Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

Wechsel der letzte so oft beschworene Gegenstand des
Glaubens und der Verehrung wieder vernichtet wur-
de, und daß Ausdrücke und Formen nunmehr bestän-
dig mit den Begriffen in Widerspruch kamen, wo-
durch in den Meisten auch der letzte Rest von Wahr-
heit und sittlicher Haltung verschwinden mußte. Es
würde schwer seyn, einen öffentlichen Zustand zu er-
finden, welcher für die Gesetzgebung nachtheiliger als
dieser wirkliche wäre. Auch blickt bey den Franzo-
sen selbst nicht selten durch die stehenden Lobpreisun-
gen ein Gefühl dieses unseeligen Zustandes und der
Unvollkommenheit der auf denselben gegründeten Ar-
beit hervor 1). Für Deutschland aber, das der Fluch
dieser Revolution nicht getroffen hatte, war der Code,
der Frankreich einen Theil des Weges zurück führte,
vielmehr ein Schritt vorwärts in den Zustand der
Revolution hinein, folglich verderblicher und heilloser
als für Frankreich selbst 2). -- Doch alle diese An-
sichten haben glücklicherweise für uns Deutsche nur
noch ein historisches Interesse. Napoleon zwar hatte
es anders gemeynt. Ihm diente der Code als ein
Band mehr, die Völker zu umschlingen, und darum

1) Einige Stellen s. bey Rehberg S. 141. 163. 177. 187.
2) Dieses sind im wesentlichen die Ansichten von Rehberg,
und ich sehe nicht, wie man diesen ungerechte Bitterkeit vorwer-
fen kann: die Anwendung auf manche einzelne Stellen läßt sich
freylich bestreiten.

Wechſel der letzte ſo oft beſchworene Gegenſtand des
Glaubens und der Verehrung wieder vernichtet wur-
de, und daß Ausdrücke und Formen nunmehr beſtän-
dig mit den Begriffen in Widerſpruch kamen, wo-
durch in den Meiſten auch der letzte Reſt von Wahr-
heit und ſittlicher Haltung verſchwinden mußte. Es
würde ſchwer ſeyn, einen öffentlichen Zuſtand zu er-
finden, welcher für die Geſetzgebung nachtheiliger als
dieſer wirkliche wäre. Auch blickt bey den Franzo-
ſen ſelbſt nicht ſelten durch die ſtehenden Lobpreiſun-
gen ein Gefühl dieſes unſeeligen Zuſtandes und der
Unvollkommenheit der auf denſelben gegründeten Ar-
beit hervor 1). Für Deutſchland aber, das der Fluch
dieſer Revolution nicht getroffen hatte, war der Code,
der Frankreich einen Theil des Weges zurück führte,
vielmehr ein Schritt vorwärts in den Zuſtand der
Revolution hinein, folglich verderblicher und heilloſer
als für Frankreich ſelbſt 2). — Doch alle dieſe An-
ſichten haben glücklicherweiſe für uns Deutſche nur
noch ein hiſtoriſches Intereſſe. Napoleon zwar hatte
es anders gemeynt. Ihm diente der Code als ein
Band mehr, die Völker zu umſchlingen, und darum

