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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Von der Barmhertzigkeit Gottes.
Obschon ein Mutter bißweilen ihres eintzigen Sohns vergesse; so wird doch
der Herr/ wie er von sich selbsten bezeugt/ unserer zumahlen nicht vergessen:apud
Blos. in
Consol.
Pusill.
fol.
225.

dann so groß ist dessen Barmhertzigkeit; daß auch ein außgetruckneter Hanff
oder Flachs in einem grossen Fewer nicht könne sogesch wind entzü ndet
werden/ als er einem Rew tragenden und auffrichtig bekehrten Sünder alle
seine Missethaten zu vergeben bereit ist: dieweilen keine Zeit/ noch ein an-
deres Mittel die Gütigkeit des Allerhöchsten/ und den bußfertigen Sünder
scheidet. Hernach aber entstehet zwischen Gott und einem büssenden Menschen
eine so vollkommene Verträulichkeit/ als wann er niemahlen gesündiget hätte:
und so gut ist der Herr/ daß er auch das jenige/ so er einmahl verziehen; dem
Menschen niemahlen vorwerffen/ oder durch einige Straff gedencken wolle;
wann er nemblich in Besserung seines Lebens verharret.

6. Daß aber diesem also seye/ versicheret uns genugsamb die eylfertige Be-
kehrung der H. Mariä Magdalenä; welche/ ob zwar sehr grosse Laster be-
gangen hatte/ so bald sie zu dem Herrn kommen/ und ihm seine Füß gewaschen/
aller ihrer Sünden vollkommenen Nachlaß erhalten hat; und folgends in so
grosse Gemeinschafft mit Christo gerathen/ daß sie von selbigem auch mehr
dann die Apostelen selbst geliebet worden: derhalben er auch nach seiner Auffer-
stehung sich zum ersten seiner Magdalenen gezeigt hat: und da sie umb weitere
Buß zu thun in die Wüste sich begeben hatte/ ist sie mit so vielen himmlischen
Tröstungen erfreuet worden/ daß sie täglich siebenmahl biß zum Himmel ver-
zücket/ denen unzahlbarn Choren der Engelen beygewohnet/ und von CHristo
selbst über hundertmahl besuchet/ und mit höfflichen Lustbarkeiten erquickt wor-
den. Damit aber die rechte Warheit dessen/ so gesagt ist/ etwas klärlicher her-
vor scheine/ als wollen wir eine Geschicht hinzu setzen.

7. Es ist einsmahls gewesen ein adliche Tochter/ welche nach einer began-
genen Blut-Schand mit ihrem eigenen Vatter/ das Angesicht ihrer Eltern
auß Schamhafftigkeit nicht ertragen können: dessenthalben hat sie erstlich die
Mutter/ und hernach den Vatter mit Gifft umbs Leben gebracht: und weilen
sie von der Gnade Gottes verzweiffelt/ ist sie in den Sünden halßstarrig ver-
blieben. Endlich hat sich zugetragen/ daß sie nach angehörten diesen Worten
von der Cantzel; daß nemblich die Barmhertzigkeit Gottes grösser seye als die
Sünden der Menschen/ dergestalt bewegt worden/ daß sie alsbald mit grossem
Leydwesen ihre Sünden gebeichtet; nachdeme zur Kirchen gangen/ allwo sich
diese Büsserin zur Erden niedergeworffen/ und auß hefftiger und hertzlicher
Rew und Leyd daselbsten den Geist auffgegeben. Der Beichtsvatter hat hier-
auffdas anwesende volck ersucht/ sie möchten doch für der verstorbnen Personen
Seel Gott bitten [:] immittelst aber ist durch eine Stim von Himmel erschallet: ich bedarff
eweres Gebetts nicht/ sondern ihr habt des meinigen mehr vonnöthen. Worauß nun zu

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D 2

Von der Barmhertzigkeit Gottes.
Obſchon ein Mutter bißweilen ihres eintzigen Sohns vergeſſe; ſo wird doch
der Herr/ wie er von ſich ſelbſten bezeugt/ unſerer zumahlen nicht vergeſſen:apud
Bloſ. in
Conſol.
Puſill.
fol.
225.

