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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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und fast als Quelle verehrt und studiert wird, muß
doch Mitleid erregen. Betrachten wir ferner diese
juristische Gelehrsamkeit, wie sie in unläugbaren
Thatsachen vor uns liegt, so ist sie in der That
merkwürdig. Sehr bedeutend sind schon solche Er-
scheinungen wie Desquiron 1), der von ei-
nem Römischen Juristen Justus Lipsius bald
nach den zwölf Tafeln und von dem berühmten
Sicardus unter Theodosius II., Verfasser des
Codex Theodosianus, erzählt; selbst solche Monstrosi-
täten verstatten einen Schluß auf den mittleren Durch-
schnitt des wissenschaftlichen Zustandes. Allein wir
wollen uns unmittelbar an die Verfasser des Gesetzbuchs
wenden, an Bigot-Preameneu, Portalis und
Maleville. Von den gelehrten Ansichten des ersten
ist bereits oben (35) eine Probe vorgekommen. Von
Portalis mag die folgende Probe genügen. Der
art. 6. enthält die Regel: jus publicum privato-
rum pactis mutari non potest.
Man hatte den
Einwurf gemacht, jus publicum heiße nicht das
Recht was den Staat interessirt, sondern jedes Ge-
setz ohne Unterschied, jedes jus publice stabilitum.
Darauf antwortet Portalis 2): im allgemeinen seyen

1) Desquiron esprit des Institutes de Justinien confere avec
le code Nap. Paris Renaudiere, 1807. 2 vol. 4.,
in der histori-
schen Einleitung.
2) Moniteur an X. N. 86. p. 339. Die Rede gehört zu den
nachher unterdrückten Verhandlungen.

und faſt als Quelle verehrt und ſtudiert wird, muß
doch Mitleid erregen. Betrachten wir ferner dieſe
juriſtiſche Gelehrſamkeit, wie ſie in unläugbaren
Thatſachen vor uns liegt, ſo iſt ſie in der That
merkwürdig. Sehr bedeutend ſind ſchon ſolche Er-
ſcheinungen wie Desquiron 1), der von ei-
nem Römiſchen Juriſten Juſtus Lipſius bald
nach den zwölf Tafeln und von dem berühmten
Sicardus unter Theodoſius II., Verfaſſer des
Codex Theodoſianus, erzählt; ſelbſt ſolche Monſtroſi-
täten verſtatten einen Schluß auf den mittleren Durch-
ſchnitt des wiſſenſchaftlichen Zuſtandes. Allein wir
wollen uns unmittelbar an die Verfaſſer des Geſetzbuchs
wenden, an Bigot-Preameneu, Portalis und
Maleville. Von den gelehrten Anſichten des erſten
iſt bereits oben (35) eine Probe vorgekommen. Von
Portalis mag die folgende Probe genügen. Der
art. 6. enthält die Regel: jus publicum privato-
rum pactis mutari non potest.
Man hatte den
Einwurf gemacht, jus publicum heiße nicht das
Recht was den Staat intereſſirt, ſondern jedes Ge-
ſetz ohne Unterſchied, jedes jus publice stabilitum.
Darauf antwortet Portalis 2): im allgemeinen ſeyen

1) Desquiron esprit des Institutes de Justinien conféré avec
le code Nap. Paris Renaudiere, 1807. 2 vol. 4.,
in der hiſtori-
ſchen Einleitung.
2) Moniteur an X. N. 86. p. 339. Die Rede gehört zu den
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[61/0071] und faſt als Quelle verehrt und ſtudiert wird, muß doch Mitleid erregen. Betrachten wir ferner dieſe juriſtiſche Gelehrſamkeit, wie ſie in unläugbaren Thatſachen vor uns liegt, ſo iſt ſie in der That merkwürdig. Sehr bedeutend ſind ſchon ſolche Er- ſcheinungen wie Desquiron 1), der von ei- nem Römiſchen Juriſten Juſtus Lipſius bald nach den zwölf Tafeln und von dem berühmten Sicardus unter Theodoſius II., Verfaſſer des Codex Theodoſianus, erzählt; ſelbſt ſolche Monſtroſi- täten verſtatten einen Schluß auf den mittleren Durch- ſchnitt des wiſſenſchaftlichen Zuſtandes. Allein wir wollen uns unmittelbar an die Verfaſſer des Geſetzbuchs wenden, an Bigot-Preameneu, Portalis und Maleville. Von den gelehrten Anſichten des erſten iſt bereits oben (35) eine Probe vorgekommen. Von Portalis mag die folgende Probe genügen. Der art. 6. enthält die Regel: jus publicum privato- rum pactis mutari non potest. Man hatte den Einwurf gemacht, jus publicum heiße nicht das Recht was den Staat intereſſirt, ſondern jedes Ge- ſetz ohne Unterſchied, jedes jus publice stabilitum. Darauf antwortet Portalis 2): im allgemeinen ſeyen 1) Desquiron esprit des Institutes de Justinien conféré avec le code Nap. Paris Renaudiere, 1807. 2 vol. 4., in der hiſtori- ſchen Einleitung. 2) Moniteur an X. N. 86. p. 339. Die Rede gehört zu den nachher unterdrückten Verhandlungen.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/71>, abgerufen am 28.04.2024.