Zeit aus Erfahrung kennt, ſey es durch eigene, perſön- liche Rechtsverhältniſſe, oder durch richterliche Geſchäfte, wird wohl darüber ſchwerlich im Zweifel ſeyn können, daß ihr jede Verjährung von beſtimmter Zeit weit vorzu- (h) Viele Fälle der Anwen- dung, vom zwölften Jahrhundert her, ſind zuſammen geſtellt bey Kress p. 58—61. (i) Ludewig opuscula mis- cella T. 1 p. 508—511. Neller p. 117. Beſonders aber die bey Schelling S. 103 abgedruckte heftige Stelle aus einer Diſſer- tation von Senckenberg. (k) Göſchel zerſtreute Blät- ter Th. 1 S. 373—378.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/525>, abgerufen am 04.06.2024.