Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
ziehen ist; ja es wird aus der nachfolgenden praktischen Darstellung einleuchtend werden, daß sie in der Anwen- dung von einer großen Willkührlichkeit und Unsicherheit nicht frey zu halten ist. Wer sie also für heilsam, oder gar für unentbehrlich erklärt, kann Dieses wohl nur thun in Vergleichung mit einem Zustand, der ganz ohne Ver- jährung wäre; ein solcher aber kommt in unsrem Privat- recht nicht vor.
Diese Ansicht hat denn auch in dem Verfahren neuerer Gesetzgeber ihre Bestätigung gefunden. Das Französische Gesetzbuch hat die unvordenkliche Verjährung ganz abge- schafft, indem es diejenigen Servituten, worin sie durch die frühere Praxis angewendet wurde, für ganz unver- jährbar erklärt (l). Auch das Preußische Gesetz hat sie nicht in sich aufgenommen. Dasselbe hat aber in einigen Fällen, worin sie nach gemeinem Recht gelten würde, mit augenscheinlicher Rücksicht auf sie, Verjährungen von be- stimmter, nur ungewöhnlich langer Zeit vorgeschrieben. So soll der Besitz der Steuerfreyheit nach 50 Jahren die Vermuthung eines rechtmäßigen Erwerbs erzeugen (m). Eben so der Besitz des Adels, wenn derselbe entweder im Jahr 1740 bestanden, oder durch einen Zeitraum von 44 Jahren fortgedauert hat (n).
(l)Code civil art. 691.
(m) A. L. R. I. 9 § 655--659.
(n) A. L. R. II. 9 § 18. 19.
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ziehen iſt; ja es wird aus der nachfolgenden praktiſchen Darſtellung einleuchtend werden, daß ſie in der Anwen- dung von einer großen Willkührlichkeit und Unſicherheit nicht frey zu halten iſt. Wer ſie alſo für heilſam, oder gar für unentbehrlich erklärt, kann Dieſes wohl nur thun in Vergleichung mit einem Zuſtand, der ganz ohne Ver- jährung wäre; ein ſolcher aber kommt in unſrem Privat- recht nicht vor.
Dieſe Anſicht hat denn auch in dem Verfahren neuerer Geſetzgeber ihre Beſtätigung gefunden. Das Franzöſiſche Geſetzbuch hat die unvordenkliche Verjährung ganz abge- ſchafft, indem es diejenigen Servituten, worin ſie durch die frühere Praxis angewendet wurde, für ganz unver- jährbar erklärt (l). Auch das Preußiſche Geſetz hat ſie nicht in ſich aufgenommen. Daſſelbe hat aber in einigen Fällen, worin ſie nach gemeinem Recht gelten würde, mit augenſcheinlicher Rückſicht auf ſie, Verjährungen von be- ſtimmter, nur ungewöhnlich langer Zeit vorgeſchrieben. So ſoll der Beſitz der Steuerfreyheit nach 50 Jahren die Vermuthung eines rechtmäßigen Erwerbs erzeugen (m). Eben ſo der Beſitz des Adels, wenn derſelbe entweder im Jahr 1740 beſtanden, oder durch einen Zeitraum von 44 Jahren fortgedauert hat (n).
(l)Code civil art. 691.
(m) A. L. R. I. 9 § 655—659.
(n) A. L. R. II. 9 § 18. 19.
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ziehen iſt; ja es wird aus der nachfolgenden praktiſchen
Darſtellung einleuchtend werden, daß ſie in der Anwen-
dung von einer großen Willkührlichkeit und Unſicherheit
nicht frey zu halten iſt. Wer ſie alſo für heilſam, oder
gar für unentbehrlich erklärt, kann Dieſes wohl nur thun
in Vergleichung mit einem Zuſtand, der ganz ohne Ver-
jährung wäre; ein ſolcher aber kommt in unſrem Privat-
recht nicht vor.
Dieſe Anſicht hat denn auch in dem Verfahren neuerer
Geſetzgeber ihre Beſtätigung gefunden. Das Franzöſiſche
Geſetzbuch hat die unvordenkliche Verjährung ganz abge-
ſchafft, indem es diejenigen Servituten, worin ſie durch
die frühere Praxis angewendet wurde, für ganz unver-
jährbar erklärt (l). Auch das Preußiſche Geſetz hat ſie
nicht in ſich aufgenommen. Daſſelbe hat aber in einigen
Fällen, worin ſie nach gemeinem Recht gelten würde, mit
augenſcheinlicher Rückſicht auf ſie, Verjährungen von be-
ſtimmter, nur ungewöhnlich langer Zeit vorgeſchrieben.
So ſoll der Beſitz der Steuerfreyheit nach 50 Jahren die
Vermuthung eines rechtmäßigen Erwerbs erzeugen (m).
Eben ſo der Beſitz des Adels, wenn derſelbe entweder im
Jahr 1740 beſtanden, oder durch einen Zeitraum von 44
Jahren fortgedauert hat (n).
(l) Code civil art. 691.
(m) A. L. R. I. 9 § 655—659.
(n) A. L. R. II. 9 § 18. 19.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/526>, abgerufen am 03.02.2025.
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