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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Fünffte Geistliche Lection
ser Uberschrifft: Jn mir ist alles. Also/ wann die Tugenden mit ei-
genen Schilden/ darauff ihr er aller grosses Lob gemahlet/ umb gegen die La-
ster zu streiten/ zu Feld ziehen solten; würde ohne Zweiffel die Liebe vor al-
len den Vorzug haben/ und als eine Königin in ihrem Schild diesen Lob-
spruch entworffen tragen: Jn mir ist alles. Sintemahlen all das
jenige/ was in andern Tugenden stuckweiß zu schen ist; das begreifft die
Liebe in sich; zumahlen diese bißweilen seyn kan ohne andere Tugenden; sie
aber ohne die Lieb nit bestehen können: derhalben sie sich billig rühmen kan
dieses Königlichen Uberschrifft: Jn mir ist alles. Wiederumb ist diese
Tugend/ nach Meinung deß Marsilii Ficini, der jenige Pfenning/ mit
welchem GOtt erworben und erkaufft wird. GOtt wird dir zu kauffen feyl
gebotten; mit was für Müntz aber? mit solchem Geld/ mit welchem er dich
zum ersten gekaufft hat/ nemblich mit der Liebe. Was nun unter den Pla-
neten die Sonne/ unter den Elementen das Feur/ unter dem Metall das
Gold/ unter den kostbarsten Steinen der Carfunckel/ das ist unter den Tu-
genden die Liebe.

4. Damit wir nun von dem Lob dieser Liebe/ zu dereselben Würckung
fortschreiten mögen; wird uns zum ersten dienen die Fabel oder Gedicht von
dem Prome[t]hec; von dem die Poeten lassen herkommen/ daß er seinen
menschlichen Leib von Laimb zusammen gemacht habe/ und da er
sich nicht bewegen/ und die gewöhnliche Werck eines lebendigen Menschens
nicht üben können[?] ist er in den Himmel hinauff gestiegen/ und hat heimli-
cher Weiß Feur gestohlen/ Krafft dessen er seine auß Erden oder Laimb
zusammen getragene Bildnuß vermuntert und zum Leben gebracht hat. Ob-
schon dieses nur ein lehres Gedicht der Poeten ist/ so können wir jedoch von
dieser Fabel zu unsern Sitten schreiten/ und sagen/ daß durch diesen erdnen
Leib recht und wohl könne ver standen werden der Mensch; und durch das
Feur die Liebe. Nun sehen wir/ leyder GOttes! daß der Mensch gleich
einer unempfindlichen/ auß Leimb gemachten Bildnuß/ keine lebhaffte
Wirckung zu den himmlischen Dingen habe; indem alle seine Neigungen
deß Gemüts immerwährend denen irrdischen Geschöffen als einem Leimb
ankleben: So bald ihm aber die Liebe wird eingegossen/ da fangt er an zu
leben/ und übet sich gar nützlich in den Wercken deß ewigen Lebens.
Verrichtet nicht die Liebe das Ambt einer unempfindlichen/ jedoch stär-
ckenden Seelen?
dieweil sie den Menschen macht an sich ziehen die Nah-
rung; als nemblich/ das Wort Gottes mit Andacht hören/ und selbiges in der

That

Die Fuͤnffte Geiſtliche Lection
ſer Uberſchrifft: Jn mir iſt alles. Alſo/ wann die Tugenden mit ei-
genen Schilden/ darauff ihr er aller groſſes Lob gemahlet/ umb gegen die La-
ſter zu ſtreiten/ zu Feld ziehen ſolten; wuͤrde ohne Zweiffel die Liebe vor al-
len den Vorzug haben/ und als eine Koͤnigin in ihrem Schild dieſen Lob-
ſpruch entworffen tragen: Jn mir iſt alles. Sintemahlen all das
jenige/ was in andern Tugenden ſtuckweiß zu ſchen iſt; das begreifft die
Liebe in ſich; zumahlen dieſe bißweilen ſeyn kan ohne andere Tugenden; ſie
aber ohne die Lieb nit beſtehen koͤnnen: derhalben ſie ſich billig ruͤhmen kan
dieſes Koͤniglichen Uberſchrifft: Jn mir iſt alles. Wiederumb iſt dieſe
Tugend/ nach Meinung deß Marſilii Ficini, der jenige Pfenning/ mit
welchem GOtt erworben und erkaufft wird. GOtt wird dir zu kauffen feyl
gebotten; mit was fuͤr Muͤntz aber? mit ſolchem Geld/ mit welchem er dich
zum erſten gekaufft hat/ nemblich mit der Liebe. Was nun unter den Pla-
neten die Sonne/ unter den Elementen das Feur/ unter dem Metall das
Gold/ unter den koſtbarſten Steinen der Carfunckel/ das iſt unter den Tu-
genden die Liebe.

