Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

L. 2 C. quae sit longa consuetudo.
könnte (e). -- Dieser Gegensatz allein aber ist es, wel-
cher über die Kraft des partikulären Gewohnheitsrechts
im Verhältniß zu einem allgemeinen Landesgesetz entschei-
det: nicht der Gegensatz des öffentlichen und Privatrechts.
Denn auch im öffentlichen Recht giebt es Regeln, die
zwar zur gewöhnlichen Ordnung gehören, aber im Ein-
zelnen ohne Gefahr Ausnahmen erleiden können: bey sol-
chen ist auch ein partikuläres Gewohnheitsrecht zulässig.
So z. B. war es Regel, daß die Municipalmagistrate
keine legis actio, namentlich bey Emancipationen, hätten,
Einzelnen war sie ausnahmsweise gegeben: hier nun läßt
noch Justinian unbedenklich eine Begründung dieses Vor-
rechts durch Gewohnheit zu (f). Dagegen hatte in Bithy-
nien die Lex Pompeja verordnet, in die Stadtsenate soll-
ten nur Bürger derselben Stadt, nicht aus anderen Bi-
thynischen Städten, aufgenommen werden: man hatte diese
Vorschrift häufig nicht beachtet, und es entstand die Frage,
ob jenes Gesetz durch die Gewohnheit einzelner Städte
aufgehoben sey. Trajan ließ zwar aus Schonung die
jetzt vorhandenen fremden Senatoren gelten, erklärte aber
für die Zukunft, daß das Gesetz ungeachtet der Gewohn-
heit beobachtet werden müsse: ohne Zweifel weil das Ge-
setz einen politischen Zweck hatte (g).

Bisher ist der Theil der Stelle erklärt worden, wel-

(e) Azo Comm. in Cod., in
L.
2 cit.
(f) L. 4 de adopt. (1. 7.).
C. de emanc.
(8. 49.)
(g) Plinius epist. X. 115, 116.

L. 2 C. quae sit longa consuetudo.
könnte (e). — Dieſer Gegenſatz allein aber iſt es, wel-
cher über die Kraft des partikulären Gewohnheitsrechts
im Verhältniß zu einem allgemeinen Landesgeſetz entſchei-
det: nicht der Gegenſatz des öffentlichen und Privatrechts.
Denn auch im öffentlichen Recht giebt es Regeln, die
zwar zur gewöhnlichen Ordnung gehören, aber im Ein-
zelnen ohne Gefahr Ausnahmen erleiden können: bey ſol-
chen iſt auch ein partikuläres Gewohnheitsrecht zuläſſig.
So z. B. war es Regel, daß die Municipalmagiſtrate
keine legis actio, namentlich bey Emancipationen, hätten,
Einzelnen war ſie ausnahmsweiſe gegeben: hier nun läßt
noch Juſtinian unbedenklich eine Begründung dieſes Vor-
rechts durch Gewohnheit zu (f). Dagegen hatte in Bithy-
nien die Lex Pompeja verordnet, in die Stadtſenate ſoll-
ten nur Bürger derſelben Stadt, nicht aus anderen Bi-
thyniſchen Städten, aufgenommen werden: man hatte dieſe
Vorſchrift häufig nicht beachtet, und es entſtand die Frage,
ob jenes Geſetz durch die Gewohnheit einzelner Städte
aufgehoben ſey. Trajan ließ zwar aus Schonung die
jetzt vorhandenen fremden Senatoren gelten, erklärte aber
für die Zukunft, daß das Geſetz ungeachtet der Gewohn-
heit beobachtet werden müſſe: ohne Zweifel weil das Ge-
ſetz einen politiſchen Zweck hatte (g).

