Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Sieben und Viertzigste Geistliche Lection
Dieser hat hernachmalen mit solchem Ernst und hertzlichem Leyd- Wesen
über sein übel geführtes Leben/ seinen Leib casteyet/ daß er von andern gebet-
ten worden/ er mögte doch von so ungemeiner Strenge und unauffhörlichem
Weinen etwas inhalten/ damit er seine Gesundheit nicht allein schwäche/
sondern auch das Leben gäntzlich verkürtzete. Er aber hat immer geantwor-
tet: Wann ich den Verweiß meiner Mutter nicht hab außstehen können/
wie werd ich an jenem Tag die Verschähmung meines himmlischen Rich-
ters/ und der H. H. Engeln außstehen können.

2. Also wird der sündige Mensch in solcher Beschähmung stehen vor sei-
nem Richter/ welche mit keiner Zungen kan außgesprochen werden; zuma-
len daselbst nicht allein die grobe/ sondern auch die allergeringste Sünd wird
gerichtet werden. Wie wird uns dieses nicht schamroth machen/ daß alle
unsere Ubelthaten an das Licht kommen/ die wir offtmal in der Finsternuß ge-
than und vermeinet haben/ wir würden von niemand gesehen? Dahero sagt
Serm de
Primord.
med.
der H. Bernardus: Förchte dich/ O Mensch/ daß du an dem
erschröcklichen Gericht dem jenigen werdest vorgestellet
werden/ in dessen Händ fallen/ ein grausame Sach ist: und
daß du von dem müssest erforschet werden/ welchem nichts

Gen. 45.kan verborgen werden. Da Joseph zu seinen Brüdern sprach: Jch
bin Joseph euer Bruder/ den ihr in
AEgypten verkaufft hat;
Da konten ihm selbige vor Schröcken nicht antworten: was werden dann
die Sünder sagen/ wann sie vorm Gericht von Christo hören werden: Jch
bin euer Bruder den ihr gecreutziget/ und umb so geringen Werth so viel-
mahl verkaufft hat? Da werden alle dermassen zerschlagen werden/ daß sie
lieber in der Höllen seyn/ als vor dem Angesicht deß himmlischen Richters
stehen wollen. Soll man das künfftige Gericht dann nicht förchten/ und
das sündige Leben bessern?

3. Die weitere Ursach/ warumb dieses Gericht sehr zu förchten sey/
ist diese: daß nemblich der Mensch nicht wisse/ ob er Lieb- oder Haß-würdig/
zum Gericht beruffen werde. Ein so heylsame Forcht kan dir/ mein Christ-
liche Seel/ die folgende erschröckliche Geschicht leichtlich eintreiben. Unter
den Doctoren der Parisischen Universitet ware zu Zeiten deß Cöllnischen
Brunonis einer/ so durch sein tugendsames Leben und grosse Gelehrheit sich
einen grossen Nahmen bey jederman erworben/ und dem gemeldten Brunoni
sonderbahr lieb ware. Dieser ist in sothanem Ruff der Heiligkeit gestorben:
und da man selbigem/ nach Christlichem Brauch die Leich-Begängnuß in
der Kirchen gehalten/ und diese Wort gesungen worden: Gib mir Ant-

wort/

Die Sieben und Viertzigſte Geiſtliche Lection
Dieſer hat hernachmalen mit ſolchem Ernſt und hertzlichem Leyd- Weſen
uͤber ſein uͤbel gefuͤhrtes Leben/ ſeinen Leib caſteyet/ daß er von andern gebet-
ten worden/ er moͤgte doch von ſo ungemeiner Strenge und unauffhoͤrlichem
Weinen etwas inhalten/ damit er ſeine Geſundheit nicht allein ſchwaͤche/
ſondern auch das Leben gaͤntzlich verkuͤrtzete. Er aber hat immer geantwor-
tet: Wann ich den Verweiß meiner Mutter nicht hab außſtehen koͤnnen/
wie werd ich an jenem Tag die Verſchaͤhmung meines himmliſchen Rich-
ters/ und der H. H. Engeln außſtehen koͤnnen.

