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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Sechste Geistliche Lection
den einen Schweffel Pfeiffer gleich gehalten werdest? alsbald begibt er sich auff
den Weeg/ umb diesen Mann mit möglichem Fleiß zu suchen; und da er ihn
gefunden/ fragt er auffs aller genaueste/ was vor Manier zu leben/ und wel-
che Tugenden er an sich habe. Dieser fangt an über eine so ernstliche Fra-
ge zu lachen/ und dannoch der Sachen Beschaffenheit zu bekennen: Jch/ sagt
er/ bin erstlich ein Mörder gewesen/ und jetzt bin ich ein Schweffel-Pfeiffer.
So viel meine Tugenden angehet/ mein lieber Freund/ fragstu umbsonst; dann
ich derselben keine an mir hab/ so gar/ daß ich auch keine zu nennen weiß.
Paphnutius setzet diesem Menschen weiters mit Fragen zu/ er mögte ihm
doch sagen/ ob er auch wohl zu Zeit der verübten Mordthaten etwas Gu-
tes gethan habe: darauff er antwortet: ach lieber! du melckest einen Bock/
mein Gewissen ist zumahlen unfruchtbar; ich bin gewesen ein Schlauer der
Geylheit und der Trunckenheit: dieses eintzige weiß ich allein/ daß ich eine
GOtt-geweyhete Jungfrau/ so wir gefangen/ und meine Mit-Gesellen
schänden wollen/ davon befreyet/ und ins nächste Dorff geführet habe. Daß
andere/ so mir beyfallet/ ist dieses. Vor einigen Jahren hab ich ein Weib
im Busch gefunden/ welches den Weeg verfehlet und bitterlich geweinet:
da ich nun die Ursach solchen Weinens fragte/ gab sie mir zur Antwort:
frage doch nicht lang mich so unglückseeliges Weib; sondern/ wann du eine
Magd vonnöthen hast/ so nehme mich/ und führe mich hin/ wohe du ver-
langest; Mein Ehemann ist wegen grosser Schulden in den Kercker ge-
worffen; und ist nicht weit darvon/ daß er sterben werde; es ist aber keine Hoff-
nung deß Errettens übrig. Die Schüldner haben meine drey Söhne; aber/
leyder GOttes! nicht mehr meine/ sich zu Sclaven gemacht an Platz der
Bezahlung: Mich hat man auch umb gleiches Elend außzustehen gesuchet;
bin aber in grossem Hunger und Kummer hierhin flüchtig/ und von aller
menschlichen Hülff und Rath entlassen. Nachdem ich dieses alles ange-
hört/ sagte der Pfeiffer/ hab ich mich über solches Jammer erbarmet/ und
weilen ich darfür gehalten/ daß es also GOttes Willen gemäß seye; hab
ich das Krafft-lose Weib mit mir zu unser Gruben genommen/ und alldor-
ten den halb-todten Leib durch mögliche Labung gleichsamb wiederum zum
Leben erwecket: und weilen mir nicht unbewust ware/ daß GOtt ein reicher
HErr seye/ als habe ich das flüchtige Weib wiederum in die Stadt gebracht/
und umb Erlösung der Kinder und deren Vatters viel Gelds angewendet.
Du aber/ mein guter Freund/ wollest mir mit mehrern Frag-Reden nicht
mehr überlästig seyn: dann diese seynd alle meine tugendsame Werck; und
kan ich viel leichter und hurtiger meine Laster als meine Tugenden erzehlen.

Jch

Die Sechſte Geiſtliche Lection
den einẽ Schweffel Pfeiffer gleich gehalten werdeſt? alsbald begibt er ſich auff
den Weeg/ umb dieſen Mann mit moͤglichem Fleiß zu ſuchen; und da er ihn
gefunden/ fragt er auffs aller genaueſte/ was vor Manier zu leben/ und wel-
che Tugenden er an ſich habe. Dieſer fangt an uͤber eine ſo ernſtliche Fra-
ge zu lachen/ und dannoch der Sachen Beſchaffenheit zu bekennen: Jch/ ſagt
er/ bin erſtlich ein Moͤrder geweſen/ und jetzt bin ich ein Schweffel-Pfeiffer.
So viel meine Tugenden angehet/ mein lieber Freund/ fragſtu umbſonſt; dann
ich derſelben keine an mir hab/ ſo gar/ daß ich auch keine zu nennen weiß.
Paphnutius ſetzet dieſem Menſchen weiters mit Fragen zu/ er moͤgte ihm
doch ſagen/ ob er auch wohl zu Zeit der veruͤbten Mordthaten etwas Gu-
tes gethan habe: darauff er antwortet: ach lieber! du melckeſt einen Bock/
mein Gewiſſen iſt zumahlen unfruchtbar; ich bin geweſen ein Schlauer der
Geylheit und der Trunckenheit: dieſes eintzige weiß ich allein/ daß ich eine
GOtt-geweyhete Jungfrau/ ſo wir gefangen/ und meine Mit-Geſellen
ſchaͤnden wollen/ davon befreyet/ und ins naͤchſte Dorff gefuͤhret habe. Daß
andere/ ſo mir beyfallet/ iſt dieſes. Vor einigen Jahren hab ich ein Weib
im Buſch gefunden/ welches den Weeg verfehlet und bitterlich geweinet:
da ich nun die Urſach ſolchen Weinens fragte/ gab ſie mir zur Antwort:
frage doch nicht lang mich ſo ungluͤckſeeliges Weib; ſondern/ wann du eine
Magd vonnoͤthen haſt/ ſo nehme mich/ und fuͤhre mich hin/ wohe du ver-
langeſt; Mein Ehemann iſt wegen groſſer Schulden in den Kercker ge-
worffen; und iſt nicht weit darvon/ daß er ſterben werde; es iſt aber keine Hoff-
nung deß Errettens uͤbrig. Die Schuͤldner haben meine drey Soͤhne; aber/
leyder GOttes! nicht mehr meine/ ſich zu Sclaven gemacht an Platz der
Bezahlung: Mich hat man auch umb gleiches Elend außzuſtehen geſuchet;
bin aber in groſſem Hunger und Kummer hierhin fluͤchtig/ und von aller
menſchlichen Huͤlff und Rath entlaſſen. Nachdem ich dieſes alles ange-
hoͤrt/ ſagte der Pfeiffer/ hab ich mich uͤber ſolches Jammer erbarmet/ und
weilen ich darfuͤr gehalten/ daß es alſo GOttes Willen gemaͤß ſeye; hab
ich das Krafft-loſe Weib mit mir zu unſer Gruben genommen/ und alldor-
ten den halb-todten Leib durch moͤgliche Labung gleichſamb wiederum zum
Leben erwecket: und weilen mir nicht unbewuſt ware/ daß GOtt ein reicher
HErr ſeye/ als habe ich das fluͤchtige Weib wiederum in die Stadt gebracht/
und umb Erloͤſung der Kinder und deren Vatters viel Gelds angewendet.
Du aber/ mein guter Freund/ wolleſt mir mit mehrern Frag-Reden nicht
mehr uͤberlaͤſtig ſeyn: dann dieſe ſeynd alle meine tugendſame Werck; und
kan ich viel leichter und hurtiger meine Laſter als meine Tugenden erzehlen.

Jch
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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/90>, abgerufen am 24.04.2024.