Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Vier und Füntzigste Geistliche Lection
Mutter aber und deine Schwester seynd bereits vor drey Jahren/ dein Vat-
ter ist aber erstlich dieß Jahr gestorben/ und hat dir allein alles Haab und Gut
verlassen/ damit du solchen Schatz als ein frommer Gottseliger Sohn/ zu
euer beyder Seelen-Heyl/ unter die Armen außtheilest: zu welchem Ende
er dann unterschiedliche Botten/ dich zu suchen außgesandt/ so dich aber
nirgend haben finden können. Darumb ich mich dann billig hoch zu er-
freuen hab/ daß mir das Glück also günstig gewesen/ und dich allhier ange-
troffen habe. Der gute Einsidler antwortet Gottseliglich (wann er nur
auch beständiglich bey solcher Antwort verblichen wäre) Jch will/ spricht
er/ umbs Gelds Willen dieß mein liebes Oertlein nicht verlassen.
Darauff sagte der Feind hinwieder: was rath ich dir dann böses? Jch sag
nicht/ daß du die Reichtumb/ Geld und Gut besitzen; sondern unter die Armen
außtheilen/ und dich alsbald wiederumb zur Wüsten und Wildnuß begeben
sollest. Wie wirstu das am jüngsten Tag verantworten/ wann eine so an-
sehnliche Summa Gelds verfressen/ und den Armen entzogen wird? wie
wird deinem Vatter/ wie wird den Armen geholffen/ die du so grosser Barm-
hertzigkeit beraubest? Jch für meine Persohn/ antwortet der Bruder/
hab mich biß dato nichts weltliches kümmern lassen; sondern mich allein/
wie ich mein Gewissen rein halten/ und GOtt sambt seinen Heiligen an-
dächtiglich verehren möge/ jeder Zeit nach mögligkeit beflissen. Ja eben
dieses/ sagt der listige Lügner/ ist das Gewissen/ und GOttes Heiligen
bedencken; wann man den Eltern in einer so gottseligen Meynung/ und
den Armen bey so guter Gelegenheit zu Hülff und Trost kombt: Wem sol-
ches nicht angelegen ist/ der versaumbt sein eigen Gewissen/ und verachtet
GOtt sambt seinen Heiligen. Zu solchen Worten fragt der Einsidler: ist
dann sonst niemand auß meinen Freunden vorhanden/ der solche Verlassen-
schafft ohne mich unter die Armen außspendiren könte? Kanstu nicht/ sagt
der Betrieger/ so wird der nächste Geitzhals seines Gefallens darmit handlen:
werden also die Armentraurig/ elend und unbegabt darvon müssen; an wel-
chem allem du allein wirst schuldig seyn. Der unverständige junge Bru-
der lasset sich durch solche Wort bewegen/ verlast seine Wohnung und Ein-
nöde/ sambt GOtt und dessen Heiligen: reiset fort/ kombt in das Vatter-
Land: lernet unterwegens nicht wenig Laster und Buben-Stücklein von
seinem Gefärten/ der ihn gleichsamb unwissend und unvermerckt/ trefflich
in aller Weltligkeit und Bößheit abgerichtet. Nachdem er aber nach Hauß
kommen; siehe/ da begegnet ihm sein Vatter/ dender böse Feind für todt

angesagt

Die Vier und Fuͤntzigſte Geiſtliche Lection
Mutter aber und deine Schweſter ſeynd bereits vor drey Jahren/ dein Vat-
ter iſt aber erſtlich dieß Jahr geſtorben/ und hat dir allein alles Haab und Gut
verlaſſen/ damit du ſolchen Schatz als ein frommer Gottſeliger Sohn/ zu
euer beyder Seelen-Heyl/ unter die Armen außtheileſt: zu welchem Ende
er dann unterſchiedliche Botten/ dich zu ſuchen außgeſandt/ ſo dich aber
nirgend haben finden koͤnnen. Darumb ich mich dann billig hoch zu er-
freuen hab/ daß mir das Gluͤck alſo guͤnſtig geweſen/ und dich allhier ange-
troffen habe. Der gute Einſidler antwortet Gottſeliglich (wann er nur
auch beſtaͤndiglich bey ſolcher Antwort verblichen waͤre) Jch will/ ſpricht
er/ umbs Gelds Willen dieß mein liebes Oertlein nicht verlaſſen.
