Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.Von der Geistlichen Vollkommenheit. 14. Auß diesem ist nun klar abzunehmen/ wie nothwendig es einem Geist- Principis obsta; sero medicina paratur; Cum mala per longas invaluere moras. Das ist: Dem Anfang widersteh: Artzney wird spät bereitet/ Wann sich durch lang Verzug/ das Ubel außgebreitet. Befleissige dich derowegen/ mein Bruder/ dem Anfang bald zu widerste- blieben
Von der Geiſtlichen Vollkommenheit. 14. Auß dieſem iſt nun klar abzunehmen/ wie nothwendig es einem Geiſt- Principis obſta; ſerò medicina paratur; Cùm mala per longas invaluêre moras. Das iſt: Dem Anfang widerſteh: Artzney wird ſpaͤt bereitet/ Wann ſich durch lang Verzug/ das Ubel außgebreitet. Befleiſſige dich derowegen/ mein Bruder/ dem Anfang bald zu widerſte- blieben
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0419" n="391"/> <fw place="top" type="header">Von der Geiſtlichen Vollkommenheit.</fw><lb/> <p>14. Auß dieſem iſt nun klar abzunehmen/ wie nothwendig es einem Geiſt-<lb/> lichen zur Erhaltung ſeiner Seelen Seeligkeit ſey/ nach der Vollkommen-<lb/> heit zu trachten/ das iſt/ die kleineſten Statuten ſeines Ordens nicht zu ver-<lb/> achten/ ſondern nach ſeiner Bequemlichkeit und Kraͤfften dieſelbe zu halten.<lb/> Dahero ermahuet recht ein Geiſtlicher Mann mit den Worten deß ſingen-<lb/> den Poeten:</p><lb/> <lg type="poem"> <l> <hi rendition="#aq">Principis obſta; ſerò medicina paratur;</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#aq">Cùm mala per longas invaluêre moras.</hi> </l> </lg><lb/> <p> <hi rendition="#c">Das iſt:</hi> </p><lb/> <lg type="poem"> <l>Dem Anfang widerſteh: Artzney wird ſpaͤt bereitet/</l><lb/> <l>Wann ſich durch lang Verzug/ das Ubel außgebreitet.</l> </lg><lb/> <p>Befleiſſige dich derowegen/ mein Bruder/ dem Anfang bald zu widerſte-<lb/> hen/ nemblich nicht allein die ſchwehre/ ſondern auch die leichten Suͤnden/<lb/> ja auch die Maͤngel ſelbſt wegzutreiben. Dan alſo wirſtu nach der Vollkom-<lb/> menheit ſtreben/ und folglich wirſtu eine groſſe Hoffnung haben/ das Klei-<lb/> nod der ewigen Seeligkeit zu erlangen. Wann du aber bißweilen mehr auß<lb/> menſchlicher Gebrechlichkeit als auß Boͤßheit in Suͤnde falleſt/ oder in Sa-<lb/> chen/ ſo von der Regul und <hi rendition="#aq">Conſtitutionen</hi> verbotten/ ſo huͤte dich/ daß du<lb/> deßwegen in dem Weeg Gottes nit abnehmeſt/ ſondern bemuͤhe dich diſes mit<lb/> den erſten durch die Buß außzuloͤſchen/ ſo wirſtu ſicher ſeyn. So wiſſe dann:<lb/> Gleich wie auch das jenige Hauß das reineſte genennet wird/ welches/ ſo<lb/> bald einer mit kothigen Fuͤſſen hineingegangen iſt/ alsbald außgewaſchen<lb/> und gereiniget wird: alſo kan der noch vollkommner genennet werden/ welcher<lb/> bißweilen in kleine Suͤnde faͤllt/ wann er ſie nur alsbald durch die Beicht<lb/> oder Reu außloͤſchet. Und wiederumb: Gleich wie ein Kriegs-Obriſter/<lb/> wann er den Feind beſtaͤndig beſtreitet und verunruhiget/ den Nahmen eines<lb/> wackeren Obriſten hat/ ob er ihn gleich nicht uͤberwindet und außtilget/ ja<lb/> bißweilen nicht gluͤcklich ſtreitet: alſo kan auch der jenige ein vollkommener<lb/> Soldat Chriſti genennet werden/ welcher bißweilen von einer Gemuͤths-<lb/> Bewegung uͤberwunden wird/ wann er nur von dem Eiffer deß Streits nie<lb/> nachlaͤſt. Duſolſt deßwegen den Muth nicht ſincken laſſen/ wann du be-<lb/> ſindeſt/ daß du im Fleiß der Vollkommenheit matt werdeſt oder garfaͤlſt/ du<lb/> ſolſt vielmehr neue Kraͤfften und Eyffer annehmen/ und dich erinnern deß<lb/> Spruchs/ welchen <hi rendition="#aq">S. Hieronymus</hi> vorgebracht: dieſes iſt die einige Voll-<lb/> kommenheit deß gegenwaͤrtigen Lebens/ daß du dich unvollkommen zu<lb/> ſeyn erkenneſt. Deme auch <hi rendition="#aq">S. Auguſtinus</hi> beyſtimbt ſagend: Es ſoll dir<lb/> allzeit mißfallen/ was du biſt/ wann du dahin gelangen wilſt/<lb/> was du nicht biſt/ dann wo du dir gefallen haſt/ da biſt du ge-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">blieben</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [391/0419]
Von der Geiſtlichen Vollkommenheit.