1) Einige Stellen ſ. bey Rehberg S. 141. 163. 177. 187.
2) Dieſes ſind im weſentlichen die Anſichten von Rehberg,
und ich ſehe nicht, wie man dieſen ungerechte Bitterkeit vorwer-
fen kann: die Anwendung auf manche einzelne Stellen läßt ſich
freylich beſtreiten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0067" n="57"/>
Wech&#x017F;el der letzte &#x017F;o oft be&#x017F;chworene Gegen&#x017F;tand des<lb/>
Glaubens und der Verehrung wieder vernichtet wur-<lb/>
de, und daß Ausdrücke und Formen nunmehr be&#x017F;tän-<lb/>
dig mit den Begriffen in Wider&#x017F;pruch kamen, wo-<lb/>
durch in den Mei&#x017F;ten auch der letzte Re&#x017F;t von Wahr-<lb/>
heit und &#x017F;ittlicher Haltung ver&#x017F;chwinden mußte. Es<lb/>
würde &#x017F;chwer &#x017F;eyn, einen öffentlichen Zu&#x017F;tand zu er-<lb/>
finden, welcher für die Ge&#x017F;etzgebung nachtheiliger als<lb/>
die&#x017F;er wirkliche wäre. Auch blickt bey den Franzo-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;elb&#x017F;t nicht &#x017F;elten durch die &#x017F;tehenden Lobprei&#x017F;un-<lb/>
gen ein Gefühl die&#x017F;es un&#x017F;eeligen Zu&#x017F;tandes und der<lb/>
Unvollkommenheit der auf den&#x017F;elben gegründeten Ar-<lb/>
beit hervor <note place="foot" n="1)">Einige Stellen &#x017F;. bey <hi rendition="#g">Rehberg</hi> S. 141. 163. 177. 187.</note>. Für Deut&#x017F;chland aber, das der Fluch<lb/>
die&#x017F;er Revolution nicht getroffen hatte, war der Code,<lb/>
der Frankreich einen Theil des Weges zurück führte,<lb/>
vielmehr ein Schritt vorwärts in den Zu&#x017F;tand der<lb/>
Revolution hinein, folglich verderblicher und heillo&#x017F;er<lb/>
als für Frankreich &#x017F;elb&#x017F;t <note place="foot" n="2)">Die&#x017F;es &#x017F;ind im we&#x017F;entlichen die An&#x017F;ichten von <hi rendition="#g">Rehberg</hi>,<lb/>
und ich &#x017F;ehe nicht, wie man die&#x017F;en ungerechte Bitterkeit vorwer-<lb/>
fen kann: die Anwendung auf manche einzelne Stellen läßt &#x017F;ich<lb/>
freylich be&#x017F;treiten.</note>. &#x2014; Doch alle die&#x017F;e An-<lb/>
&#x017F;ichten haben glücklicherwei&#x017F;e für uns Deut&#x017F;che nur<lb/>
noch ein hi&#x017F;tori&#x017F;ches Intere&#x017F;&#x017F;e. Napoleon zwar hatte<lb/>
es anders gemeynt. Ihm diente der Code als ein<lb/>
Band mehr, die Völker zu um&#x017F;chlingen, und darum<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0067] Wechſel der letzte ſo oft beſchworene Gegenſtand des Glaubens und der Verehrung wieder vernichtet wur- de, und daß Ausdrücke und Formen nunmehr beſtän- dig mit den Begriffen in Widerſpruch kamen, wo- durch in den Meiſten auch der letzte Reſt von Wahr- heit und ſittlicher Haltung verſchwinden mußte. Es würde ſchwer ſeyn, einen öffentlichen Zuſtand zu er- finden, welcher für die Geſetzgebung nachtheiliger als dieſer wirkliche wäre. Auch blickt bey den Franzo- ſen ſelbſt nicht ſelten durch die ſtehenden Lobpreiſun- gen ein Gefühl dieſes unſeeligen Zuſtandes und der Unvollkommenheit der auf denſelben gegründeten Ar- beit hervor 1). Für Deutſchland aber, das der Fluch dieſer Revolution nicht getroffen hatte, war der Code, der Frankreich einen Theil des Weges zurück führte, vielmehr ein Schritt vorwärts in den Zuſtand der Revolution hinein, folglich verderblicher und heilloſer als für Frankreich ſelbſt 2). — Doch alle dieſe An- ſichten haben glücklicherweiſe für uns Deutſche nur noch ein hiſtoriſches Intereſſe. Napoleon zwar hatte es anders gemeynt. Ihm diente der Code als ein Band mehr, die Völker zu umſchlingen, und darum 1) Einige Stellen ſ. bey Rehberg S. 141. 163. 177. 187. 2) Dieſes ſind im weſentlichen die Anſichten von Rehberg, und ich ſehe nicht, wie man dieſen ungerechte Bitterkeit vorwer- fen kann: die Anwendung auf manche einzelne Stellen läßt ſich freylich beſtreiten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/67
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/67>, abgerufen am 28.04.2024.