Darauff ſagte der Feind hinwieder: was rath ich dir dann boͤſes? Jch ſag
nicht/ daß du die Reichtumb/ Geld und Gut beſitzen; ſondern unter die Armen
außtheilen/ und dich alsbald wiederumb zur Wuͤſten und Wildnuß begeben
ſolleſt. Wie wirſtu das am juͤngſten Tag verantworten/ wann eine ſo an-
ſehnliche Summa Gelds verfreſſen/ und den Armen entzogen wird? wie
wird deinem Vatter/ wie wird den Armen geholffen/ die du ſo groſſer Barm-
hertzigkeit beraubeſt? Jch fuͤr meine Perſohn/ antwortet der Bruder/
hab mich biß dato nichts weltliches kuͤmmern laſſen; ſondern mich allein/
wie ich mein Gewiſſen rein halten/ und GOtt ſambt ſeinen Heiligen an-
daͤchtiglich verehren moͤge/ jeder Zeit nach moͤgligkeit befliſſen. Ja eben
dieſes/ ſagt der liſtige Luͤgner/ iſt das Gewiſſen/ und GOttes Heiligen
bedencken; wann man den Eltern in einer ſo gottſeligen Meynung/ und
den Armen bey ſo guter Gelegenheit zu Huͤlff und Troſt kombt: Wem ſol-
ches nicht angelegen iſt/ der verſaumbt ſein eigen Gewiſſen/ und verachtet
GOtt ſambt ſeinen Heiligen. Zu ſolchen Worten fragt der Einſidler: iſt
dann ſonſt niemand auß meinen Freunden vorhanden/ der ſolche Verlaſſen-
ſchafft ohne mich unter die Armen außſpendiren koͤnte? Kanſtu nicht/ ſagt
der Betrieger/ ſo wird der naͤchſte Geitzhals ſeines Gefallens darmit handlen:
werden alſo die Armentraurig/ elend und unbegabt darvon muͤſſen; an wel-
chem allem du allein wirſt ſchuldig ſeyn. Der unverſtaͤndige junge Bru-
der laſſet ſich durch ſolche Wort bewegen/ verlaſt ſeine Wohnung und Ein-
noͤde/ ſambt GOtt und deſſen Heiligen: reiſet fort/ kombt in das Vatter-
Land: lernet unterwegens nicht wenig Laſter und Buben-Stuͤcklein von
ſeinem Gefaͤrten/ der ihn gleichſamb unwiſſend und unvermerckt/ trefflich
in aller Weltligkeit und Boͤßheit abgerichtet. Nachdem er aber nach Hauß
kommen; ſiehe/ da begegnet ihm ſein Vatter/ dender boͤſe Feind fuͤr todt

angeſagt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0784" n="756"/><fw place="top" type="header">Die Vier und Fu&#x0364;ntzig&#x017F;te Gei&#x017F;tliche <hi rendition="#aq">Lection</hi></fw><lb/>
Mutter aber und deine Schwe&#x017F;ter &#x017F;eynd bereits vor drey Jahren/ dein Vat-<lb/>
ter i&#x017F;t aber er&#x017F;tlich dieß Jahr ge&#x017F;torben/ und hat dir allein alles Haab und Gut<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en/ damit du &#x017F;olchen Schatz als ein frommer Gott&#x017F;eliger Sohn/ zu<lb/>
euer beyder Seelen-Heyl/ unter die Armen außtheile&#x017F;t: zu welchem Ende<lb/>
er dann unter&#x017F;chiedliche Botten/ dich zu &#x017F;uchen außge&#x017F;andt/ &#x017F;o dich aber<lb/>
nirgend haben finden ko&#x0364;nnen. Darumb ich mich dann billig hoch zu er-<lb/>
freuen hab/ daß mir das Glu&#x0364;ck al&#x017F;o gu&#x0364;n&#x017F;tig gewe&#x017F;en/ und dich allhier ange-<lb/>
troffen habe. Der gute Ein&#x017F;idler antwortet Gott&#x017F;eliglich (wann er nur<lb/>
auch be&#x017F;ta&#x0364;ndiglich bey &#x017F;olcher Antwort verblichen wa&#x0364;re) Jch will/ &#x017F;pricht<lb/>
