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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Von der Demuth.
dergestalt geschmertzet/ daß er ab solchen Verlust nicht gnugsamb beklagen
können. Derhalben/ mein Kind/ was hier gesagt ist/ nehme fleissig in ob-
acht/ und eigene dir selbiges also zu/ auff daß du mit den Demüthigen und
Friedsamen das erfreuliche Sieg-Cräntzlein dar von zu tragen gewürdiget
werdest.

Der andere Theil.

7. WJewohl nun auß angezogenem vielfältigen Beweisthumb sattsam
zu ermessen ist/ worinnen die wahre Demuth bestehe; nichts de-
stoweniger hab ich für gut befunden/ denen obbemeldten Erwei-
sungen annoch einen Zusatz zu geben/ insonderheit von den Staffelen dieser
herlichen Tugend/ deren der erste seyn soll die Verachtung seiner selbsten.
Diesem Staffel gemäß/ sagt der seelige Laurentius Justinianus, daß dieTr. de
hum. c.
1.

Demuth eine Tugend seye/ durch welche der Mensch Vermög der Erkand-
nuß seiner/ sich selbsten mißfallet. Der aber auff solche Staffel zu steigen
verlanget/ der nehme wahr die folgende Antwort eines alten Einsidlers/ wel-
cher/ da er gefragt wurde/ wie man die wahre Demuth erwerben könnte/ ga-
be zur Antwort: das beste Mittel darzu seye dieses/ wann nemblich der
Mensch nur allein seine eigene/ und nicht anderer Verbrechen betrachtete.
Wann derselbige nach dem Rath deß H. Bernardi/ sich selbst fragete? Was
bistu gewesen?
und alsdann nach der Warheit sich zu antworten ge-
zwungen wurde: Ein heßlicher Saamen. Was bistu? Ein
Geschirr deß Vnflats. Was wirstu werden? Ein
Speiß der Wurmen.
Wann/ sag ich/ ein jeder sich also selbst fra-
gete/ würden wir ausser allem Zweiffel in allen Tugenden mercklich zuneh-
men. Ware nicht mit allerhand Tugenden erfüllet ein Fürst der Aposteln
der H. Petrus? ware nicht auch mit denselben gezieret ein Lehrer der Heyden
der H. Paulus? Fragstu mich nun/ durch welche Strassen diese beyde A-
posteln zu solchen Tugenden gelangt seyen; so gebe ich dir zur Antwort/ durch
den Weeg der Demuth und Erkändtnuß ihrer selbsten: dann Petrus sagt
zu seinem Lehr-Meister: HErr gehe von mir hinauß/ dieweilnLuc. 5. v.
8.

ich ein sundiger Mensch bin. Und Paulus schämbte sich nicht zu
sagen: Jch bin der geringste unter den Aposteln/ der ich nit
werth bin/ daß ich ein Apostel genannt werde.
Dahero die-
se vor anderen den Vorzug zu haben verdienet/ weilen unter andern sich am
meisten gedemüthiget. So hat dann recht gesagt der vorgemeldte Geist-
reiche Vatter: Wie tieffer einer in sich selbsten hinunter steiget/ und wie
mehr er sich selbsten mißfallet; desto höher steiget er zu GOtt.

8. Daß
P 3

Von der Demuth.
dergeſtalt geſchmertzet/ daß er ab ſolchen Verluſt nicht gnugſamb beklagen
koͤnnen. Derhalben/ mein Kind/ was hier geſagt iſt/ nehme fleiſſig in ob-
acht/ und eigene dir ſelbiges alſo zu/ auff daß du mit den Demuͤthigen und
Friedſamen das erfreuliche Sieg-Craͤntzlein dar von zu tragen gewuͤrdiget
werdeſt.

Der andere Theil.

7. WJewohl nun auß angezogenem vielfaͤltigen Beweiſthumb ſattſam
zu ermeſſen iſt/ worinnen die wahre Demuth beſtehe; nichts de-
ſtoweniger hab ich fuͤr gut befunden/ denen obbemeldten Erwei-
ſungen annoch einen Zuſatz zu geben/ inſonderheit von den Staffelen dieſer
herlichen Tugend/ deren der erſte ſeyn ſoll die Verachtung ſeiner ſelbſten.
Dieſem Staffel gemaͤß/ ſagt der ſeelige Laurentius Juſtinianus, daß dieTr. de
hum. c.
1.