Bisher iſt der Theil der Stelle erklärt worden, wel-

(e) Azo Comm. in Cod., in
L.
2 cit.
(f) L. 4 de adopt. (1. 7.).
C. de emanc.
(8. 49.)
(g) Plinius epist. X. 115, 116.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0479" n="423"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">L. 2 C. quae sit longa consuetudo.</hi></fw><lb/>
könnte <note place="foot" n="(e)"><hi rendition="#aq">Azo <hi rendition="#i">Comm. in Cod., in<lb/>
L.</hi> 2 <hi rendition="#i">cit.</hi></hi></note>. &#x2014; Die&#x017F;er Gegen&#x017F;atz allein aber i&#x017F;t es, wel-<lb/>
cher über die Kraft des partikulären Gewohnheitsrechts<lb/>
im Verhältniß zu einem allgemeinen Landesge&#x017F;etz ent&#x017F;chei-<lb/>
det: nicht der Gegen&#x017F;atz des öffentlichen und Privatrechts.<lb/>
Denn auch im öffentlichen Recht giebt es Regeln, die<lb/>
zwar zur gewöhnlichen Ordnung gehören, aber im Ein-<lb/>
zelnen ohne Gefahr Ausnahmen erleiden können: bey &#x017F;ol-<lb/>
chen i&#x017F;t auch ein partikuläres Gewohnheitsrecht zulä&#x017F;&#x017F;ig.<lb/>
So z. B. war es Regel, daß die Municipalmagi&#x017F;trate<lb/>
keine <hi rendition="#aq">legis actio,</hi> namentlich bey Emancipationen, hätten,<lb/>
Einzelnen war &#x017F;ie ausnahmswei&#x017F;e gegeben: hier nun läßt<lb/>
noch Ju&#x017F;tinian unbedenklich eine Begründung die&#x017F;es Vor-<lb/>
rechts durch Gewohnheit zu <note place="foot" n="(f)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 4 <hi rendition="#i">de adopt.</hi> (1. 7.).<lb/><hi rendition="#i">C. de emanc.</hi></hi> (8. 49.)</note>. Dagegen hatte in Bithy-<lb/>
nien die <hi rendition="#aq">Lex Pompeja</hi> verordnet, in die Stadt&#x017F;enate &#x017F;oll-<lb/>
ten nur Bürger der&#x017F;elben Stadt, nicht aus anderen Bi-<lb/>
thyni&#x017F;chen Städten, aufgenommen werden: man hatte die&#x017F;e<lb/>
Vor&#x017F;chrift häufig nicht beachtet, und es ent&#x017F;tand die Frage,<lb/>
ob jenes Ge&#x017F;etz durch die Gewohnheit einzelner Städte<lb/>
aufgehoben &#x017F;ey. Trajan ließ zwar aus Schonung die<lb/>
jetzt vorhandenen fremden Senatoren gelten, erklärte aber<lb/>
für die Zukunft, daß das Ge&#x017F;etz ungeachtet der Gewohn-<lb/>
heit beobachtet werden mü&#x017F;&#x017F;e: ohne Zweifel weil das Ge-<lb/>
&#x017F;etz einen politi&#x017F;chen Zweck hatte <note place="foot" n="(g)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Plinius</hi> epist. X.</hi> 115, 116.</note>.</p><lb/>
          <p>Bisher i&#x017F;t der Theil der Stelle erklärt worden, wel-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[423/0479] L. 2 C. quae sit longa consuetudo. könnte (e). — Dieſer Gegenſatz allein aber iſt es, wel- cher über die Kraft des partikulären Gewohnheitsrechts im Verhältniß zu einem allgemeinen Landesgeſetz entſchei- det: nicht der Gegenſatz des öffentlichen und Privatrechts. Denn auch im öffentlichen Recht giebt es Regeln, die zwar zur gewöhnlichen Ordnung gehören, aber im Ein- zelnen ohne Gefahr Ausnahmen erleiden können: bey ſol- chen iſt auch ein partikuläres Gewohnheitsrecht zuläſſig. So z. B. war es Regel, daß die Municipalmagiſtrate keine legis actio, namentlich bey Emancipationen, hätten, Einzelnen war ſie ausnahmsweiſe gegeben: hier nun läßt noch Juſtinian unbedenklich eine Begründung dieſes Vor- rechts durch Gewohnheit zu (f). Dagegen hatte in Bithy- nien die Lex Pompeja verordnet, in die Stadtſenate ſoll- ten nur Bürger derſelben Stadt, nicht aus anderen Bi- thyniſchen Städten, aufgenommen werden: man hatte dieſe Vorſchrift häufig nicht beachtet, und es entſtand die Frage, ob jenes Geſetz durch die Gewohnheit einzelner Städte aufgehoben ſey. Trajan ließ zwar aus Schonung die jetzt vorhandenen fremden Senatoren gelten, erklärte aber für die Zukunft, daß das Geſetz ungeachtet der Gewohn- heit beobachtet werden müſſe: ohne Zweifel weil das Ge- ſetz einen politiſchen Zweck hatte (g). Bisher iſt der Theil der Stelle erklärt worden, wel- (e) Azo Comm. in Cod., in L. 2 cit. (f) L. 4 de adopt. (1. 7.). C. de emanc. (8. 49.) (g) Plinius epist. X. 115, 116.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/479
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/479>, abgerufen am 03.05.2024.