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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Zwölffte Geistliche Lection
derung seiner Mit-Brüder/ deß löblichen Stillschweigen von selbiger
Zeit sich dermassen beflissen/ daß er im Geist/ auch biß zu Anschau-
ung der Göttlichen Offenbahrungen immer und immer zugenommen:
wie auß folgender Histori zu vernehmen ist. Ein sicherer Einsidler ist
in dem Busch/ nicht weit von dem Kloster kranck worden/ derhalben
er zum dem Abten geschickt/ und demütiglich gebetten/ er mögte zu
ihm kommen/ und mit den H. H. Sacramenten versehen: der Abt ist
hingangen/ umb dem Krancken in seinem Begehren zu willfahren/ und
hat den vor gedachten verschwiegenen Geistlichen mit sich genommen: da
nun diese beyde auffm Weeg begriffen/ höret ein Mörder das Zeichen
der gewöhnlichen Schelle/ der sich alsbald auff gemacht/ und dem Prie-
ster biß zur Hölen deß krancken Eremitten gefolget/ und weilen er sich un-
würdig gehalten/ in die Cell eines so heiligen Manns einzugehen/ als ist er
draussen geblieben. Nachdem nun der mehr-gemeldte Bett-Lägerige seyn
Christliches Recht empfangen; ist der oberwehnte Mörder noch bey dem
Eingang der Cellen gestanden/ und mit demüthigem Hertzen gesagt; ach
wäre ich doch ein solcher/ wie du bist! da dieses der Krancke gehört/ hat
er mit einem Uber-Muth und Wohlgefallen über seyn wohl-geführtes Le-
ben/ bey sich selbsten gesagt: du mögtest wohl wünschen/ daß du wärest
wie ich bin. Nach diesem ist er alsobald verschieden: darüber dann der ver-
schwiegene Mit-Gesell deß Alten bitterlich geweinet. Jn der Zurück-Reise
dieser beyden/ ist ihnen der offt-gemeldte Mörder nachgeloffen/ und GOtt
immer umb wahre Reu und Besserung seines Lebens inbrünstig gebetten:
dann er sich vorgenommen hatte dem Abten seine Sünden zu beichten/ und
hinführo nicht mehr zu sündigen. Jn solchem eilfertigen Lauffen aber ist er
gefallen und alsbald gestorben. Da dieses der Geistliche gesehen/ hat er
angefangen vor Freuden zu lachen. Nachdem sie nun zum Kloster kom-
men/ hat ihn der Abt gefraget/ warumb er also so sehr verschwiegen wäre?
deme er geantwortet: dieweiln du mir einmahln gesagt hast; gehe hin und
schweige/ so hab ich von der Zeit an ungefragt nichts geredet. Weiters
hat der Abt die Ursach deß vorgemeldten weinens/ und deß bald darauff
gefolgten Lachens zu wissen verlanget; da doch/ sagt er/ der Mörder uns
derhalben nachgefolget/ damit er uns berauben/ und vielleicht auch tödten
mögte/ und derhalben in seinen Sünden gestorben ist? deme der fromme
Bruder geantwortet/ daß er diesertwegen geweinet/ weilen er gesehen/
daß/ da der Mörder vor der Cellen gestanden/ und gewünschet dem Kran-

cken

Die Zwoͤlffte Geiſtliche Lection
derung ſeiner Mit-Bruͤder/ deß loͤblichen Stillſchweigen von ſelbiger
Zeit ſich dermaſſen befliſſen/ daß er im Geiſt/ auch biß zu Anſchau-
ung der Goͤttlichen Offenbahrungen immer und immer zugenommen:
wie auß folgender Hiſtori zu vernehmen iſt. Ein ſicherer Einſidler iſt
in dem Buſch/ nicht weit von dem Kloſter kranck worden/ derhalben
er zum dem Abten geſchickt/ und demuͤtiglich gebetten/ er moͤgte zu
ihm kommen/ und mit den H. H. Sacramenten verſehen: der Abt iſt
hingangen/ umb dem Krancken in ſeinem Begehren zu willfahren/ und
hat den vor gedachten verſchwiegenen Geiſtlichen mit ſich genommen: da
nun dieſe beyde auffm Weeg begriffen/ hoͤret ein Moͤrder das Zeichen
der gewoͤhnlichen Schelle/ der ſich alsbald auff gemacht/ und dem Prie-
ſter biß zur Hoͤlen deß krancken Eremitten gefolget/ und weilen er ſich un-
wuͤrdig gehalten/ in die Cell eines ſo heiligen Manns einzugehen/ als iſt er
drauſſen geblieben. Nachdem nun der mehr-gemeldte Bett-Laͤgerige ſeyn
Chriſtliches Recht empfangen; iſt der oberwehnte Moͤrder noch bey dem
Eingang der Cellen geſtanden/ und mit demuͤthigem Hertzen geſagt; ach
waͤre ich doch ein ſolcher/ wie du biſt! da dieſes der Krancke gehoͤrt/ hat
er mit einem Uber-Muth und Wohlgefallen uͤber ſeyn wohl-gefuͤhrtes Le-
ben/ bey ſich ſelbſten geſagt: du moͤgteſt wohl wuͤnſchen/ daß du waͤreſt
wie ich bin. Nach dieſem iſt er alſobald verſchieden: daruͤber dann der ver-
ſchwiegene Mit-Geſell deß Alten bitterlich geweinet. Jn der Zuruͤck-Reiſe
dieſer beyden/ iſt ihnen der offt-gemeldte Moͤrder nachgeloffen/ und GOtt
immer umb wahre Reu und Beſſerung ſeines Lebens inbruͤnſtig gebetten:
dann er ſich vorgenommen hatte dem Abten ſeine Suͤnden zu beichten/ und
hinfuͤhro nicht mehr zu ſuͤndigen. Jn ſolchem eilfertigen Lauffen aber iſt er
gefallen und alsbald geſtorben. Da dieſes der Geiſtliche geſehen/ hat er
angefangen vor Freuden zu lachen. Nachdem ſie nun zum Kloſter kom-
men/ hat ihn der Abt gefraget/ warumb er alſo ſo ſehr verſchwiegen waͤre?
deme er geantwortet: dieweiln du mir einmahln geſagt haſt; gehe hin und
ſchweige/ ſo hab ich von der Zeit an ungefragt nichts geredet. Weiters
hat der Abt die Urſach deß vorgemeldten weinens/ und deß bald darauff
gefolgten Lachens zu wiſſen verlanget; da doch/ ſagt er/ der Moͤrder uns
derhalben nachgefolget/ damit er uns berauben/ und vielleicht auch toͤdten
moͤgte/ und derhalben in ſeinen Suͤnden geſtorben iſt? deme der fromme
Bruder geantwortet/ daß er dieſertwegen geweinet/ weilen er geſehen/
daß/ da der Moͤrder vor der Cellen geſtanden/ und gewuͤnſchet dem Kran-

