§. 76. Einschränkung der Rechtsfähigkeit durch Infamie. Einleitung.
Die bisher dargestellten Beschränkungen der Rechtsfä- higkeit sind aus zwey Gründen als Bestandtheile des heu- tigen Römischen Rechts zu behandeln: erstlich, weil das System des Privatrechts von alter Zeit her so ganz mit ihnen verflochten war, daß eine gründliche Einsicht auch in dessen neueste Gestalt ohne die genaue Kenntniß jener Beschränkungen eben so wenig möglich ist, als die sichere Abwehrung der verwirrendsten Irrthümer: zweytens weil von denselben auch in dem neuesten Recht bedeutende Stücke erhalten sind, die abgetrennt von ihrem früheren Zusammenhang in ihrem eigentlichen Wesen nicht verstan- den werden können.
Beide Gründe sind nicht vorhanden bey einigen ande- ren Beschränkungen, die stets nur eine sehr isolirte Ein- wirkung auf die Rechtsfähigkeit gehabt haben, in dem neuesten Recht aber, wie ich glaube, ganz verschwun- den sind: ich meyne die Infamie, und die Religionsver- schiedenheit. Beide sind, insoweit sie dem Römischen Recht angehören, als antiquirte Institute zu betrachten. Da aber die herrschende Meynung mit der hier ausgesproch- nen nicht ganz übereinstimmt, und daher in den neueren Systemen jene Institute als Bestandtheile des heutigen ge- meinen Rechts aufgeführt zu werden pflegen, so konnte
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen.
§. 76. Einſchränkung der Rechtsfähigkeit durch Infamie. Einleitung.
Die bisher dargeſtellten Beſchränkungen der Rechtsfä- higkeit ſind aus zwey Gründen als Beſtandtheile des heu- tigen Römiſchen Rechts zu behandeln: erſtlich, weil das Syſtem des Privatrechts von alter Zeit her ſo ganz mit ihnen verflochten war, daß eine gründliche Einſicht auch in deſſen neueſte Geſtalt ohne die genaue Kenntniß jener Beſchränkungen eben ſo wenig möglich iſt, als die ſichere Abwehrung der verwirrendſten Irrthümer: zweytens weil von denſelben auch in dem neueſten Recht bedeutende Stücke erhalten ſind, die abgetrennt von ihrem früheren Zuſammenhang in ihrem eigentlichen Weſen nicht verſtan- den werden können.
Beide Gründe ſind nicht vorhanden bey einigen ande- ren Beſchränkungen, die ſtets nur eine ſehr iſolirte Ein- wirkung auf die Rechtsfähigkeit gehabt haben, in dem neueſten Recht aber, wie ich glaube, ganz verſchwun- den ſind: ich meyne die Infamie, und die Religionsver- ſchiedenheit. Beide ſind, inſoweit ſie dem Römiſchen Recht angehören, als antiquirte Inſtitute zu betrachten. Da aber die herrſchende Meynung mit der hier ausgeſproch- nen nicht ganz übereinſtimmt, und daher in den neueren Syſtemen jene Inſtitute als Beſtandtheile des heutigen ge- meinen Rechts aufgeführt zu werden pflegen, ſo konnte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0184"n="170"/><fwplace="top"type="header">Buch <hirendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältniſſe. Kap. <hirendition="#aq">II.</hi> Perſonen.</fw><lb/><divn="3"><head>§. 76.<lb/><hirendition="#g">Einſchränkung der Rechtsfähigkeit durch Infamie.<lb/>
Einleitung</hi>.</head><lb/><p>Die bisher dargeſtellten Beſchränkungen der Rechtsfä-<lb/>
higkeit ſind aus zwey Gründen als Beſtandtheile des heu-<lb/>
tigen Römiſchen Rechts zu behandeln: erſtlich, weil das<lb/>
Syſtem des Privatrechts von alter Zeit her ſo ganz mit<lb/>
ihnen verflochten war, daß eine gründliche Einſicht auch<lb/>
in deſſen neueſte Geſtalt ohne die genaue Kenntniß jener<lb/>
Beſchränkungen eben ſo wenig möglich iſt, als die ſichere<lb/>
Abwehrung der verwirrendſten Irrthümer: zweytens weil<lb/>
von denſelben auch in dem neueſten Recht bedeutende<lb/>
Stücke erhalten ſind, die abgetrennt von ihrem früheren<lb/>
Zuſammenhang in ihrem eigentlichen Weſen nicht verſtan-<lb/>
den werden können.</p><lb/><p>Beide Gründe ſind nicht vorhanden bey einigen ande-<lb/>
ren Beſchränkungen, die ſtets nur eine ſehr iſolirte Ein-<lb/>
wirkung auf die Rechtsfähigkeit gehabt haben, in dem<lb/>
neueſten Recht aber, wie ich glaube, ganz verſchwun-<lb/>
den ſind: ich meyne die Infamie, und die Religionsver-<lb/>ſchiedenheit. Beide ſind, inſoweit ſie dem Römiſchen Recht<lb/>
angehören, als antiquirte Inſtitute zu betrachten. Da<lb/>
aber die herrſchende Meynung mit der hier ausgeſproch-<lb/>
nen nicht ganz übereinſtimmt, und daher in den neueren<lb/>
Syſtemen jene Inſtitute als Beſtandtheile des heutigen ge-<lb/>
meinen Rechts aufgeführt zu werden pflegen, ſo konnte<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[170/0184]
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen.
§. 76.
Einſchränkung der Rechtsfähigkeit durch Infamie.
Einleitung.
Die bisher dargeſtellten Beſchränkungen der Rechtsfä-
higkeit ſind aus zwey Gründen als Beſtandtheile des heu-
tigen Römiſchen Rechts zu behandeln: erſtlich, weil das
Syſtem des Privatrechts von alter Zeit her ſo ganz mit
ihnen verflochten war, daß eine gründliche Einſicht auch
in deſſen neueſte Geſtalt ohne die genaue Kenntniß jener
Beſchränkungen eben ſo wenig möglich iſt, als die ſichere
Abwehrung der verwirrendſten Irrthümer: zweytens weil
von denſelben auch in dem neueſten Recht bedeutende
Stücke erhalten ſind, die abgetrennt von ihrem früheren
Zuſammenhang in ihrem eigentlichen Weſen nicht verſtan-
den werden können.
Beide Gründe ſind nicht vorhanden bey einigen ande-
ren Beſchränkungen, die ſtets nur eine ſehr iſolirte Ein-
wirkung auf die Rechtsfähigkeit gehabt haben, in dem
neueſten Recht aber, wie ich glaube, ganz verſchwun-
den ſind: ich meyne die Infamie, und die Religionsver-
ſchiedenheit. Beide ſind, inſoweit ſie dem Römiſchen Recht
angehören, als antiquirte Inſtitute zu betrachten. Da
aber die herrſchende Meynung mit der hier ausgeſproch-
nen nicht ganz übereinſtimmt, und daher in den neueren
Syſtemen jene Inſtitute als Beſtandtheile des heutigen ge-
meinen Rechts aufgeführt zu werden pflegen, ſo konnte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/184>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.