Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
selbe dem Einzelnen, der in seinem Recht verletzt wird,
Schutz zu gewähren gegen diese Verletzung; die Regeln,
unter welchen diese Thätigkeit steht, nennen wir den Ci-
vilprozeß
. Zweytens hat er das verletzte Recht an sich
zu vertreten und wiederherzustellen, ohne Rücksicht auf das
individuelle Interesse. Dieses geschieht durch die Strafe,
durch welche der menschliche Wille, im beschränkteren Ge-
biet des Rechts, das in der höheren Weltordnung wal-
tende Gesetz sittlicher Vergeltung nachbildet (b). Die Re-
geln, unter welchen diese Thätigkeit steht, nennen wir das
Criminalrecht, von welchem der Criminalprozeß nur
einen Theil bildet (c). Civilprozeß, Criminalrecht und
Criminalprozeß, sind demnach Theile des Staatsrechts,
und wurden bey den Römern auch so angesehen. Daß
uns in neueren Zeiten diese Auffassung fremder geworden
ist, hat seinen Grund in folgenden Umständen. Die Hand-
habung des Criminalrechts ist oft an dieselben Richterbe-
hörden, wie der Schutz des Privatrechts, gewiesen wor-

(b) Insoweit kann man sagen,
daß die allgemeine sittliche Ord-
nung der Vergeltung, in einer
beschränkten Weise, die Natur
einer Rechtsanstalt annimmt, und
als solche vom Staate in Aus-
führung zu bringen ist. Vergl.
Hegel Naturrecht §. 102. 103.
220. Klenze Lehrbuch des Straf-
rechts S. X -- XVII.
(c) Es hängt von dem positi-
ven Recht eines jeden Staates
ab, wie weit der Staat dieses
Recht unmittelbar ausüben, oder
die Ausübung desselben den ver-
letzten Einzelnen, noch neben der
Verfolgung ihrer eigenen Rechte,
überlassen will. Diese letzte Be-
handlung liegt den Römischen
Privatstrafen zum Grunde. Eine
vollständigere Ausbildung der
Staatsgewalt wird überall dahin
führen, diesen letzten Weg zu
verlassen.

Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
ſelbe dem Einzelnen, der in ſeinem Recht verletzt wird,
Schutz zu gewähren gegen dieſe Verletzung; die Regeln,
unter welchen dieſe Thätigkeit ſteht, nennen wir den Ci-
vilprozeß
. Zweytens hat er das verletzte Recht an ſich
zu vertreten und wiederherzuſtellen, ohne Rückſicht auf das
individuelle Intereſſe. Dieſes geſchieht durch die Strafe,
durch welche der menſchliche Wille, im beſchränkteren Ge-
biet des Rechts, das in der höheren Weltordnung wal-
tende Geſetz ſittlicher Vergeltung nachbildet (b). Die Re-
geln, unter welchen dieſe Thätigkeit ſteht, nennen wir das
Criminalrecht, von welchem der Criminalprozeß nur
einen Theil bildet (c). Civilprozeß, Criminalrecht und
Criminalprozeß, ſind demnach Theile des Staatsrechts,
und wurden bey den Römern auch ſo angeſehen. Daß
uns in neueren Zeiten dieſe Auffaſſung fremder geworden
iſt, hat ſeinen Grund in folgenden Umſtänden. Die Hand-
habung des Criminalrechts iſt oft an dieſelben Richterbe-
hörden, wie der Schutz des Privatrechts, gewieſen wor-

