Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. I. Wesen und Arten.
ihre materielle Natur als aus der Person heraustretend und den Sachen ähnlich betrachtet werden können.
Fassen wir dieses zusammen, so zeigt sich hier ein durch- gehender Gegensatz gegen das Familienrecht. In beiden Theilen des Vermögensrechts besteht der Stoff nicht so, wie bey der Familie, in einem natürlich-sittlichen Ver- hältniß; sie haben also keine gemischte Natur, sondern sind vielmehr reine, bloße Rechtsverhältnisse; sie gehören nicht dem jus naturale an, und die Anerkennung ihres Daseyns erscheint minder nothwendig, mehr willkührlich und positiv, als bey den Instituten des Familienrechts. Auf der anderen Seite kann hier der Zweifel gar nicht vorkommen, worin ihr wahrer rechtlicher Gehalt bestehe. Denn da in ihnen eine Erweiterung der individuellen Frey- heit enthalten seyn soll (§ 53), so ist eben diese Macht, diese Herrschaft die sie uns gewähren, das was ihnen als Rechtsinstituten ihren Inhalt giebt.
Gegen die hier aufgestellte Behauptung, daß das Ver- mögensrecht nicht, so wie das Familienrecht, ein sittliches Element in sich schließe, könnte man einwenden, daß das sittliche Gesetz jede Art des menschlichen Handelns zu be- herrschen habe, und daß also auch die Vermögensverhält- nisse eine sittliche Grundlage haben müßten. Allerdings haben sie eine solche, indem der Reiche seinen Reichthum nur als ein seiner Verwaltung anvertrautes Gut betrach- ten soll, nur bleibt der Rechtsordnung diese Ansicht völlig fremd. Der Unterschied liegt also darin, daß das Fami-
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten.
ihre materielle Natur als aus der Perſon heraustretend und den Sachen ähnlich betrachtet werden können.
Faſſen wir dieſes zuſammen, ſo zeigt ſich hier ein durch- gehender Gegenſatz gegen das Familienrecht. In beiden Theilen des Vermögensrechts beſteht der Stoff nicht ſo, wie bey der Familie, in einem natürlich-ſittlichen Ver- hältniß; ſie haben alſo keine gemiſchte Natur, ſondern ſind vielmehr reine, bloße Rechtsverhältniſſe; ſie gehören nicht dem jus naturale an, und die Anerkennung ihres Daſeyns erſcheint minder nothwendig, mehr willkührlich und poſitiv, als bey den Inſtituten des Familienrechts. Auf der anderen Seite kann hier der Zweifel gar nicht vorkommen, worin ihr wahrer rechtlicher Gehalt beſtehe. Denn da in ihnen eine Erweiterung der individuellen Frey- heit enthalten ſeyn ſoll (§ 53), ſo iſt eben dieſe Macht, dieſe Herrſchaft die ſie uns gewähren, das was ihnen als Rechtsinſtituten ihren Inhalt giebt.
