Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 19. Wissenschaftliches Recht.
die Rückwirkung der Praxis dazu gedient hat, die Theorie
vor gänzlichem Versinken zu bewahren (c). -- In den
nachfolgenden Jahrhunderten hat zwar die Rechtswissen-
schaft verschiedene Bildungsstufen durchlaufen, und sehr
wechselnde Schicksale gehabt. Allein ihr allgemeines Ver-
hältniß zu der Rechtserzeugung selbst ist dasselbe geblie-
ben, wie es so eben für die Zeit des Mittelalters darge-
stellt worden ist.

Die Erzeugnisse der geistigen Thätigkeit, die seit der
Aufnahme des Römischen Rechts auf dasselbe gerichtet
war, sind jedoch von so ungeheurem Umfang, und der
Art nach so mannichfaltig, daß es einer besonderen Un-
tersuchung bedarf, in welchem Sinn dieselben unter die
Rechtsquellen gerechnet werden dürfen, und wie wir uns
dazu zu verhalten haben. Wir können zu diesem Zweck
alle vor uns liegende Arbeit der Rechtsgelehrten in zwey
große Massen zerlegen, theoretische und praktische
Arbeit. Diese Ausdrücke aber, in welchen derselbe Gegensatz
oft von sehr verschiedenen Seiten aufgefaßt wird, bedürfen
einer genaueren Bestimmung.

Theoretisch nenne ich hier jede rein wissenschaftliche
Forschung, mag sie nun auf Feststellung des Textes der
Quellen, oder auf Erklärung derselben, oder auf ihre Ver-
arbeitung zu Resultaten eines Rechtssystems, oder auf die
innere Vollendung dieses Systems gerichtet seyn. Dadurch

(c) Savigny a. a. O. B. 6 S. 20.

§. 19. Wiſſenſchaftliches Recht.
die Rückwirkung der Praxis dazu gedient hat, die Theorie
vor gänzlichem Verſinken zu bewahren (c). — In den
nachfolgenden Jahrhunderten hat zwar die Rechtswiſſen-
ſchaft verſchiedene Bildungsſtufen durchlaufen, und ſehr
wechſelnde Schickſale gehabt. Allein ihr allgemeines Ver-
hältniß zu der Rechtserzeugung ſelbſt iſt daſſelbe geblie-
ben, wie es ſo eben für die Zeit des Mittelalters darge-
ſtellt worden iſt.

Die Erzeugniſſe der geiſtigen Thätigkeit, die ſeit der
Aufnahme des Römiſchen Rechts auf daſſelbe gerichtet
war, ſind jedoch von ſo ungeheurem Umfang, und der
Art nach ſo mannichfaltig, daß es einer beſonderen Un-
terſuchung bedarf, in welchem Sinn dieſelben unter die
Rechtsquellen gerechnet werden dürfen, und wie wir uns
dazu zu verhalten haben. Wir können zu dieſem Zweck
alle vor uns liegende Arbeit der Rechtsgelehrten in zwey
große Maſſen zerlegen, theoretiſche und praktiſche
Arbeit. Dieſe Ausdrücke aber, in welchen derſelbe Gegenſatz
oft von ſehr verſchiedenen Seiten aufgefaßt wird, bedürfen
einer genaueren Beſtimmung.

Theoretiſch nenne ich hier jede rein wiſſenſchaftliche
Forſchung, mag ſie nun auf Feſtſtellung des Textes der
Quellen, oder auf Erklärung derſelben, oder auf ihre Ver-
arbeitung zu Reſultaten eines Rechtsſyſtems, oder auf die
innere Vollendung dieſes Syſtems gerichtet ſeyn. Dadurch

