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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Eilffte Geistliche Lection

8. Daß aber diesem also/ solle uns mit sonderbahrem Nachdruck bekräff-
Vita. P.
4. c.
133.
tigen der H. Matiae Magdalenae de Pazis, grosse Heiligkeit/ zu der sie ver-
mittelst einer vollkommener Demuth und Vernichtigung ihrer selbsten
gelangt ist. Dann obwohln diese Dienerin GOttes nit allein keine tödtliche/
sondern auch keine merckliche läßliche Sünden jemahlen begangen/ so ist
sie gleich wohl gemeiniglich zum Tisch deß HErrn gangen in steter Forcht/
daß wegen ihrer Unwürdigkeit von der Erden solte verschlunget werden.
Sie schätzete sich den höllischen Geistern gleich/ hielte gäntzlich darfür/ daß
so wohl deß Cräntzlein der Jungfrauschafft und in selbiger GOtt zu dienen/
als auch desselben Gaaben und Gnaden zumahlen unwürdig wäre. Alle
ihre Mit-Schwestern hielte sie vor vollkommen/ und sich allein vor unvoll-
kommen: sie lobte alle andere/ und küssete deren Fuß-Stapffen. Auch eh-
rete sie ihre untergebene Lehr-Kinder dergestalt/ daß sich selbige höchlich zu
verwunderen billige Ursach schöpfften/ indem sie sahen/ daß als Lehr-Jünge-
gerinnen von ihrer Meisterinnen so sehr geehret wurden. Jhren eigenen
auch den geringsten Fehler thäte sie als die höchste Undanckbarkeit gegen
GOtt/ sehr hoch empfinden. Darzu vermeinte sie/ daß nicht allein aller
Verbrechen ihrer Clösterlichen Mit-Schwestern/ sondern auch aller Sün-
den der gantzen Welt die meiste Ursach seye; derhalben sie GOtt bettete/ er
mögte doch anderer verschönen/ und mit allen verdienten Straffen gegen sie
nach aller Gerechtigkeit verfahren. Auch verwunderte sich offtmahl nicht
wenig diese H. Jungfrau/ daß sie von GOtt/ von seinen H. H. Engelen und
Ausserwählten/ auff Erden zu leben/ geduldet werde. Wie vielmahl hatte
sie geförchtet/ die Erde würde sich auffthuen und sie verschlingen? und wei-
len sie immerzu den Argwohn hatte/ sie mögte wegen ihres übelen Verhaltens
auß dem Closter verstossen werden/ derowegen hat die Augen deß Leibs in Ge-
genwart und Gespräch anderer auffzuschlagen/ sich selten getrauet. Mit zit-
tern sahe man gemeiniglich das demüthige Mägdlein mit anderen zur Kir-
chen hing[e]hen/ dieweilen in grosser Forcht stunde/ es mögte der gerechte Gott
wegen ihrer eigenen grossen Sünden/ andern Mit- Schwestern Gebett
verwerffen/ und /was noch mehr ist/ sie hielte gäntzlich darvor/ es müsse ein
grosses Miracul seyn/ daß GOtt einer so bösen Creatur sein heiliges Lob zu
singen/ sich gebrauchen thäte. Da nun unsere Heilige sich im Todts-Bett
befunden/ hat sie die Umbstehende angeredet und gesagt/ daß derhalben von
der Welt hinweg genommen werde/ damit wegen ihres sündigen Lebens/ die
Welt auch zugleich mit ihr/ als eintziger Ursach alles Böses/ nicht gestraffet
werde; dann so lang sie in der Welt lebte/ stunde die Welt in Sorgen/ daß
ihrentwegen von GOtt mögte übel gehalten werden. Das heischt/ sich

