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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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198), und diese allgemeine Gewalt des künftigen
Intestaterben 1) über die Person des Minderjährigen
ist sehr bedenklich. Man braucht nicht gerade den
äußersten Fall anzunehmen, daß der Vormund den
Mündel umbringt, um ihn zu beerben: auch in vie-
len anderen unbemerkteren Fällen wird in der per-
sönlichen Leitung und Erziehung das Interesse des
Mündels von dem seines künftigen Erben sehr ver-
schieden seyn. Dagegen schützen weder die gesetzli-
chen Gründe der Unfähigkeit zur Vormundschaft (§.
191. 193), die immer sehr selten nachzuweisen seyn
werden, noch die Genehmigung des Gerichts, die ja
nur in bedenklichen Angelegenheiten eingeholt zu wer-
den braucht (§. 216), noch endlich die Anzeige, die
hinterher von wirklichem Misbrauch der Gewalt ge-
macht werden kann (§. 217). In diesem Fall ist
der organische Zusammenhang verschiedener Rechts-
sätze recht merkwürdig. Das Römische Recht macht
seine tutela legitima dadurch unschädlich, daß es
die Erziehung davon absondert: der Hauptberuf des
Tutors ist der, zu auctoriren, und gewiß ist von kei-
nem Menschen weniger als von dem künftigen Er-
ben zu befürchten, daß er in leichtsinnige Veräuße-

1) Nämlich nach Römischem Rechte war allgemein und ab-
sichtlich der Intestaterbe zur Tutel berufen; im Oesterreichischen
Gesetzbuch kann es wegen der Linealerbfolge kommen, daß der
Intestaterbe und der zur Vormundschaft berufene nächste Ver-
wandte verschiedene Personen sind, in den meisten Fällen aber
wird es auch hier dieselbe Person seyn.

198), und dieſe allgemeine Gewalt des künftigen
Inteſtaterben 1) über die Perſon des Minderjährigen
iſt ſehr bedenklich. Man braucht nicht gerade den
äußerſten Fall anzunehmen, daß der Vormund den
Mündel umbringt, um ihn zu beerben: auch in vie-
len anderen unbemerkteren Fällen wird in der per-
ſönlichen Leitung und Erziehung das Intereſſe des
Mündels von dem ſeines künftigen Erben ſehr ver-
ſchieden ſeyn. Dagegen ſchützen weder die geſetzli-
chen Gründe der Unfähigkeit zur Vormundſchaft (§.
191. 193), die immer ſehr ſelten nachzuweiſen ſeyn
werden, noch die Genehmigung des Gerichts, die ja
nur in bedenklichen Angelegenheiten eingeholt zu wer-
den braucht (§. 216), noch endlich die Anzeige, die
hinterher von wirklichem Misbrauch der Gewalt ge-
macht werden kann (§. 217). In dieſem Fall iſt
der organiſche Zuſammenhang verſchiedener Rechts-
ſätze recht merkwürdig. Das Römiſche Recht macht
ſeine tutela legitima dadurch unſchädlich, daß es
die Erziehung davon abſondert: der Hauptberuf des
Tutors iſt der, zu auctoriren, und gewiß iſt von kei-
nem Menſchen weniger als von dem künftigen Er-
ben zu befürchten, daß er in leichtſinnige Veräuße-

1) Nämlich nach Römiſchem Rechte war allgemein und ab-
ſichtlich der Inteſtaterbe zur Tutel berufen; im Oeſterreichiſchen
Geſetzbuch kann es wegen der Linealerbfolge kommen, daß der
Inteſtaterbe und der zur Vormundſchaft berufene nächſte Ver-
wandte verſchiedene Perſonen ſind, in den meiſten Fällen aber
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[105/0115] 198), und dieſe allgemeine Gewalt des künftigen Inteſtaterben 1) über die Perſon des Minderjährigen iſt ſehr bedenklich. Man braucht nicht gerade den äußerſten Fall anzunehmen, daß der Vormund den Mündel umbringt, um ihn zu beerben: auch in vie- len anderen unbemerkteren Fällen wird in der per- ſönlichen Leitung und Erziehung das Intereſſe des Mündels von dem ſeines künftigen Erben ſehr ver- ſchieden ſeyn. Dagegen ſchützen weder die geſetzli- chen Gründe der Unfähigkeit zur Vormundſchaft (§. 191. 193), die immer ſehr ſelten nachzuweiſen ſeyn werden, noch die Genehmigung des Gerichts, die ja nur in bedenklichen Angelegenheiten eingeholt zu wer- den braucht (§. 216), noch endlich die Anzeige, die hinterher von wirklichem Misbrauch der Gewalt ge- macht werden kann (§. 217). In dieſem Fall iſt der organiſche Zuſammenhang verſchiedener Rechts- ſätze recht merkwürdig. Das Römiſche Recht macht ſeine tutela legitima dadurch unſchädlich, daß es die Erziehung davon abſondert: der Hauptberuf des Tutors iſt der, zu auctoriren, und gewiß iſt von kei- nem Menſchen weniger als von dem künftigen Er- ben zu befürchten, daß er in leichtſinnige Veräuße- 1) Nämlich nach Römiſchem Rechte war allgemein und ab- ſichtlich der Inteſtaterbe zur Tutel berufen; im Oeſterreichiſchen Geſetzbuch kann es wegen der Linealerbfolge kommen, daß der Inteſtaterbe und der zur Vormundſchaft berufene nächſte Ver- wandte verſchiedene Perſonen ſind, in den meiſten Fällen aber wird es auch hier dieſelbe Perſon ſeyn.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/115>, abgerufen am 03.05.2024.