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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die dritte Geistliche Lection
du wirst nicht sterben. Durchblättere weiters das gantze Leben Chri-
sti; so wirst du nichts anders finden/ als eine immerwährende Barmhertzig-
keit gegen alle Menschen. Er reinigte die Aussetzige/ speisete die Hungrige/
er kame zu Hülff den Nothleidenden/ er heylte die Krancken/ die Blinde mach-
te er sehend/ die Lahmen gerad/ er trieb die Teuffel auß den Besessenen/ er we-
ckete die Todten zum Leben/ und sprache loß die bußfertige Sünder/ und das
alles umbsonst. Wann du nun weiters sein gantze Lehr betrachtest/ was wirst
du anders darauß abnehmen können/ als ein unermäßliche Barmhertzigkeit?
was handlet anders die Vergleichnüß von dem irrenden Schäfflein/ so auff
den Achseln deß Hirtens wiederumb zur Heerden gebracht worden? was zeigt
dir anders an der verlohrne und wieder gefundene Groschen? was kanst du
anders abnehmen von den Worten deines Herrn/ da er spricht/ die Gesunden
brauchen keines Artzes; wie unterweiset dich die Parabol von dem Knecht/ de-
me alle seine Schuld nachgelassen worden: das Gebett des offentlichen Sün-
ders und Schrifftsgelehrten im Tempel: wie auch von dem verwundeten
Wandersman? was wird uns anders bedeutet durch den verlohrnen Sohn/
als eben die unbegreiff liche Miltigkeit gegen die büssende Sünder? dann da
dieser letztere seine gantze Erbschafft verschwendet hatte/ und wiederumb zu sei-
nem Vatter gekehret/ sagte der Vatter: Bringet eylends das beste
Kleid herfur:
Er fragte nicht/ woher kombst du? wo bist du gewesen? was
hast du mitgebracht? warumb hast du deine so grosse Herrligkeit in solche Ab-
schewligkeit verändert? sondern: bringt das beste Kleid herfür/
und thuts ihm an.
Troll dich nun hinweg du schädliches Mißtrauen/
und unordentliches wancken des Hertzens! ist dan nicht ein so grosse Gütigkeit des Vat-
ters kräffug gnug/ einen jeden in Unflat der Sünden liegenden Menschen zur Hof-
nung auffzumuntern? thut diese Gleichnuß nicht allen die Barmhertzigkeit versprechen?

5. Warumb ist CHristus unser Heyland und Seeligmacher anders auff
den Altar des Creutzes gestiegen/ als daß er sich selbsten als ein kräfftiges Opf-
fer umb alle Sünden zu vertilgen schlachtete? der auch am Creutz hangend für
seine Creutziger/ für seine Schmäher und Verspötter seinen allerheiligsten
Vatter umb Verzeihung bittet. Wer ist dann/ der vermeynet/ GOtt werde
auff seine rechtmässige Beicht und Bekändnüß der Sünden/ und Anruf-
fung der Barmhertzigkeit/ ihme die Thür der Gnaden versperren? zumah-
len der holdseelige Jesus selbst der H. Mechtildis offenbahret; daß nemblich
kein eintziger so grosser Sünder seye/ deme er alsbald alle seine Sünde nicht
Blos. in
monil c.
1. n.
9.
völlig nachlassen werde/ wann er selbige hertzlich berewen wird: und werde
sein Hertz mit so grosser Gütig- und Süssigkeit über ihn legen/ als wann er
niemahlen gesündigt hätte. O Wer kan allsolche grosse Sanfftmütigkeit der
Gebühr nach außsprechen/ derhalben schreibt recht der gottseelige Thaulerus.

