eines particulären Volksrechts (§ 8) durch die Einheit des Staats zwar nicht ausgeschlossen, aber doch insofern beschränkt, als dadurch jene wesentliche Einheit nicht ge- fährdet werden darf. Nur würde es irrig seyn, in dieser Hinsicht den Einfluß des Staates, in Vergleichung mit anderen Verhältnissen, zu hoch anzuschlagen, oder gar als ausschließenden Bestimmungsgrund zu denken. So bestan- den im Mittelalter, nach der Zerstörung des weströmischen Reichs, mehrere Germanische Staaten mit theils Germa- nischen, theils Römischen Unterthanen; hier hatten die Rö- mischen Unterthanen des einen Staates mit denen der an- dern dasselbe Römische Recht: die Germanischen Unter- thanen der verschiedenen Staaten hatten wenigstens ver- wandtes Recht, und diese mehr oder weniger vollständige Rechtsgemeinschaft wurde durch die Gränzen der Staaten nicht gestört.
Um die hier aufgestellte Klassification der innerhalb des Staates geltenden Rechte gegen den Vorwurf der Un- vollständigkeit zu sichern, ist jedoch noch folgende Ergän- zung nöthig. Ich will nicht den Staat auf die Zwecke des Rechts beschränken, ja die Theorie soll sich überhaupt nicht anmaaßen, die Freyheit individueller Entwicklung durch Aufstellung ausschließender Zwecke der Thätigkeit des Staats begränzen zu wollen. Dennoch ist seine erste und unabweislichste Aufgabe die Idee des Rechts in der sichtbaren Welt herrschend zu machen. Dazu nun führt eine zwiefache Thätigkeit des Staats. Erstlich hat der-
eines particulären Volksrechts (§ 8) durch die Einheit des Staats zwar nicht ausgeſchloſſen, aber doch inſofern beſchränkt, als dadurch jene weſentliche Einheit nicht ge- fährdet werden darf. Nur würde es irrig ſeyn, in dieſer Hinſicht den Einfluß des Staates, in Vergleichung mit anderen Verhältniſſen, zu hoch anzuſchlagen, oder gar als ausſchließenden Beſtimmungsgrund zu denken. So beſtan- den im Mittelalter, nach der Zerſtörung des weſtrömiſchen Reichs, mehrere Germaniſche Staaten mit theils Germa- niſchen, theils Römiſchen Unterthanen; hier hatten die Rö- miſchen Unterthanen des einen Staates mit denen der an- dern daſſelbe Römiſche Recht: die Germaniſchen Unter- thanen der verſchiedenen Staaten hatten wenigſtens ver- wandtes Recht, und dieſe mehr oder weniger vollſtändige Rechtsgemeinſchaft wurde durch die Gränzen der Staaten nicht geſtört.
Um die hier aufgeſtellte Klaſſification der innerhalb des Staates geltenden Rechte gegen den Vorwurf der Un- vollſtändigkeit zu ſichern, iſt jedoch noch folgende Ergän- zung nöthig. Ich will nicht den Staat auf die Zwecke des Rechts beſchränken, ja die Theorie ſoll ſich überhaupt nicht anmaaßen, die Freyheit individueller Entwicklung durch Aufſtellung ausſchließender Zwecke der Thätigkeit des Staats begränzen zu wollen. Dennoch iſt ſeine erſte und unabweislichſte Aufgabe die Idee des Rechts in der ſichtbaren Welt herrſchend zu machen. Dazu nun führt eine zwiefache Thätigkeit des Staats. Erſtlich hat der-
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§. 9. Staat, Staatsrecht, Privatrecht, Öffentliches Recht.
eines particulären Volksrechts (§ 8) durch die Einheit
des Staats zwar nicht ausgeſchloſſen, aber doch inſofern
beſchränkt, als dadurch jene weſentliche Einheit nicht ge-
fährdet werden darf. Nur würde es irrig ſeyn, in dieſer
Hinſicht den Einfluß des Staates, in Vergleichung mit
anderen Verhältniſſen, zu hoch anzuſchlagen, oder gar als
ausſchließenden Beſtimmungsgrund zu denken. So beſtan-
den im Mittelalter, nach der Zerſtörung des weſtrömiſchen
Reichs, mehrere Germaniſche Staaten mit theils Germa-
niſchen, theils Römiſchen Unterthanen; hier hatten die Rö-
miſchen Unterthanen des einen Staates mit denen der an-
dern daſſelbe Römiſche Recht: die Germaniſchen Unter-
thanen der verſchiedenen Staaten hatten wenigſtens ver-
wandtes Recht, und dieſe mehr oder weniger vollſtändige
Rechtsgemeinſchaft wurde durch die Gränzen der Staaten
nicht geſtört.
Um die hier aufgeſtellte Klaſſification der innerhalb
des Staates geltenden Rechte gegen den Vorwurf der Un-
vollſtändigkeit zu ſichern, iſt jedoch noch folgende Ergän-
zung nöthig. Ich will nicht den Staat auf die Zwecke
des Rechts beſchränken, ja die Theorie ſoll ſich überhaupt
nicht anmaaßen, die Freyheit individueller Entwicklung
durch Aufſtellung ausſchließender Zwecke der Thätigkeit
des Staats begränzen zu wollen. Dennoch iſt ſeine erſte
und unabweislichſte Aufgabe die Idee des Rechts in der
ſichtbaren Welt herrſchend zu machen. Dazu nun führt
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/81>, abgerufen am 16.02.2025.
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