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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Sechste Geistliche Lection
heilige Diener GOttes durch immerwährenden angewendeten Fleiß sol-
chen Venus- Band zu lösen nicht vermögte. Einsmals ist der Jgnatius
in Erfahrnuß kommen/ daß der armseelige Buhler ausser der Stadt/ vil-
leicht zu seiner Amasia zu gehen entschlossen; derhalben begibt er sich alsbald
zu dem Wege/ allwo der Liebhaber muste vorbey gehen; wirfft sich an einem
Eyß-kalten Ort ins Wasser/ daß nur das Haupt/ umb sein Vorhaben
werckstellig zu machen/ vom Wasser befreyet ware: da nun dieser hinzu na-
het/ redet er ihn an mit diesen Worten: Gehe hin du armseeliger Mensch/ ge-
he hin zu deinen stinckenden Wollüsten; siehestu dann nicht deinen dir vor
Augen schwebenden Untergang? du solst wissen/ daß ich allhier diese bittere
Kälte so lang zu leyden mir hab vorgenommen/ biß ich den gerechten/ dir
zubereiteten Zorn Gottes von dir werd abgewendet haben. Da dieses alles
der mehr-gemeldte Schlave der Unkeuschen Wollüsten wargenommen/ ist
er gantz erschreckt worden/ und von diesem herrlichen Beyspiel der Liebe/
gleichsamb vom Donner zerschlagen/ zurück gangen/ die so lang gepflogene
sündhaffte Gemeinschafft hat er zertrennet/ und seyn leben gebessert. Der
offt-gedachte Göttliche Seelen-Liebhaber pflegte auch zu sagen/ daß er
umb Errettung deren mit dem Blut Christi erkaufften Seelen bereit seye/
mit blossen Füssen und mit Hörner beladen/ über die Gassen zu gehen/ und
daß er keine/ auch lächerlichste und schimpfflichste Kleidung zu tragen
scheue/ wann nur dadurch dem Menschen beförderlich seyn könnte. Wem
nun gefällig ist/ seinen Bruder in der Warheit zu lieben/ der unterstehe
sich/ die Exemplen der Heiligen GOttes zu folgen; und wann ihm schon
eben selbiges zu leisten nicht möglich ist; so soll er dennoch anderer dergleichen
sich befleissen/ durch welche er seinen Bruder zu gewinnen erachtet/ damit also
mit dem Moyse/ Paulo und Jgnatio den unschätzbahren Lohn der Liebe dar-
von trage/ nemblich die ewige Seeligkeit/ welche von Christo versprochen
Matt. 5.wird allen und jeden/ so da üben die Wercke der Liebe. Seelig seynd
die barmhertzige/ dann sie werden Barmhertzigkeit er-
langen.
Jch sage Barmhertzigkeit; dieweilen sie in diesem Zeitlichen
mit vielen Göttlichen Gnaden bereichet/ und im Andern deß ewigen Frie-
dens geniessen werden.

3. Damit wir aber von der brüderlichen Liebe noch besser mögen unterrich-
tet werden; ist vonnöhten/ daß wir erstlich den Befelch Christi sonderbahr be-
Masth. 7.
v.
14.
obachten/ der also lautet: Alles was ihr wollet/ daß euch die
Menschen thun sollen/ daß thut ihr ihnen auch/
und zwey-
tens die folgende Ermahnung deß frommen alten Tobiä in unser

Hertz

Die Sechſte Geiſtliche Lection
heilige Diener GOttes durch immerwaͤhrenden angewendeten Fleiß ſol-
chen Venus- Band zu loͤſen nicht vermoͤgte. Einsmals iſt der Jgnatius
in Erfahrnuß kommen/ daß der armſeelige Buhler auſſer der Stadt/ vil-
leicht zu ſeiner Amaſia zu gehen entſchloſſen; derhalben begibt er ſich alsbald
zu dem Wege/ allwo der Liebhaber muſte vorbey gehen; wirfft ſich an einem
Eyß-kalten Ort ins Waſſer/ daß nur das Haupt/ umb ſein Vorhaben
werckſtellig zu machen/ vom Waſſer befreyet ware: da nun dieſer hinzu na-
het/ redet er ihn an mit dieſen Worten: Gehe hin du armſeeliger Menſch/ ge-
he hin zu deinen ſtinckenden Wolluͤſten; ſieheſtu dann nicht deinen dir vor
Augen ſchwebenden Untergang? du ſolſt wiſſen/ daß ich allhier dieſe bittere
Kaͤlte ſo lang zu leyden mir hab vorgenommen/ biß ich den gerechten/ dir
zubereiteten Zorn Gottes von dir werd abgewendet haben. Da dieſes alles
der mehr-gemeldte Schlave der Unkeuſchen Wolluͤſten wargenommen/ iſt
er gantz erſchreckt worden/ und von dieſem herrlichen Beyſpiel der Liebe/
gleichſamb vom Donner zerſchlagen/ zuruͤck gangen/ die ſo lang gepflogene
ſuͤndhaffte Gemeinſchafft hat er zertrennet/ und ſeyn leben gebeſſert. Der
offt-gedachte Goͤttliche Seelen-Liebhaber pflegte auch zu ſagen/ daß er
umb Errettung deren mit dem Blut Chriſti erkaufften Seelen bereit ſeye/
mit bloſſen Fuͤſſen und mit Hoͤrner beladen/ uͤber die Gaſſen zu gehen/ und
daß er keine/ auch laͤcherlichſte und ſchimpfflichſte Kleidung zu tragen
ſcheue/ wann nur dadurch dem Menſchen befoͤrderlich ſeyn koͤnnte. Wem
nun gefaͤllig iſt/ ſeinen Bruder in der Warheit zu lieben/ der unterſtehe
ſich/ die Exemplen der Heiligen GOttes zu folgen; und wann ihm ſchon
eben ſelbiges zu leiſten nicht moͤglich iſt; ſo ſoll er dennoch anderer dergleichen
ſich befleiſſen/ durch welche er ſeinen Bruder zu gewinnen erachtet/ damit alſo
mit dem Moyſe/ Paulo und Jgnatio den unſchaͤtzbahren Lohn der Liebe dar-
von trage/ nemblich die ewige Seeligkeit/ welche von Chriſto verſprochen
Matt. 5.wird allen und jeden/ ſo da uͤben die Wercke der Liebe. Seelig ſeynd
die barmhertzige/ dann ſie werden Barmhertzigkeit er-
langen.
Jch ſage Barmhertzigkeit; dieweilen ſie in dieſem Zeitlichen
mit vielen Goͤttlichen Gnaden bereichet/ und im Andern deß ewigen Frie-
dens genieſſen werden.