Obschon

Die dritte Geiſtliche Lection
du wirſt nicht ſterben. Durchblaͤttere weiters das gantze Leben Chri-
ſti; ſo wirſt du nichts anders finden/ als eine immerwaͤhrende Barmhertzig-
keit gegen alle Menſchen. Er reinigte die Auſſetzige/ ſpeiſete die Hungrige/
er kame zu Huͤlff den Nothleidenden/ er heylte die Krancken/ die Blinde mach-
te er ſehend/ die Lahmen gerad/ er trieb die Teuffel auß den Beſeſſenen/ er we-
ckete die Todten zum Leben/ und ſprache loß die bußfertige Suͤnder/ und das
alles umbſonſt. Wann du nun weiters ſein gantze Lehr betrachteſt/ was wirſt
du anders darauß abnehmen koͤnnen/ als ein unermaͤßliche Barmhertzigkeit?
was handlet anders die Vergleichnuͤß von dem iꝛrenden Schaͤfflein/ ſo auff
den Achſeln deß Hirtens wiederumb zur Heerden gebracht worden? was zeigt
dir anders an der verlohrne und wieder gefundene Groſchen? was kanſt du
anders abnehmen von den Worten deines Herrn/ da er ſpricht/ die Geſunden
brauchen keines Artzes; wie unterweiſet dich die Parabol von dem Knecht/ de-
me alle ſeine Schuld nachgelaſſen worden: das Gebett des offentlichen Suͤn-
ders und Schrifftsgelehrten im Tempel: wie auch von dem verwundeten
Wandersman? was wird uns anders bedeutet durch den verlohrnen Sohn/
als eben die unbegreiff liche Miltigkeit gegen die buͤſſende Suͤnder? dann da
dieſer letztere ſeine gantze Erbſchafft verſchwendet hatte/ und wiederumb zu ſei-
nem Vatter gekehret/ ſagte der Vatter: Bringet eylends das beſte
Kleid herfůr:
Er fragte nicht/ woher kombſt du? wo biſt du geweſen? was
haſt du mitgebracht? warumb haſt du deine ſo groſſe Herrligkeit in ſolche Ab-
ſchewligkeit veraͤndert? ſondern: bringt das beſte Kleid herfür/
und thuts ihm an.
Troll dich nun hinweg du ſchaͤdliches Mißtrauen/
und unordentliches wancken des Hertzens! iſt dan nicht ein ſo groſſe Guͤtigkeit des Vat-
ters kraͤffug gnug/ einen jeden in Unflat der Suͤnden liegenden Menſchen zur Hof-
nung auffzumuntern? thut dieſe Gleichnuß nicht allen die Barmhertzigkeit verſprechen?

5. Warumb iſt CHriſtus unſer Heyland und Seeligmacher anders auff
den Altar des Creutzes geſtiegen/ als daß er ſich ſelbſten als ein kraͤfftiges Opf-
fer umb alle Suͤnden zu vertilgen ſchlachtete? der auch am Creutz hangend fuͤr
ſeine Creutziger/ fuͤr ſeine Schmaͤher und Verſpoͤtter ſeinen allerheiligſten
Vatter umb Verzeihung bittet. Wer iſt dann/ der vermeynet/ GOtt werde
auff ſeine rechtmaͤſſige Beicht und Bekaͤndnuͤß der Suͤnden/ und Anruf-
fung der Barmhertzigkeit/ ihme die Thuͤr der Gnaden verſperren? zumah-
len der holdſeelige Jeſus ſelbſt der H. Mechtildis offenbahret; daß nemblich
kein eintziger ſo groſſer Suͤnder ſeye/ deme er alsbald alle ſeine Suͤnde nicht
Bloſ. in
monil c.
1. n.
9.
voͤllig nachlaſſen werde/ wann er ſelbige hertzlich berewen wird: und werde
ſein Hertz mit ſo groſſer Guͤtig- und Suͤſſigkeit uͤber ihn legen/ als wann er
niemahlen geſuͤndigt haͤtte. O Wer kan allſolche groſſe Sanfftmuͤtigkeit der
Gebuͤhr nach außſprechen/ derhalben ſchreibt recht der gottſeelige Thaulerus.