2. Alſo wird der ſuͤndige Menſch in ſolcher Beſchaͤhmung ſtehen vor ſei-
nem Richter/ welche mit keiner Zungen kan außgeſprochen werden; zuma-
len daſelbſt nicht allein die grobe/ ſondern auch die allergeringſte Suͤnd wird
gerichtet werden. Wie wird uns dieſes nicht ſchamroth machen/ daß alle
unſere Ubelthaten an das Licht kommen/ die wir offtmal in der Finſternuß ge-
than und vermeinet haben/ wir wuͤrden von niemand geſehen? Dahero ſagt
Serm de
Primord.
med.
der H. Bernardus: Foͤrchte dich/ O Menſch/ daß du an dem
erſchroͤcklichen Gericht dem jenigen werdeſt vorgeſtellet
werden/ in deſſen Haͤnd fallen/ ein grauſame Sach iſt: und
daß du von dem muͤſſeſt erforſchet werden/ welchem nichts

Gen. 45.kan verborgen werden. Da Joſeph zu ſeinen Bruͤdern ſprach: Jch
bin Joſeph euer Bruder/ den ihr in
Ægypten verkaufft hat;
Da konten ihm ſelbige vor Schroͤcken nicht antworten: was werden dann
die Suͤnder ſagen/ wann ſie vorm Gericht von Chriſto hoͤren werden: Jch
bin euer Bruder den ihr gecreutziget/ und umb ſo geringen Werth ſo viel-
mahl verkaufft hat? Da werden alle dermaſſen zerſchlagen werden/ daß ſie
lieber in der Hoͤllen ſeyn/ als vor dem Angeſicht deß himmliſchen Richters
ſtehen wollen. Soll man das kuͤnfftige Gericht dann nicht foͤrchten/ und
das ſuͤndige Leben beſſern?

3. Die weitere Urſach/ warumb dieſes Gericht ſehr zu foͤrchten ſey/
iſt dieſe: daß nemblich der Menſch nicht wiſſe/ ob er Lieb- oder Haß-wuͤrdig/
zum Gericht beruffen werde. Ein ſo heylſame Forcht kan dir/ mein Chriſt-
liche Seel/ die folgende erſchroͤckliche Geſchicht leichtlich eintreiben. Unter
den Doctoren der Pariſiſchen Univerſitet ware zu Zeiten deß Coͤllniſchen
Brunonis einer/ ſo durch ſein tugendſames Leben und groſſe Gelehrheit ſich
einen groſſen Nahmen bey jederman erworben/ und dem gemeldten Brunoni
ſonderbahr lieb ware. Dieſer iſt in ſothanem Ruff der Heiligkeit geſtorben:
und da man ſelbigem/ nach Chriſtlichem Brauch die Leich-Begaͤngnuß in
der Kirchen gehalten/ und dieſe Wort geſungen worden: Gib mir Ant-