14. Auß dieſem iſt nun klar abzunehmen/ wie nothwendig es einem Geiſt-
lichen zur Erhaltung ſeiner Seelen Seeligkeit ſey/ nach der Vollkommen-
heit zu trachten/ das iſt/ die kleineſten Statuten ſeines Ordens nicht zu ver-
achten/ ſondern nach ſeiner Bequemlichkeit und Kraͤfften dieſelbe zu halten.
Dahero ermahuet recht ein Geiſtlicher Mann mit den Worten deß ſingen-
den Poeten:
Principis obſta; ſerò medicina paratur;
Cùm mala per longas invaluêre moras.
Das iſt:
Dem Anfang widerſteh: Artzney wird ſpaͤt bereitet/
Wann ſich durch lang Verzug/ das Ubel außgebreitet.
Befleiſſige dich derowegen/ mein Bruder/ dem Anfang bald zu widerſte-
hen/ nemblich nicht allein die ſchwehre/ ſondern auch die leichten Suͤnden/
ja auch die Maͤngel ſelbſt wegzutreiben. Dan alſo wirſtu nach der Vollkom-
menheit ſtreben/ und folglich wirſtu eine groſſe Hoffnung haben/ das Klei-
nod der ewigen Seeligkeit zu erlangen. Wann du aber bißweilen mehr auß
menſchlicher Gebrechlichkeit als auß Boͤßheit in Suͤnde falleſt/ oder in Sa-
chen/ ſo von der Regul und Conſtitutionen verbotten/ ſo huͤte dich/ daß du
deßwegen in dem Weeg Gottes nit abnehmeſt/ ſondern bemuͤhe dich diſes mit
den erſten durch die Buß außzuloͤſchen/ ſo wirſtu ſicher ſeyn. So wiſſe dann:
Gleich wie auch das jenige Hauß das reineſte genennet wird/ welches/ ſo
bald einer mit kothigen Fuͤſſen hineingegangen iſt/ alsbald außgewaſchen
und gereiniget wird: alſo kan der noch vollkommner genennet werden/ welcher
bißweilen in kleine Suͤnde faͤllt/ wann er ſie nur alsbald durch die Beicht
oder Reu außloͤſchet. Und wiederumb: Gleich wie ein Kriegs-Obriſter/
wann er den Feind beſtaͤndig beſtreitet und verunruhiget/ den Nahmen eines
wackeren Obriſten hat/ ob er ihn gleich nicht uͤberwindet und außtilget/ ja
bißweilen nicht gluͤcklich ſtreitet: alſo kan auch der jenige ein vollkommener
Soldat Chriſti genennet werden/ welcher bißweilen von einer Gemuͤths-
Bewegung uͤberwunden wird/ wann er nur von dem Eiffer deß Streits nie
nachlaͤſt. Duſolſt deßwegen den Muth nicht ſincken laſſen/ wann du be-
ſindeſt/ daß du im Fleiß der Vollkommenheit matt werdeſt oder garfaͤlſt/ du
ſolſt vielmehr neue Kraͤfften und Eyffer annehmen/ und dich erinnern deß
Spruchs/ welchen S. Hieronymus vorgebracht: dieſes iſt die einige Voll-
kommenheit deß gegenwaͤrtigen Lebens/ daß du dich unvollkommen zu
ſeyn erkenneſt. Deme auch S. Auguſtinus beyſtimbt ſagend: Es ſoll dir
allzeit mißfallen/ was du biſt/ wann du dahin gelangen wilſt/
was du nicht biſt/ dann wo du dir gefallen haſt/ da biſt du ge-
blieben
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/419 |
Zitationshilfe: | Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/419>, abgerufen am 16.02.2025. |