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[26/0054] Die dritte Geiſtliche Lection du wirſt nicht ſterben. Durchblaͤttere weiters das gantze Leben Chri- ſti; ſo wirſt du nichts anders finden/ als eine immerwaͤhrende Barmhertzig- keit gegen alle Menſchen. Er reinigte die Auſſetzige/ ſpeiſete die Hungrige/ er kame zu Huͤlff den Nothleidenden/ er heylte die Krancken/ die Blinde mach- te er ſehend/ die Lahmen gerad/ er trieb die Teuffel auß den Beſeſſenen/ er we- ckete die Todten zum Leben/ und ſprache loß die bußfertige Suͤnder/ und das alles umbſonſt. Wann du nun weiters ſein gantze Lehr betrachteſt/ was wirſt du anders darauß abnehmen koͤnnen/ als ein unermaͤßliche Barmhertzigkeit? was handlet anders die Vergleichnuͤß von dem iꝛrenden Schaͤfflein/ ſo auff den Achſeln deß Hirtens wiederumb zur Heerden gebracht worden? was zeigt dir anders an der verlohrne und wieder gefundene Groſchen? was kanſt du anders abnehmen von den Worten deines Herrn/ da er ſpricht/ die Geſunden brauchen keines Artzes; wie unterweiſet dich die Parabol von dem Knecht/ de- me alle ſeine Schuld nachgelaſſen worden: das Gebett des offentlichen Suͤn- ders und Schrifftsgelehrten im Tempel: wie auch von dem verwundeten Wandersman? was wird uns anders bedeutet durch den verlohrnen Sohn/ als eben die unbegreiff liche Miltigkeit gegen die buͤſſende Suͤnder? dann da dieſer letztere ſeine gantze Erbſchafft verſchwendet hatte/ und wiederumb zu ſei- nem Vatter gekehret/ ſagte der Vatter: Bringet eylends das beſte Kleid herfůr: Er fragte nicht/ woher kombſt du? wo biſt du geweſen? was haſt du mitgebracht? warumb haſt du deine ſo groſſe Herrligkeit in ſolche Ab- ſchewligkeit veraͤndert? ſondern: bringt das beſte Kleid herfür/ und thuts ihm an. Troll dich nun hinweg du ſchaͤdliches Mißtrauen/ und unordentliches wancken des Hertzens! iſt dan nicht ein ſo groſſe Guͤtigkeit des Vat- ters kraͤffug gnug/ einen jeden in Unflat der Suͤnden liegenden Menſchen zur Hof- nung auffzumuntern? thut dieſe Gleichnuß nicht allen die Barmhertzigkeit verſprechen? 5. Warumb iſt CHriſtus unſer Heyland und Seeligmacher anders auff den Altar des Creutzes geſtiegen/ als daß er ſich ſelbſten als ein kraͤfftiges Opf- fer umb alle Suͤnden zu vertilgen ſchlachtete? der auch am Creutz hangend fuͤr ſeine Creutziger/ fuͤr ſeine Schmaͤher und Verſpoͤtter ſeinen allerheiligſten Vatter umb Verzeihung bittet. Wer iſt dann/ der vermeynet/ GOtt werde auff ſeine rechtmaͤſſige Beicht und Bekaͤndnuͤß der Suͤnden/ und Anruf- fung der Barmhertzigkeit/ ihme die Thuͤr der Gnaden verſperren? zumah- len der holdſeelige Jeſus ſelbſt der H. Mechtildis offenbahret; daß nemblich kein eintziger ſo groſſer Suͤnder ſeye/ deme er alsbald alle ſeine Suͤnde nicht voͤllig nachlaſſen werde/ wann er ſelbige hertzlich berewen wird: und werde ſein Hertz mit ſo groſſer Guͤtig- und Suͤſſigkeit uͤber ihn legen/ als wann er niemahlen geſuͤndigt haͤtte. O Wer kan allſolche groſſe Sanfftmuͤtigkeit der Gebuͤhr nach außſprechen/ derhalben ſchreibt recht der gottſeelige Thaulerus. Obſchon Bloſ. in monil c. 1. n. 9.

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/54>, abgerufen am 09.11.2024.