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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
Justinians dreyjährige Usucapion nur auf bewegliche Sa-
chen, ist aber darum dennoch kein Jus singulare. Das
Vorrecht der Unmündigen bey der actio tutelae ist ein
Jus singulare, ihre Handlungsunfähigkeit ist es nicht.
Das Sc. Vellejanum ist ein Jus singulare der Frauen,
ihre ausschließende Fähigkeit, mit Männern in dem Rechts-
verhältniß einer Ehe zu leben, ist es nicht. Also ist die
Beschränkung eines Rechts auf einzelne Klassen nicht das,
wodurch das Recht zu einem Jus singulare wird. -- In der
gewöhnlichsten Beziehung auf eine einzelne Klasse von Per-
sonen ist der Zweck nicht, wie bey dem regelmäßigen
Recht (der aequitas) auf eine gleichmäßige Behandlung
aller Betheiligten gerichtet, sondern vielmehr, in Folge der
von außen in das Recht eingreifenden utilitas, entweder
auf einen Vortheil oder einen Nachtheil dieser Klasse. In
dem ersten Fall, welcher der häufigste ist, heißt jenes Recht
auch beneficium (y). Beyspiele des letzten Falls sind die
im neueren Römischen Recht wichtigen besonderen Rechte
der Ketzer und Juden. -- Nach dieser Darstellung ist der
Begriff des Jus singulare ein allgemeiner, nicht histori-
scher. Dennoch kann er insofern einen historischen Cha-
racter annehmen, als ein dem Recht ursprünglich fremdes
Princip von demselben assimilirt werden kann, so daß Das,
was ursprünglich als utilitas galt, im Lauf der Zeit als
ratio juris aufgefaßt wird. Das geschah ohne Zweifel
bey dem Erwerb des Besitzes durch freye Mittelspersonen,

(y) Z. B. L. 1 § 2 ad munic. (50. 1.).

Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
Juſtinians dreyjährige Uſucapion nur auf bewegliche Sa-
chen, iſt aber darum dennoch kein Jus singulare. Das
Vorrecht der Unmündigen bey der actio tutelae iſt ein
Jus singulare, ihre Handlungsunfähigkeit iſt es nicht.
Das Sc. Vellejanum iſt ein Jus singulare der Frauen,
ihre ausſchließende Fähigkeit, mit Männern in dem Rechts-
verhältniß einer Ehe zu leben, iſt es nicht. Alſo iſt die
Beſchränkung eines Rechts auf einzelne Klaſſen nicht das,
wodurch das Recht zu einem Jus singulare wird. — In der
gewöhnlichſten Beziehung auf eine einzelne Klaſſe von Per-
ſonen iſt der Zweck nicht, wie bey dem regelmäßigen
Recht (der aequitas) auf eine gleichmäßige Behandlung
aller Betheiligten gerichtet, ſondern vielmehr, in Folge der
von außen in das Recht eingreifenden utilitas, entweder
auf einen Vortheil oder einen Nachtheil dieſer Klaſſe. In
dem erſten Fall, welcher der häufigſte iſt, heißt jenes Recht
auch beneficium (y). Beyſpiele des letzten Falls ſind die
im neueren Römiſchen Recht wichtigen beſonderen Rechte
der Ketzer und Juden. — Nach dieſer Darſtellung iſt der
Begriff des Jus singulare ein allgemeiner, nicht hiſtori-
ſcher. Dennoch kann er inſofern einen hiſtoriſchen Cha-
racter annehmen, als ein dem Recht urſprünglich fremdes
Princip von demſelben aſſimilirt werden kann, ſo daß Das,
was urſprünglich als utilitas galt, im Lauf der Zeit als
ratio juris aufgefaßt wird. Das geſchah ohne Zweifel
bey dem Erwerb des Beſitzes durch freye Mittelsperſonen,

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[64/0120] Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen. Juſtinians dreyjährige Uſucapion nur auf bewegliche Sa- chen, iſt aber darum dennoch kein Jus singulare. Das Vorrecht der Unmündigen bey der actio tutelae iſt ein Jus singulare, ihre Handlungsunfähigkeit iſt es nicht. Das Sc. Vellejanum iſt ein Jus singulare der Frauen, ihre ausſchließende Fähigkeit, mit Männern in dem Rechts- verhältniß einer Ehe zu leben, iſt es nicht. Alſo iſt die Beſchränkung eines Rechts auf einzelne Klaſſen nicht das, wodurch das Recht zu einem Jus singulare wird. — In der gewöhnlichſten Beziehung auf eine einzelne Klaſſe von Per- ſonen iſt der Zweck nicht, wie bey dem regelmäßigen Recht (der aequitas) auf eine gleichmäßige Behandlung aller Betheiligten gerichtet, ſondern vielmehr, in Folge der von außen in das Recht eingreifenden utilitas, entweder auf einen Vortheil oder einen Nachtheil dieſer Klaſſe. In dem erſten Fall, welcher der häufigſte iſt, heißt jenes Recht auch beneficium (y). Beyſpiele des letzten Falls ſind die im neueren Römiſchen Recht wichtigen beſonderen Rechte der Ketzer und Juden. — Nach dieſer Darſtellung iſt der Begriff des Jus singulare ein allgemeiner, nicht hiſtori- ſcher. Dennoch kann er inſofern einen hiſtoriſchen Cha- racter annehmen, als ein dem Recht urſprünglich fremdes Princip von demſelben aſſimilirt werden kann, ſo daß Das, was urſprünglich als utilitas galt, im Lauf der Zeit als ratio juris aufgefaßt wird. Das geſchah ohne Zweifel bey dem Erwerb des Beſitzes durch freye Mittelsperſonen, (y) Z. B. L. 1 § 2 ad munic. (50. 1.).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/120>, abgerufen am 21.11.2024.