(c) Savigny a. a. O. B. 6 S. 20.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0143" n="87"/><fw place="top" type="header">§. 19. Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliches Recht.</fw><lb/>
die Rückwirkung der Praxis dazu gedient hat, die Theorie<lb/>
vor gänzlichem Ver&#x017F;inken zu bewahren <note place="foot" n="(c)"><hi rendition="#g">Savigny</hi> a. a. O. B. 6 S. 20.</note>. &#x2014; In den<lb/>
nachfolgenden Jahrhunderten hat zwar die Rechtswi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaft ver&#x017F;chiedene Bildungs&#x017F;tufen durchlaufen, und &#x017F;ehr<lb/>
wech&#x017F;elnde Schick&#x017F;ale gehabt. Allein ihr allgemeines Ver-<lb/>
hältniß zu der Rechtserzeugung &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t da&#x017F;&#x017F;elbe geblie-<lb/>
ben, wie es &#x017F;o eben für die Zeit des Mittelalters darge-<lb/>
&#x017F;tellt worden i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Die Erzeugni&#x017F;&#x017F;e der gei&#x017F;tigen Thätigkeit, die &#x017F;eit der<lb/>
Aufnahme des Römi&#x017F;chen Rechts auf da&#x017F;&#x017F;elbe gerichtet<lb/>
war, &#x017F;ind jedoch von &#x017F;o ungeheurem Umfang, und der<lb/>
Art nach &#x017F;o mannichfaltig, daß es einer be&#x017F;onderen Un-<lb/>
ter&#x017F;uchung bedarf, in welchem Sinn die&#x017F;elben unter die<lb/>
Rechtsquellen gerechnet werden dürfen, und wie wir uns<lb/>
dazu zu verhalten haben. Wir können zu die&#x017F;em Zweck<lb/>
alle vor uns liegende Arbeit der Rechtsgelehrten in zwey<lb/>
große Ma&#x017F;&#x017F;en zerlegen, <hi rendition="#g">theoreti&#x017F;che</hi> und <hi rendition="#g">prakti&#x017F;che</hi><lb/>
Arbeit. Die&#x017F;e Ausdrücke aber, in welchen der&#x017F;elbe Gegen&#x017F;atz<lb/>
oft von &#x017F;ehr ver&#x017F;chiedenen Seiten aufgefaßt wird, bedürfen<lb/>
einer genaueren Be&#x017F;timmung.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Theoreti&#x017F;ch</hi> nenne ich hier jede rein wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche<lb/>
For&#x017F;chung, mag &#x017F;ie nun auf Fe&#x017F;t&#x017F;tellung des Textes der<lb/>
Quellen, oder auf Erklärung der&#x017F;elben, oder auf ihre Ver-<lb/>
arbeitung zu Re&#x017F;ultaten eines Rechts&#x017F;y&#x017F;tems, oder auf die<lb/>
innere Vollendung die&#x017F;es Sy&#x017F;tems gerichtet &#x017F;eyn. Dadurch<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0143] §. 19. Wiſſenſchaftliches Recht. die Rückwirkung der Praxis dazu gedient hat, die Theorie vor gänzlichem Verſinken zu bewahren (c). — In den nachfolgenden Jahrhunderten hat zwar die Rechtswiſſen- ſchaft verſchiedene Bildungsſtufen durchlaufen, und ſehr wechſelnde Schickſale gehabt. Allein ihr allgemeines Ver- hältniß zu der Rechtserzeugung ſelbſt iſt daſſelbe geblie- ben, wie es ſo eben für die Zeit des Mittelalters darge- ſtellt worden iſt. Die Erzeugniſſe der geiſtigen Thätigkeit, die ſeit der Aufnahme des Römiſchen Rechts auf daſſelbe gerichtet war, ſind jedoch von ſo ungeheurem Umfang, und der Art nach ſo mannichfaltig, daß es einer beſonderen Un- terſuchung bedarf, in welchem Sinn dieſelben unter die Rechtsquellen gerechnet werden dürfen, und wie wir uns dazu zu verhalten haben. Wir können zu dieſem Zweck alle vor uns liegende Arbeit der Rechtsgelehrten in zwey große Maſſen zerlegen, theoretiſche und praktiſche Arbeit. Dieſe Ausdrücke aber, in welchen derſelbe Gegenſatz oft von ſehr verſchiedenen Seiten aufgefaßt wird, bedürfen einer genaueren Beſtimmung. Theoretiſch nenne ich hier jede rein wiſſenſchaftliche Forſchung, mag ſie nun auf Feſtſtellung des Textes der Quellen, oder auf Erklärung derſelben, oder auf ihre Ver- arbeitung zu Reſultaten eines Rechtsſyſtems, oder auf die innere Vollendung dieſes Syſtems gerichtet ſeyn. Dadurch (c) Savigny a. a. O. B. 6 S. 20.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/143
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/143>, abgerufen am 07.05.2024.