dann ſo groß iſt deſſen Barmhertzigkeit; daß auch ein außgetruckneter Hanff
oder Flachs in einem groſſen Fewer nicht koͤnne ſogeſch wind entzuͤ ndet
werden/ als er einem Rew tragenden und auffrichtig bekehrten Suͤnder alle
ſeine Miſſethaten zu vergeben bereit iſt: dieweilen keine Zeit/ noch ein an-
deres Mittel die Guͤtigkeit des Allerhoͤchſten/ und den bußfertigen Suͤnder
ſcheidet. Hernach aber entſtehet zwiſchen Gott und einem buͤſſenden Menſchen
eine ſo vollkommene Vertraͤulichkeit/ als wann er niemahlen geſuͤndiget haͤtte:
und ſo gut iſt der Herr/ daß er auch das jenige/ ſo er einmahl verziehen; dem
Menſchen niemahlen vorwerffen/ oder durch einige Straff gedencken wolle;
wann er nemblich in Beſſerung ſeines Lebens verharret.

6. Daß aber dieſem alſo ſeye/ verſicheret uns genugſamb die eylfertige Be-
kehrung der H. Mariaͤ Magdalenaͤ; welche/ ob zwar ſehr groſſe Laſter be-
gangen hatte/ ſo bald ſie zu dem Herrn kommen/ und ihm ſeine Fuͤß gewaſchen/
aller ihrer Suͤnden vollkommenen Nachlaß erhalten hat; und folgends in ſo
groſſe Gemeinſchafft mit Chriſto gerathen/ daß ſie von ſelbigem auch mehr
dann die Apoſtelen ſelbſt geliebet worden: derhalben er auch nach ſeiner Auffer-
ſtehung ſich zum erſten ſeiner Magdalenen gezeigt hat: und da ſie umb weitere
Buß zu thun in die Wuͤſte ſich begeben hatte/ iſt ſie mit ſo vielen himmliſchen
Troͤſtungen erfreuet worden/ daß ſie taͤglich ſiebenmahl biß zum Himmel ver-
zuͤcket/ denen unzahlbarn Choren der Engelen beygewohnet/ und von CHriſto
ſelbſt uͤber hundertmahl beſuchet/ und mit hoͤfflichen Luſtbarkeiten erquickt wor-
den. Damit aber die rechte Warheit deſſen/ ſo geſagt iſt/ etwas klaͤrlicher her-
vor ſcheine/ als wollen wir eine Geſchicht hinzu ſetzen.

7. Es iſt einsmahls geweſen ein adliche Tochter/ welche nach einer began-
genen Blut-Schand mit ihrem eigenen Vatter/ das Angeſicht ihrer Eltern
auß Schamhafftigkeit nicht ertragen koͤnnen: deſſenthalben hat ſie erſtlich die
Mutter/ und hernach den Vatter mit Gifft umbs Leben gebracht: und weilen
ſie von der Gnade Gottes verzweiffelt/ iſt ſie in den Suͤnden halßſtarrig ver-
blieben. Endlich hat ſich zugetragen/ daß ſie nach angehoͤrten dieſen Worten
von der Cantzel; daß nemblich die Barmhertzigkeit Gottes groͤſſer ſeye als die
Suͤnden der Menſchen/ dergeſtalt bewegt worden/ daß ſie alsbald mit groſſem
Leydweſen ihre Suͤnden gebeichtet; nachdeme zur Kirchen gangen/ allwo ſich
dieſe Buͤſſerin zur Erden niedergeworffen/ und auß hefftiger und hertzlicher
Rew und Leyd daſelbſten den Geiſt auffgegeben. Der Beichtsvatter hat hier-
auffdas anweſende volck erſucht/ ſie moͤchten doch fuͤr der verſtorbnen Perſonẽ
Seel Gott bitten [:] immittelſt aber iſt durch eine Stim võ Himmel erſchallet: ich bedarff
eweres Gebetts nicht/ ſondern ihr habt des meinigen mehr vonnoͤthen. Worauß nun zu