er/ umbs Gelds Willen dieß mein liebes Oertlein nicht verla&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Darauff &#x017F;agte der Feind hinwieder: was rath ich dir dann bo&#x0364;&#x017F;es? Jch &#x017F;ag<lb/>
nicht/ daß du die Reichtumb/ Geld und Gut be&#x017F;itzen; &#x017F;ondern unter die Armen<lb/>
außtheilen/ und dich alsbald wiederumb zur Wu&#x0364;&#x017F;ten und Wildnuß begeben<lb/>
&#x017F;olle&#x017F;t. Wie wir&#x017F;tu das am ju&#x0364;ng&#x017F;ten Tag verantworten/ wann eine &#x017F;o an-<lb/>
&#x017F;ehnliche Summa Gelds verfre&#x017F;&#x017F;en/ und den Armen entzogen wird? wie<lb/>
wird deinem Vatter/ wie wird den Armen geholffen/ die du &#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;er Barm-<lb/>
hertzigkeit beraube&#x017F;t? Jch fu&#x0364;r meine Per&#x017F;ohn/ antwortet der Bruder/<lb/>
hab mich biß dato nichts weltliches ku&#x0364;mmern la&#x017F;&#x017F;en; &#x017F;ondern mich allein/<lb/>
wie ich mein Gewi&#x017F;&#x017F;en rein halten/ und GOtt &#x017F;ambt &#x017F;einen Heiligen an-<lb/>
da&#x0364;chtiglich verehren mo&#x0364;ge/ jeder Zeit nach mo&#x0364;gligkeit befli&#x017F;&#x017F;en. Ja eben<lb/>
die&#x017F;es/ &#x017F;agt der li&#x017F;tige Lu&#x0364;gner/ i&#x017F;t das Gewi&#x017F;&#x017F;en/ und GOttes Heiligen<lb/>
bedencken; wann man den Eltern in einer &#x017F;o gott&#x017F;eligen Meynung/ und<lb/>
den Armen bey &#x017F;o guter Gelegenheit zu Hu&#x0364;lff und Tro&#x017F;t kombt: Wem &#x017F;ol-<lb/>
ches nicht angelegen i&#x017F;t/ der ver&#x017F;aumbt &#x017F;ein eigen Gewi&#x017F;&#x017F;en/ und verachtet<lb/>
GOtt &#x017F;ambt &#x017F;einen Heiligen. Zu &#x017F;olchen Worten fragt der Ein&#x017F;idler: i&#x017F;t<lb/>
dann &#x017F;on&#x017F;t niemand auß meinen Freunden vorhanden/ der &#x017F;olche Verla&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chafft ohne mich unter die Armen auß&#x017F;pendiren ko&#x0364;nte? Kan&#x017F;tu nicht/ &#x017F;agt<lb/>
der Betrieger/ &#x017F;o wird der na&#x0364;ch&#x017F;te Geitzhals &#x017F;eines Gefallens darmit handlen:<lb/>
werden al&#x017F;o die Armentraurig/ elend und unbegabt darvon mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en; an wel-<lb/>
chem allem du allein wir&#x017F;t &#x017F;chuldig &#x017F;eyn. Der unver&#x017F;ta&#x0364;ndige junge Bru-<lb/>
der la&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich durch &#x017F;olche Wort bewegen/ verla&#x017F;t &#x017F;eine Wohnung und Ein-<lb/>
no&#x0364;de/ &#x017F;ambt GOtt und de&#x017F;&#x017F;en Heiligen: rei&#x017F;et fort/ kombt in das Vatter-<lb/>
Land: lernet unterwegens nicht wenig La&#x017F;ter und Buben-Stu&#x0364;cklein von<lb/>
&#x017F;einem Gefa&#x0364;rten/ der ihn gleich&#x017F;amb unwi&#x017F;&#x017F;end und unvermerckt/ trefflich<lb/>
in aller Weltligkeit und Bo&#x0364;ßheit abgerichtet. Nachdem er aber nach Hauß<lb/>
