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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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§. 63. Ende der Rechtsfähigkeit.
nicht mit dem Ablauf der Siebenzig Jahre seit der er-
weislichen Geburt, sondern erst wenn ein rechtskräftiges
Erkenntniß die Todeserklärung ausgesprochen hat. Sie
berufen sich darauf, daß die übliche Edictalladung außer-
dem nicht blos zwecklos, sondern selbst absurd seyn würde.
Allein diese Ladung ist dazu bestimmt, wo möglich die
Präsumtion durch erlangte Gewißheit entbehrlich zu ma-
chen. Gelingt dieses, so entscheidet die alsdann erkannte
Wahrheit; mislingt es, so muß die volle Wirkung der
Präsumtion eintreten. Das richterliche Erkenntniß ist blos
declaratorisch, und kann das Rechtsverhältniß selbst nicht
ändern; es setzt außer Zweifel, sowohl den Ablauf der
Siebenzig Jahre, als die Erfolglosigkeit der Edictalla-
dung. Es wäre aber ganz willkührlich und grundlos,
wenn durch zufällige, oder sogar durch absichtliche, Ver-
zögerung der Todeserklärung andere Erben herbeygeführt
werden könnten, als die welche bey Ablauf der Siebenzig
Jahre den nächsten Anspruch hatten (d). -- Diese allgemei-
nere Vermuthung ist denn nach gemeinem Recht die einzige

Beerbung des Verschollenen. Da-
bey wird die hier angenommene
Meynung als Successio ex nunc
bezeichnet, die entgegengesetzte als
Successio ex tunc.
(d) Für die hier vertheidigte
Meynung vgl. Glück und Heise
a. a. O.; ferner Mittermaier
deutsches Privatrecht § 448 ed. 5.
Für die entgegengesetzte Meynung
Eichhorn deutsches Privatrecht
§ 327 ed. 4, Vangerow Pan-
dekten I. S. 57. -- Das Preußi-
sche A. L. R. II. 18 § 835 sieht
zwar auf die Zeit des Erkennt-
nisses, jedoch nur wenn vor 70 Jah-
ren der Tod angenommen werden
soll, denn von diesem Alter an
ist keine Todeserklärung nöthig.
L. R. I. 1. § 38.
2*

§. 63. Ende der Rechtsfähigkeit.
nicht mit dem Ablauf der Siebenzig Jahre ſeit der er-
weislichen Geburt, ſondern erſt wenn ein rechtskräftiges
Erkenntniß die Todeserklärung ausgeſprochen hat. Sie
berufen ſich darauf, daß die übliche Edictalladung außer-
dem nicht blos zwecklos, ſondern ſelbſt abſurd ſeyn würde.
Allein dieſe Ladung iſt dazu beſtimmt, wo möglich die
Präſumtion durch erlangte Gewißheit entbehrlich zu ma-
chen. Gelingt dieſes, ſo entſcheidet die alsdann erkannte
Wahrheit; mislingt es, ſo muß die volle Wirkung der
Präſumtion eintreten. Das richterliche Erkenntniß iſt blos
declaratoriſch, und kann das Rechtsverhältniß ſelbſt nicht
ändern; es ſetzt außer Zweifel, ſowohl den Ablauf der
Siebenzig Jahre, als die Erfolgloſigkeit der Edictalla-
dung. Es wäre aber ganz willkührlich und grundlos,
wenn durch zufällige, oder ſogar durch abſichtliche, Ver-
zögerung der Todeserklärung andere Erben herbeygeführt
werden könnten, als die welche bey Ablauf der Siebenzig
Jahre den nächſten Anſpruch hatten (d). — Dieſe allgemei-
nere Vermuthung iſt denn nach gemeinem Recht die einzige

Beerbung des Verſchollenen. Da-
bey wird die hier angenommene
Meynung als Successio ex nunc
bezeichnet, die entgegengeſetzte als
Successio ex tunc.
(d) Für die hier vertheidigte
Meynung vgl. Glück und Heiſe
a. a. O.; ferner Mittermaier
deutſches Privatrecht § 448 ed. 5.
Für die entgegengeſetzte Meynung
Eichhorn deutſches Privatrecht
§ 327 ed. 4, Vangerow Pan-
dekten I. S. 57. — Das Preußi-
ſche A. L. R. II. 18 § 835 ſieht
zwar auf die Zeit des Erkennt-
niſſes, jedoch nur wenn vor 70 Jah-
ren der Tod angenommen werden
ſoll, denn von dieſem Alter an
iſt keine Todeserklärung nöthig.
L. R. I. 1. § 38.
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[19/0033] §. 63. Ende der Rechtsfähigkeit. nicht mit dem Ablauf der Siebenzig Jahre ſeit der er- weislichen Geburt, ſondern erſt wenn ein rechtskräftiges Erkenntniß die Todeserklärung ausgeſprochen hat. Sie berufen ſich darauf, daß die übliche Edictalladung außer- dem nicht blos zwecklos, ſondern ſelbſt abſurd ſeyn würde. Allein dieſe Ladung iſt dazu beſtimmt, wo möglich die Präſumtion durch erlangte Gewißheit entbehrlich zu ma- chen. Gelingt dieſes, ſo entſcheidet die alsdann erkannte Wahrheit; mislingt es, ſo muß die volle Wirkung der Präſumtion eintreten. Das richterliche Erkenntniß iſt blos declaratoriſch, und kann das Rechtsverhältniß ſelbſt nicht ändern; es ſetzt außer Zweifel, ſowohl den Ablauf der Siebenzig Jahre, als die Erfolgloſigkeit der Edictalla- dung. Es wäre aber ganz willkührlich und grundlos, wenn durch zufällige, oder ſogar durch abſichtliche, Ver- zögerung der Todeserklärung andere Erben herbeygeführt werden könnten, als die welche bey Ablauf der Siebenzig Jahre den nächſten Anſpruch hatten (d). — Dieſe allgemei- nere Vermuthung iſt denn nach gemeinem Recht die einzige (c) (d) Für die hier vertheidigte Meynung vgl. Glück und Heiſe a. a. O.; ferner Mittermaier deutſches Privatrecht § 448 ed. 5. Für die entgegengeſetzte Meynung Eichhorn deutſches Privatrecht § 327 ed. 4, Vangerow Pan- dekten I. S. 57. — Das Preußi- ſche A. L. R. II. 18 § 835 ſieht zwar auf die Zeit des Erkennt- niſſes, jedoch nur wenn vor 70 Jah- ren der Tod angenommen werden ſoll, denn von dieſem Alter an iſt keine Todeserklärung nöthig. L. R. I. 1. § 38. (c) Beerbung des Verſchollenen. Da- bey wird die hier angenommene Meynung als Successio ex nunc bezeichnet, die entgegengeſetzte als Successio ex tunc. 2*

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/33>, abgerufen am 25.04.2024.