wort/
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0620" n="592"/><fw place="top" type="header">Die Sieben und Viertzig&#x017F;te Gei&#x017F;tliche <hi rendition="#aq">Lection</hi></fw><lb/>
Die&#x017F;er hat hernachmalen mit &#x017F;olchem Ern&#x017F;t und hertzlichem Leyd- We&#x017F;en<lb/>
u&#x0364;ber &#x017F;ein u&#x0364;bel gefu&#x0364;hrtes Leben/ &#x017F;einen Leib ca&#x017F;teyet/ daß er von andern gebet-<lb/>
ten worden/ er mo&#x0364;gte doch von &#x017F;o ungemeiner Strenge und unauffho&#x0364;rlichem<lb/>
Weinen etwas inhalten/ damit er &#x017F;eine Ge&#x017F;undheit nicht allein &#x017F;chwa&#x0364;che/<lb/>
&#x017F;ondern auch das Leben ga&#x0364;ntzlich verku&#x0364;rtzete. Er aber hat immer geantwor-<lb/>
tet: Wann ich den Verweiß meiner Mutter nicht hab auß&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen/<lb/>
wie werd ich an jenem Tag die Ver&#x017F;cha&#x0364;hmung meines himmli&#x017F;chen Rich-<lb/>
ters/ und der H. H. Engeln auß&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>2. Al&#x017F;o wird der &#x017F;u&#x0364;ndige Men&#x017F;ch in &#x017F;olcher Be&#x017F;cha&#x0364;hmung &#x017F;tehen vor &#x017F;ei-<lb/>
nem Richter/ welche mit keiner Zungen kan außge&#x017F;prochen werden; zuma-<lb/>
len da&#x017F;elb&#x017F;t nicht allein die grobe/ &#x017F;ondern auch die allergering&#x017F;te Su&#x0364;nd wird<lb/>
gerichtet werden. Wie wird uns die&#x017F;es nicht &#x017F;chamroth machen/ daß alle<lb/>
un&#x017F;ere Ubelthaten an das Licht kommen/ die wir offtmal in der Fin&#x017F;ternuß ge-<lb/>
than und vermeinet haben/ wir wu&#x0364;rden von niemand ge&#x017F;ehen? Dahero &#x017F;agt<lb/><note place="left"><hi rendition="#aq">Serm de<lb/>
Primord.<lb/>
med.</hi></note>der H. Bernardus: <hi rendition="#fr">Fo&#x0364;rchte dich/ O Men&#x017F;ch/ daß du an dem<lb/>
er&#x017F;chro&#x0364;cklichen Gericht dem jenigen werde&#x017F;t vorge&#x017F;tellet<lb/>
werden/ in de&#x017F;&#x017F;en Ha&#x0364;nd fallen/ ein grau&#x017F;ame Sach i&#x017F;t: und<lb/>
daß du von dem mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t erfor&#x017F;chet werden/ welchem nichts</hi><lb/><note place="left"><hi rendition="#aq">Gen.</hi> 45.</note><hi rendition="#fr">kan verborgen werden.</hi> Da Jo&#x017F;eph zu &#x017F;einen Bru&#x0364;dern &#x017F;prach: <hi rendition="#fr">Jch<lb/>
bin Jo&#x017F;eph euer Bruder/ den ihr in</hi> <hi rendition="#aq">Æ</hi><hi rendition="#fr">gypten verkaufft hat;</hi><lb/>
Da konten ihm &#x017F;elbige vor Schro&#x0364;cken nicht antworten: was werden dann<lb/>
die Su&#x0364;nder &#x017F;agen/ wann &#x017F;ie vorm Gericht von Chri&#x017F;to ho&#x0364;ren werden: Jch<lb/>
bin euer Bruder den ihr gecreutziget/ und umb &#x017F;o geringen Werth &#x017F;o viel-<lb/>
mahl verkaufft hat? Da werden alle derma&#x017F;&#x017F;en zer&#x017F;chlagen werden/ daß &#x017F;ie<lb/>
lieber in der Ho&#x0364;llen &#x017F;eyn/ als vor dem Ange&#x017F;icht deß himmli&#x017F;chen Richters<lb/>
&#x017F;tehen wollen. Soll man das ku&#x0364;nfftige Gericht dann nicht fo&#x0364;rchten/ und<lb/>
das &#x017F;u&#x0364;ndige Leben be&#x017F;&#x017F;ern?</p><lb/>
        <p>3. Die weitere Ur&#x017F;ach/ warumb die&#x017F;es Gericht &#x017F;ehr zu fo&#x0364;rchten &#x017F;ey/<lb/>
i&#x017F;t die&#x017F;e: daß nemblich der Men&#x017F;ch nicht wi&#x017F;&#x017F;e/ ob er Lieb- oder Haß-wu&#x0364;rdig/<lb/>
zum Gericht beruffen werde. Ein &#x017F;o heyl&#x017F;ame Forcht kan dir/ mein Chri&#x017F;t-<lb/>
liche Seel/ die folgende er&#x017F;chro&#x0364;ckliche Ge&#x017F;chicht leichtlich eintreiben. Unter<lb/>