kommen; &#x017F;iehe/ da begegnet ihm &#x017F;ein <hi rendition="#fr">V</hi>atter/ dender bo&#x0364;&#x017F;e Feind fu&#x0364;r todt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ange&#x017F;agt</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[756/0784] Die Vier und Fuͤntzigſte Geiſtliche Lection Mutter aber und deine Schweſter ſeynd bereits vor drey Jahren/ dein Vat- ter iſt aber erſtlich dieß Jahr geſtorben/ und hat dir allein alles Haab und Gut verlaſſen/ damit du ſolchen Schatz als ein frommer Gottſeliger Sohn/ zu euer beyder Seelen-Heyl/ unter die Armen außtheileſt: zu welchem Ende er dann unterſchiedliche Botten/ dich zu ſuchen außgeſandt/ ſo dich aber nirgend haben finden koͤnnen. Darumb ich mich dann billig hoch zu er- freuen hab/ daß mir das Gluͤck alſo guͤnſtig geweſen/ und dich allhier ange- troffen habe. Der gute Einſidler antwortet Gottſeliglich (wann er nur auch beſtaͤndiglich bey ſolcher Antwort verblichen waͤre) Jch will/ ſpricht er/ umbs Gelds Willen dieß mein liebes Oertlein nicht verlaſſen. Darauff ſagte der Feind hinwieder: was rath ich dir dann boͤſes? Jch ſag nicht/ daß du die Reichtumb/ Geld und Gut beſitzen; ſondern unter die Armen außtheilen/ und dich alsbald wiederumb zur Wuͤſten und Wildnuß begeben ſolleſt. Wie wirſtu das am juͤngſten Tag verantworten/ wann eine ſo an- ſehnliche Summa Gelds verfreſſen/ und den Armen entzogen wird? wie wird deinem Vatter/ wie wird den Armen geholffen/ die du ſo groſſer Barm- hertzigkeit beraubeſt? Jch fuͤr meine Perſohn/ antwortet der Bruder/ hab mich biß dato nichts weltliches kuͤmmern laſſen; ſondern mich allein/ wie ich mein Gewiſſen rein halten/ und GOtt ſambt ſeinen Heiligen an- daͤchtiglich verehren moͤge/ jeder Zeit nach moͤgligkeit befliſſen. Ja eben dieſes/ ſagt der liſtige Luͤgner/ iſt das Gewiſſen/ und GOttes Heiligen bedencken; wann man den Eltern in einer ſo gottſeligen Meynung/ und den Armen bey ſo guter Gelegenheit zu Huͤlff und Troſt kombt: Wem ſol- ches nicht angelegen iſt/ der verſaumbt ſein eigen Gewiſſen/ und verachtet GOtt ſambt ſeinen Heiligen. Zu ſolchen Worten fragt der Einſidler: iſt dann ſonſt niemand auß meinen Freunden vorhanden/ der ſolche Verlaſſen- ſchafft ohne mich unter die Armen außſpendiren koͤnte? Kanſtu nicht/ ſagt der Betrieger/ ſo wird der naͤchſte Geitzhals ſeines Gefallens darmit handlen: werden alſo die Armentraurig/ elend und unbegabt darvon muͤſſen; an wel- chem allem du allein wirſt ſchuldig ſeyn. Der unverſtaͤndige junge Bru- der laſſet ſich durch ſolche Wort bewegen/ verlaſt ſeine Wohnung und Ein- noͤde/ ſambt GOtt und deſſen Heiligen: reiſet fort/ kombt in das Vatter- Land: lernet unterwegens nicht wenig Laſter und Buben-Stuͤcklein von ſeinem Gefaͤrten/ der ihn gleichſamb unwiſſend und unvermerckt/ trefflich in aller Weltligkeit und Boͤßheit abgerichtet. Nachdem er aber nach Hauß kommen; ſiehe/ da begegnet ihm ſein Vatter/ dender boͤſe Feind fuͤr todt angeſagt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/784
Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 756. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/784>, abgerufen am 03.05.2024.