Gegen die hier aufgeſtellte Behauptung, daß das Ver- mögensrecht nicht, ſo wie das Familienrecht, ein ſittliches Element in ſich ſchließe, könnte man einwenden, daß das ſittliche Geſetz jede Art des menſchlichen Handelns zu be- herrſchen habe, und daß alſo auch die Vermögensverhält- niſſe eine ſittliche Grundlage haben müßten. Allerdings haben ſie eine ſolche, indem der Reiche ſeinen Reichthum nur als ein ſeiner Verwaltung anvertrautes Gut betrach- ten ſoll, nur bleibt der Rechtsordnung dieſe Anſicht völlig fremd. Der Unterſchied liegt alſo darin, daß das Fami-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0426"n="370"/><fwplace="top"type="header">Buch <hirendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältniſſe. Kap. <hirendition="#aq">I.</hi> Weſen und Arten.</fw><lb/>
ihre materielle Natur als aus der Perſon heraustretend<lb/>
und den Sachen ähnlich betrachtet werden können.</p><lb/><p>Faſſen wir dieſes zuſammen, ſo zeigt ſich hier ein durch-<lb/>
gehender Gegenſatz gegen das Familienrecht. In beiden<lb/>
Theilen des Vermögensrechts beſteht der Stoff nicht ſo,<lb/>
wie bey der Familie, in einem natürlich-ſittlichen Ver-<lb/>
hältniß; ſie haben alſo keine gemiſchte Natur, ſondern<lb/>ſind vielmehr reine, bloße Rechtsverhältniſſe; ſie gehören<lb/>
nicht dem <hirendition="#aq">jus naturale</hi> an, und die Anerkennung ihres<lb/>
Daſeyns erſcheint minder nothwendig, mehr willkührlich<lb/>
und poſitiv, als bey den Inſtituten des Familienrechts.<lb/>
Auf der anderen Seite kann hier der Zweifel gar nicht<lb/>
vorkommen, worin ihr wahrer rechtlicher Gehalt beſtehe.<lb/>
Denn da in ihnen eine Erweiterung der individuellen Frey-<lb/>
heit enthalten ſeyn ſoll (§ 53), ſo iſt eben dieſe Macht,<lb/>
dieſe Herrſchaft die ſie uns gewähren, das was ihnen als<lb/>
Rechtsinſtituten ihren Inhalt giebt.</p><lb/><p>Gegen die hier aufgeſtellte Behauptung, daß das Ver-<lb/>
mögensrecht nicht, ſo wie das Familienrecht, ein ſittliches<lb/>
Element in ſich ſchließe, könnte man einwenden, daß das<lb/>ſittliche Geſetz jede Art des menſchlichen Handelns zu be-<lb/>
herrſchen habe, und daß alſo auch die Vermögensverhält-<lb/>
niſſe eine ſittliche Grundlage haben müßten. Allerdings<lb/>
haben ſie eine ſolche, indem der Reiche ſeinen Reichthum<lb/>
nur als ein ſeiner Verwaltung anvertrautes Gut betrach-<lb/>
ten ſoll, nur bleibt der Rechtsordnung dieſe Anſicht völlig<lb/>
fremd. Der Unterſchied liegt alſo darin, daß das Fami-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[370/0426]
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten.
ihre materielle Natur als aus der Perſon heraustretend
und den Sachen ähnlich betrachtet werden können.
Faſſen wir dieſes zuſammen, ſo zeigt ſich hier ein durch-
gehender Gegenſatz gegen das Familienrecht. In beiden
Theilen des Vermögensrechts beſteht der Stoff nicht ſo,
wie bey der Familie, in einem natürlich-ſittlichen Ver-
hältniß; ſie haben alſo keine gemiſchte Natur, ſondern
ſind vielmehr reine, bloße Rechtsverhältniſſe; ſie gehören
nicht dem jus naturale an, und die Anerkennung ihres
Daſeyns erſcheint minder nothwendig, mehr willkührlich
und poſitiv, als bey den Inſtituten des Familienrechts.
Auf der anderen Seite kann hier der Zweifel gar nicht
vorkommen, worin ihr wahrer rechtlicher Gehalt beſtehe.
Denn da in ihnen eine Erweiterung der individuellen Frey-
heit enthalten ſeyn ſoll (§ 53), ſo iſt eben dieſe Macht,
dieſe Herrſchaft die ſie uns gewähren, das was ihnen als
Rechtsinſtituten ihren Inhalt giebt.
Gegen die hier aufgeſtellte Behauptung, daß das Ver-
mögensrecht nicht, ſo wie das Familienrecht, ein ſittliches
Element in ſich ſchließe, könnte man einwenden, daß das
ſittliche Geſetz jede Art des menſchlichen Handelns zu be-
herrſchen habe, und daß alſo auch die Vermögensverhält-
niſſe eine ſittliche Grundlage haben müßten. Allerdings
haben ſie eine ſolche, indem der Reiche ſeinen Reichthum
nur als ein ſeiner Verwaltung anvertrautes Gut betrach-
ten ſoll, nur bleibt der Rechtsordnung dieſe Anſicht völlig
fremd. Der Unterſchied liegt alſo darin, daß das Fami-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/426>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.