(b) Inſoweit kann man ſagen,
daß die allgemeine ſittliche Ord-
nung der Vergeltung, in einer
beſchränkten Weiſe, die Natur
einer Rechtsanſtalt annimmt, und
als ſolche vom Staate in Aus-
führung zu bringen iſt. Vergl.
Hegel Naturrecht §. 102. 103.
220. Klenze Lehrbuch des Straf-
rechts S. X — XVII.
(c) Es hängt von dem poſiti-
ven Recht eines jeden Staates
ab, wie weit der Staat dieſes
Recht unmittelbar ausüben, oder
die Ausübung deſſelben den ver-
letzten Einzelnen, noch neben der
Verfolgung ihrer eigenen Rechte,
überlaſſen will. Dieſe letzte Be-
handlung liegt den Römiſchen
Privatſtrafen zum Grunde. Eine
vollſtändigere Ausbildung der
Staatsgewalt wird überall dahin
führen, dieſen letzten Weg zu
verlaſſen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0082" n="26"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">II.</hi> Allg. Natur der Quellen.</fw><lb/>
&#x017F;elbe dem Einzelnen, der in &#x017F;einem Recht verletzt wird,<lb/>
Schutz zu gewähren gegen die&#x017F;e Verletzung; die Regeln,<lb/>
unter welchen die&#x017F;e Thätigkeit &#x017F;teht, nennen wir den <hi rendition="#g">Ci-<lb/>
vilprozeß</hi>. Zweytens hat er das verletzte Recht an &#x017F;ich<lb/>
zu vertreten und wiederherzu&#x017F;tellen, ohne Rück&#x017F;icht auf das<lb/>
individuelle Intere&#x017F;&#x017F;e. Die&#x017F;es ge&#x017F;chieht durch die Strafe,<lb/>
durch welche der men&#x017F;chliche Wille, im be&#x017F;chränkteren Ge-<lb/>
biet des Rechts, das in der höheren Weltordnung wal-<lb/>
tende Ge&#x017F;etz &#x017F;ittlicher Vergeltung nachbildet <note place="foot" n="(b)">In&#x017F;oweit kann man &#x017F;agen,<lb/>
daß die allgemeine &#x017F;ittliche Ord-<lb/>
nung der Vergeltung, in einer<lb/>
be&#x017F;chränkten Wei&#x017F;e, die Natur<lb/>
einer Rechtsan&#x017F;talt annimmt, und<lb/>
als &#x017F;olche vom Staate in Aus-<lb/>
führung zu bringen i&#x017F;t. Vergl.<lb/><hi rendition="#g">Hegel</hi> Naturrecht §. 102. 103.<lb/>
220. <hi rendition="#g">Klenze</hi> Lehrbuch des Straf-<lb/>
rechts S. <hi rendition="#aq">X &#x2014; XVII.</hi></note>. Die Re-<lb/>
geln, unter welchen die&#x017F;e Thätigkeit &#x017F;teht, nennen wir das<lb/><hi rendition="#g">Criminalrecht</hi>, von welchem der Criminalprozeß nur<lb/>
einen Theil bildet <note place="foot" n="(c)">Es hängt von dem po&#x017F;iti-<lb/>
ven Recht eines jeden Staates<lb/>
ab, wie weit der Staat die&#x017F;es<lb/>
Recht unmittelbar ausüben, oder<lb/>
die Ausübung de&#x017F;&#x017F;elben den ver-<lb/>
letzten Einzelnen, noch neben der<lb/>
Verfolgung ihrer eigenen Rechte,<lb/>
überla&#x017F;&#x017F;en will. Die&#x017F;e letzte Be-<lb/>
handlung liegt den Römi&#x017F;chen<lb/>
Privat&#x017F;trafen zum Grunde. Eine<lb/>
voll&#x017F;tändigere Ausbildung der<lb/>
Staatsgewalt wird überall dahin<lb/>
führen, die&#x017F;en letzten Weg zu<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en.</note>. Civilprozeß, Criminalrecht und<lb/>
Criminalprozeß, &#x017F;ind demnach Theile des Staatsrechts,<lb/>
und wurden bey den Römern auch &#x017F;o ange&#x017F;ehen. Daß<lb/>
uns in neueren Zeiten die&#x017F;e Auffa&#x017F;&#x017F;ung fremder geworden<lb/>
i&#x017F;t, hat &#x017F;einen Grund in folgenden Um&#x017F;tänden. Die Hand-<lb/>
habung des Criminalrechts i&#x017F;t oft an die&#x017F;elben Richterbe-<lb/>
hörden, wie der Schutz des Privatrechts, gewie&#x017F;en wor-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0082] Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen. ſelbe dem Einzelnen, der in ſeinem Recht verletzt wird, Schutz zu gewähren gegen dieſe Verletzung; die Regeln, unter welchen dieſe Thätigkeit ſteht, nennen wir den Ci- vilprozeß. Zweytens hat er das verletzte Recht an ſich zu vertreten und wiederherzuſtellen, ohne Rückſicht auf das individuelle Intereſſe. Dieſes geſchieht durch die Strafe, durch welche der menſchliche Wille, im beſchränkteren Ge- biet des Rechts, das in der höheren Weltordnung wal- tende Geſetz ſittlicher Vergeltung nachbildet (b). Die Re- geln, unter welchen dieſe Thätigkeit ſteht, nennen wir das Criminalrecht, von welchem der Criminalprozeß nur einen Theil bildet (c). Civilprozeß, Criminalrecht und Criminalprozeß, ſind demnach Theile des Staatsrechts, und wurden bey den Römern auch ſo angeſehen. Daß uns in neueren Zeiten dieſe Auffaſſung fremder geworden iſt, hat ſeinen Grund in folgenden Umſtänden. Die Hand- habung des Criminalrechts iſt oft an dieſelben Richterbe- hörden, wie der Schutz des Privatrechts, gewieſen wor- (b) Inſoweit kann man ſagen, daß die allgemeine ſittliche Ord- nung der Vergeltung, in einer beſchränkten Weiſe, die Natur einer Rechtsanſtalt annimmt, und als ſolche vom Staate in Aus- führung zu bringen iſt. Vergl. Hegel Naturrecht §. 102. 103. 220. Klenze Lehrbuch des Straf- rechts S. X — XVII. (c) Es hängt von dem poſiti- ven Recht eines jeden Staates ab, wie weit der Staat dieſes Recht unmittelbar ausüben, oder die Ausübung deſſelben den ver- letzten Einzelnen, noch neben der Verfolgung ihrer eigenen Rechte, überlaſſen will. Dieſe letzte Be- handlung liegt den Römiſchen Privatſtrafen zum Grunde. Eine vollſtändigere Ausbildung der Staatsgewalt wird überall dahin führen, dieſen letzten Weg zu verlaſſen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/82
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/82>, abgerufen am 02.05.2024.