Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
Rom, hatte die Rechtswissenschaft ihre eigenthümlichen,
von den allgemeinen abweichenden Bildungsperioden, nur
hier in umgekehrter Ordnung. Denn anstatt daß in Rom
die höchste Blüthe der Rechtswissenschaft später eintrat,
als die der anderen Wissenschaften, entstand im Mittelal-
ter die Rechtswissenschaft weit früher, als das allgemeine
wissenschaftliche Leben der Völker erwachte. Die Einsam-
keit, in welcher sie sich deshalb lange Zeit hindurch be-
fand, erhöhte sehr die Schwierigkeit ihres Daseyns, und
machte ihr nach manchen Seiten hin eine vollendete Aus-
bildung unmöglich. Allein die höhere Anstrengung, wozu
die Glossatoren dadurch genöthigt wurden, gab ihrer Ar-
beit einen ernsten und würdigen Character, und der bedeu-
tende Erfolg, der dieser Arbeit unter so schwierigen Um-
ständen dennoch zu Theil ward, nimmt noch jetzt unsere
Bewunderung in Anspruch (b).

In dieser Lage war das Volksrecht, soweit es sich
nicht auf engere Kreise beschränkte, gleich Anfangs mit
dem wissenschaftlichen Recht identisch, so daß es außer
demselben gar nicht wirksam wurde, und das prakti-
sche Bedürfniß des Volks nur in der Wissenschaft seinen
Ausdruck und seine Befriedigung fand (§ 18). Dadurch
bekam die Rechtswissenschaft selbst einen eigenthümlichen
Character, und es war diesem Zustand angemessen, daß
in der Beschäftigung der Rechtsgelehrten Theorie und
Praxis innig verbunden blieben, wie denn auch nicht selten

(b) Savigny a. a. O. B. 5 S. 215.

Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
Rom, hatte die Rechtswiſſenſchaft ihre eigenthümlichen,
von den allgemeinen abweichenden Bildungsperioden, nur
hier in umgekehrter Ordnung. Denn anſtatt daß in Rom
die höchſte Blüthe der Rechtswiſſenſchaft ſpäter eintrat,
als die der anderen Wiſſenſchaften, entſtand im Mittelal-
ter die Rechtswiſſenſchaft weit früher, als das allgemeine
wiſſenſchaftliche Leben der Völker erwachte. Die Einſam-
keit, in welcher ſie ſich deshalb lange Zeit hindurch be-
fand, erhöhte ſehr die Schwierigkeit ihres Daſeyns, und
machte ihr nach manchen Seiten hin eine vollendete Aus-
bildung unmöglich. Allein die höhere Anſtrengung, wozu
die Gloſſatoren dadurch genöthigt wurden, gab ihrer Ar-
beit einen ernſten und würdigen Character, und der bedeu-
tende Erfolg, der dieſer Arbeit unter ſo ſchwierigen Um-
ſtänden dennoch zu Theil ward, nimmt noch jetzt unſere
Bewunderung in Anſpruch (b).

In dieſer Lage war das Volksrecht, ſoweit es ſich
nicht auf engere Kreiſe beſchränkte, gleich Anfangs mit
dem wiſſenſchaftlichen Recht identiſch, ſo daß es außer
demſelben gar nicht wirkſam wurde, und das prakti-
ſche Bedürfniß des Volks nur in der Wiſſenſchaft ſeinen
Ausdruck und ſeine Befriedigung fand (§ 18). Dadurch
bekam die Rechtswiſſenſchaft ſelbſt einen eigenthümlichen
Character, und es war dieſem Zuſtand angemeſſen, daß
in der Beſchäftigung der Rechtsgelehrten Theorie und
Praxis innig verbunden blieben, wie denn auch nicht ſelten