Demuth eine Tugend ſeye/ durch welche der Menſch Vermoͤg der Erkand-
nuß ſeiner/ ſich ſelbſten mißfallet. Der aber auff ſolche Staffel zu ſteigen
verlanget/ der nehme wahr die folgende Antwort eines alten Einſidlers/ wel-
cher/ da er gefragt wurde/ wie man die wahre Demuth erwerben koͤnnte/ ga-
be zur Antwort: das beſte Mittel darzu ſeye dieſes/ wann nemblich der
Menſch nur allein ſeine eigene/ und nicht anderer Verbrechen betrachtete.
Wann derſelbige nach dem Rath deß H. Bernardi/ ſich ſelbſt fragete? Was
biſtu geweſen?
und alsdann nach der Warheit ſich zu antworten ge-
zwungen wurde: Ein heßlicher Saamen. Was biſtu? Ein
Geſchirr deß Vnflats. Was wirſtu werden? Ein
Speiß der Wůrmen.
Wann/ ſag ich/ ein jeder ſich alſo ſelbſt fra-
gete/ wuͤrden wir auſſer allem Zweiffel in allen Tugenden mercklich zuneh-
men. Ware nicht mit allerhand Tugenden erfuͤllet ein Fuͤrſt der Apoſteln
der H. Petrus? ware nicht auch mit denſelben gezieret ein Lehrer der Heyden
der H. Paulus? Fragſtu mich nun/ durch welche Straſſen dieſe beyde A-
poſteln zu ſolchen Tugenden gelangt ſeyen; ſo gebe ich dir zur Antwort/ durch
den Weeg der Demuth und Erkaͤndtnuß ihrer ſelbſten: dann Petrus ſagt
zu ſeinem Lehr-Meiſter: HErr gehe von mir hinauß/ dieweilnLuc. 5. v.
8.

ich ein ſůndiger Menſch bin. Und Paulus ſchaͤmbte ſich nicht zu
ſagen: Jch bin der geringſte unter den Apoſteln/ der ich nit
werth bin/ daß ich ein Apoſtel genannt werde.
Dahero die-
ſe vor anderen den Vorzug zu haben verdienet/ weilen unter andern ſich am
meiſten gedemuͤthiget. So hat dann recht geſagt der vorgemeldte Geiſt-
reiche Vatter: Wie tieffer einer in ſich ſelbſten hinunter ſteiget/ und wie
mehr er ſich ſelbſten mißfallet; deſto hoͤher ſteiget er zu GOtt.

8. Daß
P 3
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[117/0145] Von der Demuth. dergeſtalt geſchmertzet/ daß er ab ſolchen Verluſt nicht gnugſamb beklagen koͤnnen. Derhalben/ mein Kind/ was hier geſagt iſt/ nehme fleiſſig in ob- acht/ und eigene dir ſelbiges alſo zu/ auff daß du mit den Demuͤthigen und Friedſamen das erfreuliche Sieg-Craͤntzlein dar von zu tragen gewuͤrdiget werdeſt. Der andere Theil. 7. WJewohl nun auß angezogenem vielfaͤltigen Beweiſthumb ſattſam zu ermeſſen iſt/ worinnen die wahre Demuth beſtehe; nichts de- ſtoweniger hab ich fuͤr gut befunden/ denen obbemeldten Erwei- ſungen annoch einen Zuſatz zu geben/ inſonderheit von den Staffelen dieſer herlichen Tugend/ deren der erſte ſeyn ſoll die Verachtung ſeiner ſelbſten. Dieſem Staffel gemaͤß/ ſagt der ſeelige Laurentius Juſtinianus, daß die Demuth eine Tugend ſeye/ durch welche der Menſch Vermoͤg der Erkand- nuß ſeiner/ ſich ſelbſten mißfallet. Der aber auff ſolche Staffel zu ſteigen verlanget/ der nehme wahr die folgende Antwort eines alten Einſidlers/ wel- cher/ da er gefragt wurde/ wie man die wahre Demuth erwerben koͤnnte/ ga- be zur Antwort: das beſte Mittel darzu ſeye dieſes/ wann nemblich der Menſch nur allein ſeine eigene/ und nicht anderer Verbrechen betrachtete. Wann derſelbige nach dem Rath deß H. Bernardi/ ſich ſelbſt fragete? Was biſtu geweſen? und alsdann nach der Warheit ſich zu antworten ge- zwungen wurde: Ein heßlicher Saamen. Was biſtu? Ein Geſchirr deß Vnflats. Was wirſtu werden? Ein Speiß der Wůrmen. Wann/ ſag ich/ ein jeder ſich alſo ſelbſt fra- gete/ wuͤrden wir auſſer allem Zweiffel in allen Tugenden mercklich zuneh- men. Ware nicht mit allerhand Tugenden erfuͤllet ein Fuͤrſt der Apoſteln der H. Petrus? ware nicht auch mit denſelben gezieret ein Lehrer der Heyden der H. Paulus? Fragſtu mich nun/ durch welche Straſſen dieſe beyde A- poſteln zu ſolchen Tugenden gelangt ſeyen; ſo gebe ich dir zur Antwort/ durch den Weeg der Demuth und Erkaͤndtnuß ihrer ſelbſten: dann Petrus ſagt zu ſeinem Lehr-Meiſter: HErr gehe von mir hinauß/ dieweiln ich ein ſůndiger Menſch bin. Und Paulus ſchaͤmbte ſich nicht zu ſagen: Jch bin der geringſte unter den Apoſteln/ der ich nit werth bin/ daß ich ein Apoſtel genannt werde. Dahero die- ſe vor anderen den Vorzug zu haben verdienet/ weilen unter andern ſich am meiſten gedemuͤthiget. So hat dann recht geſagt der vorgemeldte Geiſt- reiche Vatter: Wie tieffer einer in ſich ſelbſten hinunter ſteiget/ und wie mehr er ſich ſelbſten mißfallet; deſto hoͤher ſteiget er zu GOtt. Tr. de hum. c. 1. Luc. 5. v. 8. 8. Daß P 3

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/145>, abgerufen am 16.04.2024.