4. Damit wir nun von dem Lob dieſer Liebe/ zu dereſelben Wuͤrckung
fortſchreiten moͤgen; wird uns zum erſten dienen die Fabel oder Gedicht von
dem Prome[t]hec; von dem die Poeten laſſen herkommen/ daß er ſeinen
menſchlichen Leib von Laimb zuſammen gemacht habe/ und da er
ſich nicht bewegen/ und die gewoͤhnliche Werck eines lebendigen Menſchens
nicht uͤben koͤnnen[?] iſt er in den Himmel hinauff geſtiegen/ und hat heimli-
cher Weiß Feur geſtohlen/ Krafft deſſen er ſeine auß Erden oder Laimb
zuſammen getragene Bildnuß vermuntert und zum Leben gebracht hat. Ob-
ſchon dieſes nur ein lehres Gedicht der Poeten iſt/ ſo koͤnnen wir jedoch von
dieſer Fabel zu unſern Sitten ſchreiten/ und ſagen/ daß durch dieſen erdnen
Leib recht und wohl koͤnne ver ſtanden werden der Menſch; und durch das
Feur die Liebe. Nun ſehen wir/ leyder GOttes! daß der Menſch gleich
einer unempfindlichen/ auß Leimb gemachten Bildnuß/ keine lebhaffte
Wirckung zu den himmliſchen Dingen habe; indem alle ſeine Neigungen
deß Gemuͤts immerwaͤhrend denen irꝛdiſchen Geſchoͤffen als einem Leimb
ankleben: So bald ihm aber die Liebe wird eingegoſſen/ da fangt er an zu
leben/ und uͤbet ſich gar nuͤtzlich in den Wercken deß ewigen Lebens.
Verrichtet nicht die Liebe das Ambt einer unempfindlichen/ jedoch ſtaͤr-
ckenden Seelen?
dieweil ſie den Menſchen macht an ſich ziehen die Nah-
rung; als nemblich/ das Wort Gottes mit Andacht hoͤren/ und ſelbiges in der

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[44/0072] Die Fuͤnffte Geiſtliche Lection ſer Uberſchrifft: Jn mir iſt alles. Alſo/ wann die Tugenden mit ei- genen Schilden/ darauff ihr er aller groſſes Lob gemahlet/ umb gegen die La- ſter zu ſtreiten/ zu Feld ziehen ſolten; wuͤrde ohne Zweiffel die Liebe vor al- len den Vorzug haben/ und als eine Koͤnigin in ihrem Schild dieſen Lob- ſpruch entworffen tragen: Jn mir iſt alles. Sintemahlen all das jenige/ was in andern Tugenden ſtuckweiß zu ſchen iſt; das begreifft die Liebe in ſich; zumahlen dieſe bißweilen ſeyn kan ohne andere Tugenden; ſie aber ohne die Lieb nit beſtehen koͤnnen: derhalben ſie ſich billig ruͤhmen kan dieſes Koͤniglichen Uberſchrifft: Jn mir iſt alles. Wiederumb iſt dieſe Tugend/ nach Meinung deß Marſilii Ficini, der jenige Pfenning/ mit welchem GOtt erworben und erkaufft wird. GOtt wird dir zu kauffen feyl gebotten; mit was fuͤr Muͤntz aber? mit ſolchem Geld/ mit welchem er dich zum erſten gekaufft hat/ nemblich mit der Liebe. Was nun unter den Pla- neten die Sonne/ unter den Elementen das Feur/ unter dem Metall das Gold/ unter den koſtbarſten Steinen der Carfunckel/ das iſt unter den Tu- genden die Liebe. 4. Damit wir nun von dem Lob dieſer Liebe/ zu dereſelben Wuͤrckung fortſchreiten moͤgen; wird uns zum erſten dienen die Fabel oder Gedicht von dem Promethec; von dem die Poeten laſſen herkommen/ daß er ſeinen menſchlichen Leib von Laimb zuſammen gemacht habe/ und da er ſich nicht bewegen/ und die gewoͤhnliche Werck eines lebendigen Menſchens nicht uͤben koͤnnen? iſt er in den Himmel hinauff geſtiegen/ und hat heimli- cher Weiß Feur geſtohlen/ Krafft deſſen er ſeine auß Erden oder Laimb zuſammen getragene Bildnuß vermuntert und zum Leben gebracht hat. Ob- ſchon dieſes nur ein lehres Gedicht der Poeten iſt/ ſo koͤnnen wir jedoch von dieſer Fabel zu unſern Sitten ſchreiten/ und ſagen/ daß durch dieſen erdnen Leib recht und wohl koͤnne ver ſtanden werden der Menſch; und durch das Feur die Liebe. Nun ſehen wir/ leyder GOttes! daß der Menſch gleich einer unempfindlichen/ auß Leimb gemachten Bildnuß/ keine lebhaffte Wirckung zu den himmliſchen Dingen habe; indem alle ſeine Neigungen deß Gemuͤts immerwaͤhrend denen irꝛdiſchen Geſchoͤffen als einem Leimb ankleben: So bald ihm aber die Liebe wird eingegoſſen/ da fangt er an zu leben/ und uͤbet ſich gar nuͤtzlich in den Wercken deß ewigen Lebens. Verrichtet nicht die Liebe das Ambt einer unempfindlichen/ jedoch ſtaͤr- ckenden Seelen? dieweil ſie den Menſchen macht an ſich ziehen die Nah- rung; als nemblich/ das Wort Gottes mit Andacht hoͤren/ und ſelbiges in der That

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/72>, abgerufen am 29.03.2024.