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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
gelten konnte, weil die Betheiligten uneinig waren, woll-
ten die Sabinianer die individuelle Verschiedenheit, die ja
auch außer dem Fall des Streites galt, beybehalten,
und nur der eigenen freyen Wahl des Zeitpunktes die kör-
perliche Untersuchung substituiren. Der Fall eines solchen
Streites aber kam wohl nur selten vor. Er setzt voraus
einen Pupillen, der nach Unabhängigkeit strebt, und einen
Tutor, der die Herrschaft nicht aufgeben will. Aber die-
ser Fall war gewiß selten, weil die Führung der Pupil-
lartutel, wie wir aus den sehr ausgebildeten Excusationen
wissen, fast immer als unerwünscht galt, indem sie Mühe
ohne Lohn, und gefährliche Verantwortung mit sich führte.
Aus dieser Seltenheit eines solchen Rechtsstreits erklärt es
sich auch wohl, warum die ganze Frage, die auf den
ersten Blick eine solche praktische Wichtigkeit für das täg-
liche Leben zu haben scheint, dennoch erst zur Zeit der
zwey Schulen angeregt wurde, und sich in diesen Schulen
lange als theoretischer Streit erhalten konnte, ohne durch
feste Praxis oder Gesetzgebung beseitigt zu werden.

Diese letzte Betrachtung hat nun auch Einfluß auf Das,
was wir über den späteren Zustand der Sache anzuneh-
men haben. Es mag seyn, daß hie und da einmal die
Frage vor Gericht gebracht worden ist (q), selten genug
geschah Dieses gewiß, und zu der Annahme, daß jemals

(q) Quinctilian. Inst. or. IV.
2 "cum .. de jure quaeritur
apud centumviros ... pubertas
annis an habitu corporis aesti-
metur."

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
gelten konnte, weil die Betheiligten uneinig waren, woll-
ten die Sabinianer die individuelle Verſchiedenheit, die ja
auch außer dem Fall des Streites galt, beybehalten,
und nur der eigenen freyen Wahl des Zeitpunktes die kör-
perliche Unterſuchung ſubſtituiren. Der Fall eines ſolchen
Streites aber kam wohl nur ſelten vor. Er ſetzt voraus
einen Pupillen, der nach Unabhängigkeit ſtrebt, und einen
Tutor, der die Herrſchaft nicht aufgeben will. Aber die-
ſer Fall war gewiß ſelten, weil die Führung der Pupil-
lartutel, wie wir aus den ſehr ausgebildeten Excuſationen
wiſſen, faſt immer als unerwünſcht galt, indem ſie Mühe
ohne Lohn, und gefährliche Verantwortung mit ſich führte.
Aus dieſer Seltenheit eines ſolchen Rechtsſtreits erklärt es
ſich auch wohl, warum die ganze Frage, die auf den
erſten Blick eine ſolche praktiſche Wichtigkeit für das täg-
liche Leben zu haben ſcheint, dennoch erſt zur Zeit der
zwey Schulen angeregt wurde, und ſich in dieſen Schulen
lange als theoretiſcher Streit erhalten konnte, ohne durch
feſte Praxis oder Geſetzgebung beſeitigt zu werden.

Dieſe letzte Betrachtung hat nun auch Einfluß auf Das,
was wir über den ſpäteren Zuſtand der Sache anzuneh-
men haben. Es mag ſeyn, daß hie und da einmal die
Frage vor Gericht gebracht worden iſt (q), ſelten genug
geſchah Dieſes gewiß, und zu der Annahme, daß jemals

(q) Quinctilian. Inst. or. IV.
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apud centumviros … pubertas
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metur.”
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[64/0076] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. gelten konnte, weil die Betheiligten uneinig waren, woll- ten die Sabinianer die individuelle Verſchiedenheit, die ja auch außer dem Fall des Streites galt, beybehalten, und nur der eigenen freyen Wahl des Zeitpunktes die kör- perliche Unterſuchung ſubſtituiren. Der Fall eines ſolchen Streites aber kam wohl nur ſelten vor. Er ſetzt voraus einen Pupillen, der nach Unabhängigkeit ſtrebt, und einen Tutor, der die Herrſchaft nicht aufgeben will. Aber die- ſer Fall war gewiß ſelten, weil die Führung der Pupil- lartutel, wie wir aus den ſehr ausgebildeten Excuſationen wiſſen, faſt immer als unerwünſcht galt, indem ſie Mühe ohne Lohn, und gefährliche Verantwortung mit ſich führte. Aus dieſer Seltenheit eines ſolchen Rechtsſtreits erklärt es ſich auch wohl, warum die ganze Frage, die auf den erſten Blick eine ſolche praktiſche Wichtigkeit für das täg- liche Leben zu haben ſcheint, dennoch erſt zur Zeit der zwey Schulen angeregt wurde, und ſich in dieſen Schulen lange als theoretiſcher Streit erhalten konnte, ohne durch feſte Praxis oder Geſetzgebung beſeitigt zu werden. Dieſe letzte Betrachtung hat nun auch Einfluß auf Das, was wir über den ſpäteren Zuſtand der Sache anzuneh- men haben. Es mag ſeyn, daß hie und da einmal die Frage vor Gericht gebracht worden iſt (q), ſelten genug geſchah Dieſes gewiß, und zu der Annahme, daß jemals (q) Quinctilian. Inst. or. IV. 2 „cum .. de jure quaeritur apud centumviros … pubertas annis an habitu corporis aesti- metur.”

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/76>, abgerufen am 06.05.2024.