cken
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[136/0164] Die Zwoͤlffte Geiſtliche Lection derung ſeiner Mit-Bruͤder/ deß loͤblichen Stillſchweigen von ſelbiger Zeit ſich dermaſſen befliſſen/ daß er im Geiſt/ auch biß zu Anſchau- ung der Goͤttlichen Offenbahrungen immer und immer zugenommen: wie auß folgender Hiſtori zu vernehmen iſt. Ein ſicherer Einſidler iſt in dem Buſch/ nicht weit von dem Kloſter kranck worden/ derhalben er zum dem Abten geſchickt/ und demuͤtiglich gebetten/ er moͤgte zu ihm kommen/ und mit den H. H. Sacramenten verſehen: der Abt iſt hingangen/ umb dem Krancken in ſeinem Begehren zu willfahren/ und hat den vor gedachten verſchwiegenen Geiſtlichen mit ſich genommen: da nun dieſe beyde auffm Weeg begriffen/ hoͤret ein Moͤrder das Zeichen der gewoͤhnlichen Schelle/ der ſich alsbald auff gemacht/ und dem Prie- ſter biß zur Hoͤlen deß krancken Eremitten gefolget/ und weilen er ſich un- wuͤrdig gehalten/ in die Cell eines ſo heiligen Manns einzugehen/ als iſt er drauſſen geblieben. Nachdem nun der mehr-gemeldte Bett-Laͤgerige ſeyn Chriſtliches Recht empfangen; iſt der oberwehnte Moͤrder noch bey dem Eingang der Cellen geſtanden/ und mit demuͤthigem Hertzen geſagt; ach waͤre ich doch ein ſolcher/ wie du biſt! da dieſes der Krancke gehoͤrt/ hat er mit einem Uber-Muth und Wohlgefallen uͤber ſeyn wohl-gefuͤhrtes Le- ben/ bey ſich ſelbſten geſagt: du moͤgteſt wohl wuͤnſchen/ daß du waͤreſt wie ich bin. Nach dieſem iſt er alſobald verſchieden: daruͤber dann der ver- ſchwiegene Mit-Geſell deß Alten bitterlich geweinet. Jn der Zuruͤck-Reiſe dieſer beyden/ iſt ihnen der offt-gemeldte Moͤrder nachgeloffen/ und GOtt immer umb wahre Reu und Beſſerung ſeines Lebens inbruͤnſtig gebetten: dann er ſich vorgenommen hatte dem Abten ſeine Suͤnden zu beichten/ und hinfuͤhro nicht mehr zu ſuͤndigen. Jn ſolchem eilfertigen Lauffen aber iſt er gefallen und alsbald geſtorben. Da dieſes der Geiſtliche geſehen/ hat er angefangen vor Freuden zu lachen. Nachdem ſie nun zum Kloſter kom- men/ hat ihn der Abt gefraget/ warumb er alſo ſo ſehr verſchwiegen waͤre? deme er geantwortet: dieweiln du mir einmahln geſagt haſt; gehe hin und ſchweige/ ſo hab ich von der Zeit an ungefragt nichts geredet. Weiters hat der Abt die Urſach deß vorgemeldten weinens/ und deß bald darauff gefolgten Lachens zu wiſſen verlanget; da doch/ ſagt er/ der Moͤrder uns derhalben nachgefolget/ damit er uns berauben/ und vielleicht auch toͤdten moͤgte/ und derhalben in ſeinen Suͤnden geſtorben iſt? deme der fromme Bruder geantwortet/ daß er dieſertwegen geweinet/ weilen er geſehen/ daß/ da der Moͤrder vor der Cellen geſtanden/ und gewuͤnſchet dem Kran- cken

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/164>, abgerufen am 24.04.2024.