demü-
Die Eilffte Geiſtliche Lection

8. Daß aber dieſem alſo/ ſolle uns mit ſonderbahrem Nachdruck bekraͤff-
Vita. P.
4. c.
133.
tigen der H. Matiæ Magdalenæ de Pazis, groſſe Heiligkeit/ zu der ſie ver-
mittelſt einer vollkommener Demuth und Vernichtigung ihrer ſelbſten
gelangt iſt. Dann obwohln dieſe Dienerin GOttes nit allein keine toͤdtliche/
ſondern auch keine merckliche laͤßliche Suͤnden jemahlen begangen/ ſo iſt
ſie gleich wohl gemeiniglich zum Tiſch deß HErrn gangen in ſteter Forcht/
daß wegen ihrer Unwuͤrdigkeit von der Erden ſolte verſchlunget werden.
Sie ſchaͤtzete ſich den hoͤlliſchen Geiſtern gleich/ hielte gaͤntzlich darfuͤr/ daß
ſo wohl deß Craͤntzlein der Jungfrauſchafft und in ſelbiger GOtt zu dienen/
als auch deſſelben Gaaben und Gnaden zumahlen unwuͤrdig waͤre. Alle
ihre Mit-Schweſtern hielte ſie vor vollkommen/ und ſich allein vor unvoll-
kommen: ſie lobte alle andere/ und kuͤſſete deren Fuß-Stapffen. Auch eh-
rete ſie ihre untergebene Lehr-Kinder dergeſtalt/ daß ſich ſelbige hoͤchlich zu
verwunderen billige Urſach ſchoͤpfften/ indem ſie ſahen/ daß als Lehr-Juͤnge-
gerinnen von ihrer Meiſterinnen ſo ſehr geehret wurden. Jhren eigenen
auch den geringſten Fehler thaͤte ſie als die hoͤchſte Undanckbarkeit gegen
GOtt/ ſehr hoch empfinden. Darzu vermeinte ſie/ daß nicht allein aller
Verbrechen ihrer Cloͤſterlichen Mit-Schweſtern/ ſondern auch aller Suͤn-
den der gantzen Welt die meiſte Urſach ſeye; derhalben ſie GOtt bettete/ er
moͤgte doch anderer verſchoͤnen/ und mit allen verdienten Straffen gegen ſie
nach aller Gerechtigkeit verfahren. Auch verwunderte ſich offtmahl nicht
wenig dieſe H. Jungfrau/ daß ſie von GOtt/ von ſeinen H. H. Engelen und
Auſſerwaͤhlten/ auff Erden zu leben/ geduldet werde. Wie vielmahl hatte
ſie gefoͤrchtet/ die Erde wuͤrde ſich auffthuen und ſie verſchlingen? und wei-
len ſie immerzu den Argwohn hatte/ ſie moͤgte wegen ihres uͤbelen Verhaltens
auß dem Cloſter verſtoſſen werden/ derowegen hat die Augen deß Leibs in Ge-
genwart und Geſpraͤch anderer auffzuſchlagen/ ſich ſelten getrauet. Mit zit-
tern ſahe man gemeiniglich das demuͤthige Maͤgdlein mit anderen zur Kir-
chen hing[e]hen/ dieweilen in groſſer Forcht ſtunde/ es moͤgte der gerechte Gott
wegen ihrer eigenen groſſen Suͤnden/ andern Mit- Schweſtern Gebett
verwerffen/ und /was noch mehr iſt/ ſie hielte gaͤntzlich darvor/ es muͤſſe ein
groſſes Miracul ſeyn/ daß GOtt einer ſo boͤſen Creatur ſein heiliges Lob zu
ſingen/ ſich gebrauchen thaͤte. Da nun unſere Heilige ſich im Todts-Bett
befunden/ hat ſie die Umbſtehende angeredet und geſagt/ daß derhalben von
der Welt hinweg genommen werde/ damit wegen ihres ſuͤndigen Lebens/ die
Welt auch zugleich mit ihr/ als eintziger Urſach alles Boͤſes/ nicht geſtraffet
werde; dann ſo lang ſie in der Welt lebte/ ſtunde die Welt in Sorgen/ daß
ihrentwegen von GOtt moͤgte uͤbel gehalten werden. Das heiſcht/ ſich