ſchlieſſen
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[27/0055] Von der Barmhertzigkeit Gottes. Obſchon ein Mutter bißweilen ihres eintzigen Sohns vergeſſe; ſo wird doch der Herr/ wie er von ſich ſelbſten bezeugt/ unſerer zumahlen nicht vergeſſen: dann ſo groß iſt deſſen Barmhertzigkeit; daß auch ein außgetruckneter Hanff oder Flachs in einem groſſen Fewer nicht koͤnne ſogeſch wind entzuͤ ndet werden/ als er einem Rew tragenden und auffrichtig bekehrten Suͤnder alle ſeine Miſſethaten zu vergeben bereit iſt: dieweilen keine Zeit/ noch ein an- deres Mittel die Guͤtigkeit des Allerhoͤchſten/ und den bußfertigen Suͤnder ſcheidet. Hernach aber entſtehet zwiſchen Gott und einem buͤſſenden Menſchen eine ſo vollkommene Vertraͤulichkeit/ als wann er niemahlen geſuͤndiget haͤtte: und ſo gut iſt der Herr/ daß er auch das jenige/ ſo er einmahl verziehen; dem Menſchen niemahlen vorwerffen/ oder durch einige Straff gedencken wolle; wann er nemblich in Beſſerung ſeines Lebens verharret. apud Bloſ. in Conſol. Puſill. fol. 225. 6. Daß aber dieſem alſo ſeye/ verſicheret uns genugſamb die eylfertige Be- kehrung der H. Mariaͤ Magdalenaͤ; welche/ ob zwar ſehr groſſe Laſter be- gangen hatte/ ſo bald ſie zu dem Herrn kommen/ und ihm ſeine Fuͤß gewaſchen/ aller ihrer Suͤnden vollkommenen Nachlaß erhalten hat; und folgends in ſo groſſe Gemeinſchafft mit Chriſto gerathen/ daß ſie von ſelbigem auch mehr dann die Apoſtelen ſelbſt geliebet worden: derhalben er auch nach ſeiner Auffer- ſtehung ſich zum erſten ſeiner Magdalenen gezeigt hat: und da ſie umb weitere Buß zu thun in die Wuͤſte ſich begeben hatte/ iſt ſie mit ſo vielen himmliſchen Troͤſtungen erfreuet worden/ daß ſie taͤglich ſiebenmahl biß zum Himmel ver- zuͤcket/ denen unzahlbarn Choren der Engelen beygewohnet/ und von CHriſto ſelbſt uͤber hundertmahl beſuchet/ und mit hoͤfflichen Luſtbarkeiten erquickt wor- den. Damit aber die rechte Warheit deſſen/ ſo geſagt iſt/ etwas klaͤrlicher her- vor ſcheine/ als wollen wir eine Geſchicht hinzu ſetzen. 7. Es iſt einsmahls geweſen ein adliche Tochter/ welche nach einer began- genen Blut-Schand mit ihrem eigenen Vatter/ das Angeſicht ihrer Eltern auß Schamhafftigkeit nicht ertragen koͤnnen: deſſenthalben hat ſie erſtlich die Mutter/ und hernach den Vatter mit Gifft umbs Leben gebracht: und weilen ſie von der Gnade Gottes verzweiffelt/ iſt ſie in den Suͤnden halßſtarrig ver- blieben. Endlich hat ſich zugetragen/ daß ſie nach angehoͤrten dieſen Worten von der Cantzel; daß nemblich die Barmhertzigkeit Gottes groͤſſer ſeye als die Suͤnden der Menſchen/ dergeſtalt bewegt worden/ daß ſie alsbald mit groſſem Leydweſen ihre Suͤnden gebeichtet; nachdeme zur Kirchen gangen/ allwo ſich dieſe Buͤſſerin zur Erden niedergeworffen/ und auß hefftiger und hertzlicher Rew und Leyd daſelbſten den Geiſt auffgegeben. Der Beichtsvatter hat hier- auffdas anweſende volck erſucht/ ſie moͤchten doch fuͤr der verſtorbnen Perſonẽ Seel Gott bitten : immittelſt aber iſt durch eine Stim võ Himmel erſchallet: ich bedarff eweres Gebetts nicht/ ſondern ihr habt des meinigen mehr vonnoͤthen. Worauß nun zu ſchlieſſen D 2

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/55>, abgerufen am 23.11.2024.