Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. I. Wesen und Arten.
Eben so finden sich nun auch ähnliche Rückwirkungen der Familie auf das Vermögen. Die erste und unmittel- barste besteht darin, daß eigenthümliche Vermögensinsti- tute an die einzelnen Familienverhältnisse selbst sich ansetzen: dingliche Rechte nämlich und Obligationen, die in dieser Gestalt und mit diesem Verlauf nur unter der Voraus- setzung bestimmter Familienverhältnisse möglich sind. Wir nennen die Gesammtheit derselben das angewandte Fa- milienrecht, und dieses ist gerade dasjenige, was der Familie vorzugsweise ihren eigentlich juristischen Character giebt (§ 54).
Außerdem ist aber auch das Vermögensrecht in seinen eigenen Gränzen derjenigen weiteren Entwicklung empfäng- lich und bedürftig, die wir mit dem Namen des Erb- rechts bezeichnen; dessen Bedeutung soll nunmehr darge- legt werden.
Ursprünglich betrachteten wir das Vermögen als eine Machterweiterung des einzelnen Menschen, folglich als ein Attribut desselben in seiner abgeschlossenen Persönlichkeit. Da nun diese von vergänglicher Natur ist, so muß das Vermögen jedes Menschen mit dessen Tod seine rechtliche Bedeutung verlieren, das heißt in das Nichts zurück fal- len. Allein alles Recht überhaupt erhält seine Realität und Vollendung erst im Staate, als positives Recht die- ses Staates, und so konnte auch das Eigenthum zu einem wirklichen Daseyn nur dadurch gelangen, das es zunächst auf den Staat und vermittelst der im positiven Recht des
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten.
Eben ſo finden ſich nun auch ähnliche Rückwirkungen der Familie auf das Vermögen. Die erſte und unmittel- barſte beſteht darin, daß eigenthümliche Vermögensinſti- tute an die einzelnen Familienverhältniſſe ſelbſt ſich anſetzen: dingliche Rechte nämlich und Obligationen, die in dieſer Geſtalt und mit dieſem Verlauf nur unter der Voraus- ſetzung beſtimmter Familienverhältniſſe möglich ſind. Wir nennen die Geſammtheit derſelben das angewandte Fa- milienrecht, und dieſes iſt gerade dasjenige, was der Familie vorzugsweiſe ihren eigentlich juriſtiſchen Character giebt (§ 54).
Außerdem iſt aber auch das Vermögensrecht in ſeinen eigenen Gränzen derjenigen weiteren Entwicklung empfäng- lich und bedürftig, die wir mit dem Namen des Erb- rechts bezeichnen; deſſen Bedeutung ſoll nunmehr darge- legt werden.
Urſprünglich betrachteten wir das Vermögen als eine Machterweiterung des einzelnen Menſchen, folglich als ein Attribut deſſelben in ſeiner abgeſchloſſenen Perſönlichkeit. Da nun dieſe von vergänglicher Natur iſt, ſo muß das Vermögen jedes Menſchen mit deſſen Tod ſeine rechtliche Bedeutung verlieren, das heißt in das Nichts zurück fal- len. Allein alles Recht überhaupt erhält ſeine Realität und Vollendung erſt im Staate, als poſitives Recht die- ſes Staates, und ſo konnte auch das Eigenthum zu einem wirklichen Daſeyn nur dadurch gelangen, das es zunächſt auf den Staat und vermittelſt der im poſitiven Recht des
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten.
Eben ſo finden ſich nun auch ähnliche Rückwirkungen
der Familie auf das Vermögen. Die erſte und unmittel-
barſte beſteht darin, daß eigenthümliche Vermögensinſti-
tute an die einzelnen Familienverhältniſſe ſelbſt ſich anſetzen:
dingliche Rechte nämlich und Obligationen, die in dieſer
Geſtalt und mit dieſem Verlauf nur unter der Voraus-
ſetzung beſtimmter Familienverhältniſſe möglich ſind. Wir
nennen die Geſammtheit derſelben das angewandte Fa-
milienrecht, und dieſes iſt gerade dasjenige, was der
Familie vorzugsweiſe ihren eigentlich juriſtiſchen Character
giebt (§ 54).
Außerdem iſt aber auch das Vermögensrecht in ſeinen
eigenen Gränzen derjenigen weiteren Entwicklung empfäng-
lich und bedürftig, die wir mit dem Namen des Erb-
rechts bezeichnen; deſſen Bedeutung ſoll nunmehr darge-
legt werden.
Urſprünglich betrachteten wir das Vermögen als eine
Machterweiterung des einzelnen Menſchen, folglich als ein
Attribut deſſelben in ſeiner abgeſchloſſenen Perſönlichkeit.
Da nun dieſe von vergänglicher Natur iſt, ſo muß das
Vermögen jedes Menſchen mit deſſen Tod ſeine rechtliche
Bedeutung verlieren, das heißt in das Nichts zurück fal-
len. Allein alles Recht überhaupt erhält ſeine Realität
und Vollendung erſt im Staate, als poſitives Recht die-
ſes Staates, und ſo konnte auch das Eigenthum zu einem
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auf den Staat und vermittelſt der im poſitiven Recht des
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/436>, abgerufen am 25.11.2024.
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