3. Damit wir aber von der bruͤderlichen Liebe noch beſſer moͤgen unterrich-
tet werden; iſt vonnoͤhten/ daß wir erſtlich den Befelch Chriſti ſonderbahr be-
Masth. 7.
v.
14.
obachten/ der alſo lautet: Alles was ihr wollet/ daß euch die
Menſchen thun ſollen/ daß thut ihr ihnen auch/
und zwey-
tens die folgende Ermahnung deß frommen alten Tobiaͤ in unſer

Hertz
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[56/0084] Die Sechſte Geiſtliche Lection heilige Diener GOttes durch immerwaͤhrenden angewendeten Fleiß ſol- chen Venus- Band zu loͤſen nicht vermoͤgte. Einsmals iſt der Jgnatius in Erfahrnuß kommen/ daß der armſeelige Buhler auſſer der Stadt/ vil- leicht zu ſeiner Amaſia zu gehen entſchloſſen; derhalben begibt er ſich alsbald zu dem Wege/ allwo der Liebhaber muſte vorbey gehen; wirfft ſich an einem Eyß-kalten Ort ins Waſſer/ daß nur das Haupt/ umb ſein Vorhaben werckſtellig zu machen/ vom Waſſer befreyet ware: da nun dieſer hinzu na- het/ redet er ihn an mit dieſen Worten: Gehe hin du armſeeliger Menſch/ ge- he hin zu deinen ſtinckenden Wolluͤſten; ſieheſtu dann nicht deinen dir vor Augen ſchwebenden Untergang? du ſolſt wiſſen/ daß ich allhier dieſe bittere Kaͤlte ſo lang zu leyden mir hab vorgenommen/ biß ich den gerechten/ dir zubereiteten Zorn Gottes von dir werd abgewendet haben. Da dieſes alles der mehr-gemeldte Schlave der Unkeuſchen Wolluͤſten wargenommen/ iſt er gantz erſchreckt worden/ und von dieſem herrlichen Beyſpiel der Liebe/ gleichſamb vom Donner zerſchlagen/ zuruͤck gangen/ die ſo lang gepflogene ſuͤndhaffte Gemeinſchafft hat er zertrennet/ und ſeyn leben gebeſſert. Der offt-gedachte Goͤttliche Seelen-Liebhaber pflegte auch zu ſagen/ daß er umb Errettung deren mit dem Blut Chriſti erkaufften Seelen bereit ſeye/ mit bloſſen Fuͤſſen und mit Hoͤrner beladen/ uͤber die Gaſſen zu gehen/ und daß er keine/ auch laͤcherlichſte und ſchimpfflichſte Kleidung zu tragen ſcheue/ wann nur dadurch dem Menſchen befoͤrderlich ſeyn koͤnnte. Wem nun gefaͤllig iſt/ ſeinen Bruder in der Warheit zu lieben/ der unterſtehe ſich/ die Exemplen der Heiligen GOttes zu folgen; und wann ihm ſchon eben ſelbiges zu leiſten nicht moͤglich iſt; ſo ſoll er dennoch anderer dergleichen ſich befleiſſen/ durch welche er ſeinen Bruder zu gewinnen erachtet/ damit alſo mit dem Moyſe/ Paulo und Jgnatio den unſchaͤtzbahren Lohn der Liebe dar- von trage/ nemblich die ewige Seeligkeit/ welche von Chriſto verſprochen wird allen und jeden/ ſo da uͤben die Wercke der Liebe. Seelig ſeynd die barmhertzige/ dann ſie werden Barmhertzigkeit er- langen. Jch ſage Barmhertzigkeit; dieweilen ſie in dieſem Zeitlichen mit vielen Goͤttlichen Gnaden bereichet/ und im Andern deß ewigen Frie- dens genieſſen werden. Matt. 5. 3. Damit wir aber von der bruͤderlichen Liebe noch beſſer moͤgen unterrich- tet werden; iſt vonnoͤhten/ daß wir erſtlich den Befelch Chriſti ſonderbahr be- obachten/ der alſo lautet: Alles was ihr wollet/ daß euch die Menſchen thun ſollen/ daß thut ihr ihnen auch/ und zwey- tens die folgende Ermahnung deß frommen alten Tobiaͤ in unſer Hertz Masth. 7. v. 14.

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/84>, abgerufen am 29.03.2024.