den Doctoren der Pari&#x017F;i&#x017F;chen Univer&#x017F;itet ware zu Zeiten deß Co&#x0364;llni&#x017F;chen<lb/>
Brunonis einer/ &#x017F;o durch &#x017F;ein tugend&#x017F;ames Leben und gro&#x017F;&#x017F;e Gelehrheit &#x017F;ich<lb/>
einen gro&#x017F;&#x017F;en Nahmen bey jederman erworben/ und dem gemeldten Brunoni<lb/>
&#x017F;onderbahr lieb ware. Die&#x017F;er i&#x017F;t in &#x017F;othanem Ruff der Heiligkeit ge&#x017F;torben:<lb/>
und da man &#x017F;elbigem/ nach Chri&#x017F;tlichem Brauch die Leich-Bega&#x0364;ngnuß in<lb/>
der Kirchen gehalten/ und die&#x017F;e Wort ge&#x017F;ungen worden: <hi rendition="#fr">Gib mir Ant-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">wort/</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[592/0620] Die Sieben und Viertzigſte Geiſtliche Lection Dieſer hat hernachmalen mit ſolchem Ernſt und hertzlichem Leyd- Weſen uͤber ſein uͤbel gefuͤhrtes Leben/ ſeinen Leib caſteyet/ daß er von andern gebet- ten worden/ er moͤgte doch von ſo ungemeiner Strenge und unauffhoͤrlichem Weinen etwas inhalten/ damit er ſeine Geſundheit nicht allein ſchwaͤche/ ſondern auch das Leben gaͤntzlich verkuͤrtzete. Er aber hat immer geantwor- tet: Wann ich den Verweiß meiner Mutter nicht hab außſtehen koͤnnen/ wie werd ich an jenem Tag die Verſchaͤhmung meines himmliſchen Rich- ters/ und der H. H. Engeln außſtehen koͤnnen. 2. Alſo wird der ſuͤndige Menſch in ſolcher Beſchaͤhmung ſtehen vor ſei- nem Richter/ welche mit keiner Zungen kan außgeſprochen werden; zuma- len daſelbſt nicht allein die grobe/ ſondern auch die allergeringſte Suͤnd wird gerichtet werden. Wie wird uns dieſes nicht ſchamroth machen/ daß alle unſere Ubelthaten an das Licht kommen/ die wir offtmal in der Finſternuß ge- than und vermeinet haben/ wir wuͤrden von niemand geſehen? Dahero ſagt der H. Bernardus: Foͤrchte dich/ O Menſch/ daß du an dem erſchroͤcklichen Gericht dem jenigen werdeſt vorgeſtellet werden/ in deſſen Haͤnd fallen/ ein grauſame Sach iſt: und daß du von dem muͤſſeſt erforſchet werden/ welchem nichts kan verborgen werden. Da Joſeph zu ſeinen Bruͤdern ſprach: Jch bin Joſeph euer Bruder/ den ihr in Ægypten verkaufft hat; Da konten ihm ſelbige vor Schroͤcken nicht antworten: was werden dann die Suͤnder ſagen/ wann ſie vorm Gericht von Chriſto hoͤren werden: Jch bin euer Bruder den ihr gecreutziget/ und umb ſo geringen Werth ſo viel- mahl verkaufft hat? Da werden alle dermaſſen zerſchlagen werden/ daß ſie lieber in der Hoͤllen ſeyn/ als vor dem Angeſicht deß himmliſchen Richters ſtehen wollen. Soll man das kuͤnfftige Gericht dann nicht foͤrchten/ und das ſuͤndige Leben beſſern? Serm de Primord. med. Gen. 45. 3. Die weitere Urſach/ warumb dieſes Gericht ſehr zu foͤrchten ſey/ iſt dieſe: daß nemblich der Menſch nicht wiſſe/ ob er Lieb- oder Haß-wuͤrdig/ zum Gericht beruffen werde. Ein ſo heylſame Forcht kan dir/ mein Chriſt- liche Seel/ die folgende erſchroͤckliche Geſchicht leichtlich eintreiben. Unter den Doctoren der Pariſiſchen Univerſitet ware zu Zeiten deß Coͤllniſchen Brunonis einer/ ſo durch ſein tugendſames Leben und groſſe Gelehrheit ſich einen groſſen Nahmen bey jederman erworben/ und dem gemeldten Brunoni ſonderbahr lieb ware. Dieſer iſt in ſothanem Ruff der Heiligkeit geſtorben: und da man ſelbigem/ nach Chriſtlichem Brauch die Leich-Begaͤngnuß in der Kirchen gehalten/ und dieſe Wort geſungen worden: Gib mir Ant- wort/

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/620
Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 592. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/620>, abgerufen am 22.11.2024.