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[118/0146] Die Eilffte Geiſtliche Lection 8. Daß aber dieſem alſo/ ſolle uns mit ſonderbahrem Nachdruck bekraͤff- tigen der H. Matiæ Magdalenæ de Pazis, groſſe Heiligkeit/ zu der ſie ver- mittelſt einer vollkommener Demuth und Vernichtigung ihrer ſelbſten gelangt iſt. Dann obwohln dieſe Dienerin GOttes nit allein keine toͤdtliche/ ſondern auch keine merckliche laͤßliche Suͤnden jemahlen begangen/ ſo iſt ſie gleich wohl gemeiniglich zum Tiſch deß HErrn gangen in ſteter Forcht/ daß wegen ihrer Unwuͤrdigkeit von der Erden ſolte verſchlunget werden. Sie ſchaͤtzete ſich den hoͤlliſchen Geiſtern gleich/ hielte gaͤntzlich darfuͤr/ daß ſo wohl deß Craͤntzlein der Jungfrauſchafft und in ſelbiger GOtt zu dienen/ als auch deſſelben Gaaben und Gnaden zumahlen unwuͤrdig waͤre. Alle ihre Mit-Schweſtern hielte ſie vor vollkommen/ und ſich allein vor unvoll- kommen: ſie lobte alle andere/ und kuͤſſete deren Fuß-Stapffen. Auch eh- rete ſie ihre untergebene Lehr-Kinder dergeſtalt/ daß ſich ſelbige hoͤchlich zu verwunderen billige Urſach ſchoͤpfften/ indem ſie ſahen/ daß als Lehr-Juͤnge- gerinnen von ihrer Meiſterinnen ſo ſehr geehret wurden. Jhren eigenen auch den geringſten Fehler thaͤte ſie als die hoͤchſte Undanckbarkeit gegen GOtt/ ſehr hoch empfinden. Darzu vermeinte ſie/ daß nicht allein aller Verbrechen ihrer Cloͤſterlichen Mit-Schweſtern/ ſondern auch aller Suͤn- den der gantzen Welt die meiſte Urſach ſeye; derhalben ſie GOtt bettete/ er moͤgte doch anderer verſchoͤnen/ und mit allen verdienten Straffen gegen ſie nach aller Gerechtigkeit verfahren. Auch verwunderte ſich offtmahl nicht wenig dieſe H. Jungfrau/ daß ſie von GOtt/ von ſeinen H. H. Engelen und Auſſerwaͤhlten/ auff Erden zu leben/ geduldet werde. Wie vielmahl hatte ſie gefoͤrchtet/ die Erde wuͤrde ſich auffthuen und ſie verſchlingen? und wei- len ſie immerzu den Argwohn hatte/ ſie moͤgte wegen ihres uͤbelen Verhaltens auß dem Cloſter verſtoſſen werden/ derowegen hat die Augen deß Leibs in Ge- genwart und Geſpraͤch anderer auffzuſchlagen/ ſich ſelten getrauet. Mit zit- tern ſahe man gemeiniglich das demuͤthige Maͤgdlein mit anderen zur Kir- chen hingehen/ dieweilen in groſſer Forcht ſtunde/ es moͤgte der gerechte Gott wegen ihrer eigenen groſſen Suͤnden/ andern Mit- Schweſtern Gebett verwerffen/ und /was noch mehr iſt/ ſie hielte gaͤntzlich darvor/ es muͤſſe ein groſſes Miracul ſeyn/ daß GOtt einer ſo boͤſen Creatur ſein heiliges Lob zu ſingen/ ſich gebrauchen thaͤte. Da nun unſere Heilige ſich im Todts-Bett befunden/ hat ſie die Umbſtehende angeredet und geſagt/ daß derhalben von der Welt hinweg genommen werde/ damit wegen ihres ſuͤndigen Lebens/ die Welt auch zugleich mit ihr/ als eintziger Urſach alles Boͤſes/ nicht geſtraffet werde; dann ſo lang ſie in der Welt lebte/ ſtunde die Welt in Sorgen/ daß ihrentwegen von GOtt moͤgte uͤbel gehalten werden. Das heiſcht/ ſich demuͤ- Vita. P. 4. c. 133.

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/146>, abgerufen am 23.11.2024.