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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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Unkunde verbreitet über das ganze Werk mehr Däm-
merung, als man glauben sollte. Allein dieser Punkt,
so wichtig er ist, bleibt doch zu sehr im allgemeinen
stehen; die Lehre von der Ungültigkeit juristischer
Handlungen in Anwendung auf die Verträge, auf
die actes de l'etat civil und auf die Ehe, wird
Gelegenheit geben, mehr in das besondere einzuge-
hen. Für die Ungültigkeit der Verträge hat das
Römische Recht den bekannten Unterschied von ipso
jure
und per exceptionem, der im alten Recht mit
der höchsten Bestimmtheit ausgebildet war, und noch
im Justinianischen Recht wohl mehr, als man ge-
wöhnlich annimmt, wirksam geblieben ist. Im Code
kommt ein Gegensatz von convention nulle de
plein droit
und action en nullite ou en rescision
vor (a. 1117). Ob die Verfasser diesen Gegensatz
für einerley mit jenem Römischen gehalten haben,
kann uns gleichgültig seyn: aber sehr wichtig ist es,
daß die Theorie dieser indirecten Ungültigkeit (durch
action en nullite) ganz unbestimmt gelassen ist.
Es kommt fast nichts davon vor, als die Zeit der
Verjährung (a. 1304), während sehr viele und sehr
wichtige Verschiedenheiten der Wirkung gerade so
noch jetzt statt finden können, wie sie bey den Rö-
mern statt fanden, also auf irgend eine Weise be-
stimmt werden mußten, da die Sache einmal ange-
regt war. -- Für die actes de l'etat civil ist eine
Menge von Förmlichkeiten vorgeschrieben, die ihrer

E 2

Unkunde verbreitet über das ganze Werk mehr Däm-
merung, als man glauben ſollte. Allein dieſer Punkt,
ſo wichtig er iſt, bleibt doch zu ſehr im allgemeinen
ſtehen; die Lehre von der Ungültigkeit juriſtiſcher
Handlungen in Anwendung auf die Verträge, auf
die actes de l’etat civil und auf die Ehe, wird
Gelegenheit geben, mehr in das beſondere einzuge-
hen. Für die Ungültigkeit der Verträge hat das
Römiſche Recht den bekannten Unterſchied von ipso
jure
und per exceptionem, der im alten Recht mit
der höchſten Beſtimmtheit ausgebildet war, und noch
im Juſtinianiſchen Recht wohl mehr, als man ge-
wöhnlich annimmt, wirkſam geblieben iſt. Im Code
kommt ein Gegenſatz von convention nulle de
plein droit
und action en nullité ou en rescision
vor (a. 1117). Ob die Verfaſſer dieſen Gegenſatz
für einerley mit jenem Römiſchen gehalten haben,
kann uns gleichgültig ſeyn: aber ſehr wichtig iſt es,
daß die Theorie dieſer indirecten Ungültigkeit (durch
action en nullité) ganz unbeſtimmt gelaſſen iſt.
Es kommt faſt nichts davon vor, als die Zeit der
Verjährung (a. 1304), während ſehr viele und ſehr
wichtige Verſchiedenheiten der Wirkung gerade ſo
noch jetzt ſtatt finden können, wie ſie bey den Rö-
mern ſtatt fanden, alſo auf irgend eine Weiſe be-
ſtimmt werden mußten, da die Sache einmal ange-
regt war. — Für die actes de l’état civil iſt eine
Menge von Förmlichkeiten vorgeſchrieben, die ihrer

E 2
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[67/0077] Unkunde verbreitet über das ganze Werk mehr Däm- merung, als man glauben ſollte. Allein dieſer Punkt, ſo wichtig er iſt, bleibt doch zu ſehr im allgemeinen ſtehen; die Lehre von der Ungültigkeit juriſtiſcher Handlungen in Anwendung auf die Verträge, auf die actes de l’etat civil und auf die Ehe, wird Gelegenheit geben, mehr in das beſondere einzuge- hen. Für die Ungültigkeit der Verträge hat das Römiſche Recht den bekannten Unterſchied von ipso jure und per exceptionem, der im alten Recht mit der höchſten Beſtimmtheit ausgebildet war, und noch im Juſtinianiſchen Recht wohl mehr, als man ge- wöhnlich annimmt, wirkſam geblieben iſt. Im Code kommt ein Gegenſatz von convention nulle de plein droit und action en nullité ou en rescision vor (a. 1117). Ob die Verfaſſer dieſen Gegenſatz für einerley mit jenem Römiſchen gehalten haben, kann uns gleichgültig ſeyn: aber ſehr wichtig iſt es, daß die Theorie dieſer indirecten Ungültigkeit (durch action en nullité) ganz unbeſtimmt gelaſſen iſt. Es kommt faſt nichts davon vor, als die Zeit der Verjährung (a. 1304), während ſehr viele und ſehr wichtige Verſchiedenheiten der Wirkung gerade ſo noch jetzt ſtatt finden können, wie ſie bey den Rö- mern ſtatt fanden, alſo auf irgend eine Weiſe be- ſtimmt werden mußten, da die Sache einmal ange- regt war. — Für die actes de l’état civil iſt eine Menge von Förmlichkeiten vorgeſchrieben, die ihrer E 2

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/77>, abgerufen am 27.04.2024.