(b) Savigny a. a. O. B. 5 S. 215.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0142" n="86"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">III.</hi> Quellen des heutigen R. R.</fw><lb/>
Rom, hatte die Rechtswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft ihre eigenthümlichen,<lb/>
von den allgemeinen abweichenden Bildungsperioden, nur<lb/>
hier in umgekehrter Ordnung. Denn an&#x017F;tatt daß in Rom<lb/>
die höch&#x017F;te Blüthe der Rechtswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;päter eintrat,<lb/>
als die der anderen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, ent&#x017F;tand im Mittelal-<lb/>
ter die Rechtswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft weit früher, als das allgemeine<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Leben der Völker erwachte. Die Ein&#x017F;am-<lb/>
keit, in welcher &#x017F;ie &#x017F;ich deshalb lange Zeit hindurch be-<lb/>
fand, erhöhte &#x017F;ehr die Schwierigkeit ihres Da&#x017F;eyns, und<lb/>
machte ihr nach manchen Seiten hin eine vollendete Aus-<lb/>
bildung unmöglich. Allein die höhere An&#x017F;trengung, wozu<lb/>
die Glo&#x017F;&#x017F;atoren dadurch genöthigt wurden, gab ihrer Ar-<lb/>
beit einen ern&#x017F;ten und würdigen Character, und der bedeu-<lb/>
tende Erfolg, der die&#x017F;er Arbeit unter &#x017F;o &#x017F;chwierigen Um-<lb/>
&#x017F;tänden dennoch zu Theil ward, nimmt noch jetzt un&#x017F;ere<lb/>
Bewunderung in An&#x017F;pruch <note place="foot" n="(b)"><hi rendition="#g">Savigny</hi> a. a. O. B. 5 S. 215.</note>.</p><lb/>
            <p>In die&#x017F;er Lage war das Volksrecht, &#x017F;oweit es &#x017F;ich<lb/>
nicht auf engere Krei&#x017F;e be&#x017F;chränkte, gleich Anfangs mit<lb/>
dem wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Recht identi&#x017F;ch, &#x017F;o daß es außer<lb/>
dem&#x017F;elben gar nicht wirk&#x017F;am wurde, und das prakti-<lb/>
&#x017F;che Bedürfniß des Volks nur in der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;einen<lb/>
Ausdruck und &#x017F;eine Befriedigung fand (§ 18). Dadurch<lb/>
bekam die Rechtswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;elb&#x017F;t einen eigenthümlichen<lb/>
Character, und es war die&#x017F;em Zu&#x017F;tand angeme&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
in der Be&#x017F;chäftigung der Rechtsgelehrten Theorie und<lb/>
Praxis innig verbunden blieben, wie denn auch nicht &#x017F;elten<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0142] Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R. Rom, hatte die Rechtswiſſenſchaft ihre eigenthümlichen, von den allgemeinen abweichenden Bildungsperioden, nur hier in umgekehrter Ordnung. Denn anſtatt daß in Rom die höchſte Blüthe der Rechtswiſſenſchaft ſpäter eintrat, als die der anderen Wiſſenſchaften, entſtand im Mittelal- ter die Rechtswiſſenſchaft weit früher, als das allgemeine wiſſenſchaftliche Leben der Völker erwachte. Die Einſam- keit, in welcher ſie ſich deshalb lange Zeit hindurch be- fand, erhöhte ſehr die Schwierigkeit ihres Daſeyns, und machte ihr nach manchen Seiten hin eine vollendete Aus- bildung unmöglich. Allein die höhere Anſtrengung, wozu die Gloſſatoren dadurch genöthigt wurden, gab ihrer Ar- beit einen ernſten und würdigen Character, und der bedeu- tende Erfolg, der dieſer Arbeit unter ſo ſchwierigen Um- ſtänden dennoch zu Theil ward, nimmt noch jetzt unſere Bewunderung in Anſpruch (b). In dieſer Lage war das Volksrecht, ſoweit es ſich nicht auf engere Kreiſe beſchränkte, gleich Anfangs mit dem wiſſenſchaftlichen Recht identiſch, ſo daß es außer demſelben gar nicht wirkſam wurde, und das prakti- ſche Bedürfniß des Volks nur in der Wiſſenſchaft ſeinen Ausdruck und ſeine Befriedigung fand (§ 18). Dadurch bekam die Rechtswiſſenſchaft ſelbſt einen eigenthümlichen Character, und es war dieſem Zuſtand angemeſſen, daß in der Beſchäftigung der Rechtsgelehrten Theorie und Praxis innig verbunden blieben, wie denn auch nicht ſelten (b) Savigny a. a. O. B. 5 S. 215.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/142
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/142>, abgerufen am 07.05.2024.