Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Neunte Geistliche Lection
den; und weil derselben eine grosse Anzahl ist/ derowegen hab ich sie auff den
Rucken geworffen/ damit ich sie nicht sehen/ und darüber Leyd haben mög-
te: aber/ die wenige Sünden meines Mit-Bruders hab ich vor meine Au-
gen gehangen/ und bemühe mich/ wie ich selbige doch richten möge. Nun
aber ist gewiß/ daß man nicht solcher Gestalt richten müsse; derhalben wirds
besser seyn/ daß ich meine eigene Sünden vor mich nehme/ dieselbe bedencke/
und GOtt bitte/ daß er sie mir verzeyhe. Da dieses die andere Einsidler
gehört haben/ ist diese Bekändtnuß von ihnen sämbtlichen hervorgebrochen:
Jn Warheit dieser ist der Weeg deß ewigen Heyls. Hastu
mich verstanden/ mein Christliche Seel/ wie schwär es seye/ auch über die
öffentliche Sünden seinen Nächsten richten? Wolan dann/ so ergreiffe nun
das zur Hand gebrachte Mittel gegen solches Laster; oder/ wans dir also
gefällig/ suche dir eins auß den folgenden.

Der dritte Theil.

14. DJeses muß uns ebenfals von dem freventlichen Urtheilen abschre-
cken/ wann wir gedencken/ und uns versicheren; daß GOTT
einmahlen einen würde lassen in eine Sünd fallen/ wann er
nicht wüste diesen Fall in ein Gutes zu verkehren. Derhalben lehren die
Thomisten/ da sie von der Verordnung oder Versuchung handlen/ daß die
Zulassung der Sünde in den Außerwählten seye eine Wirckung oder Auß-
gang ihrer Verordnung zum ewigen Leben; dann da sie in vielerley Sün-
de fallen/ stehen sie mütiger und dapfferer auff zu lauffen den Weeg der Voll-
Rom. 8. v. 28.kommenheit/ Laut Zeugnuß deß H. Apostels Pauli: Den jenigen/ so
GOtt Lieb haben/ wircken mit alle Ding zum Guten.

Hierüber sagen die Dollmetscher der H. Schrifft/ daß unter denen allen
Dingen/
auch die Sünd begriffen werde. Und der H. Thomas lehret da-
selbsten/ daß die Sünden der Verordneten zur Seeligkeit denenselbigen
mitwircken zum Guten. Dieses sagen ebenfals alle H. H. Vätter; auß
denen der H. Augustinus also schreibet: Den jenigen/ so GOtt lieb hat/
De cor-
rept. &
grat. c.
9.
mitwircken alle Ding zum Guten; so gar auch alles; daß/ wann einige auß
ihnen den Weeg der Gerechtigkeit verf[e]hlen und sündigen/ dasselbige sie auch
mache zunehmen im Guten/ dann sie werden nach ihrer Wider-Kehr besser
und vorsichtiger. Darzu ist die Zulassung der Sünde von GOtt gewilliget
In Enchi.
c.
11.
zu einem guten Ende: dieweilen GOtt (wie das grosse Kirchen-Licht Au-
gustinus dagt) indem er unendlich gut ist/ nicht würde zulassen/ daß etwas

Ubels

Die Neunte Geiſtliche Lection
den; und weil derſelben eine groſſe Anzahl iſt/ derowegen hab ich ſie auff den
Rucken geworffen/ damit ich ſie nicht ſehen/ und daruͤber Leyd haben moͤg-
te: aber/ die wenige Suͤnden meines Mit-Bruders hab ich vor meine Au-
gen gehangen/ und bemuͤhe mich/ wie ich ſelbige doch richten moͤge. Nun
aber iſt gewiß/ daß man nicht ſolcher Geſtalt richten muͤſſe; derhalben wirds
beſſer ſeyn/ daß ich meine eigene Suͤnden vor mich nehme/ dieſelbe bedencke/
und GOtt bitte/ daß er ſie mir verzeyhe. Da dieſes die andere Einſidler
gehoͤrt haben/ iſt dieſe Bekaͤndtnuß von ihnen ſaͤmbtlichen hervorgebrochen:
Jn Warheit dieſer iſt der Weeg deß ewigen Heyls. Haſtu
mich verſtanden/ mein Chriſtliche Seel/ wie ſchwaͤr es ſeye/ auch uͤber die
oͤffentliche Suͤnden ſeinen Naͤchſten richten? Wolan dann/ ſo ergreiffe nun
das zur Hand gebrachte Mittel gegen ſolches Laſter; oder/ wans dir alſo
gefaͤllig/ ſuche dir eins auß den folgenden.

Der dritte Theil.

14. DJeſes muß uns ebenfals von dem freventlichen Urtheilen abſchre-
cken/ wann wir gedencken/ und uns verſicheren; daß GOTT
einmahlen einen wuͤrde laſſen in eine Suͤnd fallen/ wann er
nicht wuͤſte dieſen Fall in ein Gutes zu verkehren. Derhalben lehren die
Thomiſten/ da ſie von der Verordnung oder Verſuchung handlen/ daß die
Zulaſſung der Suͤnde in den Außerwaͤhlten ſeye eine Wirckung oder Auß-
gang ihrer Verordnung zum ewigen Leben; dann da ſie in vielerley Suͤn-
de fallen/ ſtehen ſie muͤtiger und dapfferer auff zu lauffen den Weeg der Voll-
Rom. 8. v. 28.kommenheit/ Laut Zeugnuß deß H. Apoſtels Pauli: Den jenigen/ ſo
GOtt Lieb haben/ wircken mit alle Ding zum Guten.

Hieruͤber ſagen die Dollmetſcher der H. Schrifft/ daß unter denen allen
Dingen/
auch die Suͤnd begriffen werde. Und der H. Thomas lehret da-
ſelbſten/ daß die Suͤnden der Verordneten zur Seeligkeit denenſelbigen
mitwircken zum Guten. Dieſes ſagen ebenfals alle H. H. Vaͤtter; auß
denen der H. Auguſtinus alſo ſchreibet: Den jenigen/ ſo GOtt lieb hat/
De cor-
rept. &
grat. c.
9.
mitwircken alle Ding zum Guten; ſo gar auch alles; daß/ wann einige auß
ihnen den Weeg der Gerechtigkeit verf[e]hlen und ſuͤndigen/ daſſelbige ſie auch
mache zunehmen im Guten/ dann ſie werden nach ihrer Wider-Kehr beſſer
und vorſichtiger. Darzu iſt die Zulaſſung der Suͤnde von GOtt gewilliget
In Enchi.
c.
11.
zu einem guten Ende: dieweilen GOtt (wie das groſſe Kirchen-Licht Au-
guſtinus dagt) indem er unendlich gut iſt/ nicht wuͤrde zulaſſen/ daß etwas

Ubels
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0122" n="94"/><fw place="top" type="header">Die Neunte Gei&#x017F;tliche <hi rendition="#aq">Lection</hi></fw><lb/>
den; und weil der&#x017F;elben eine gro&#x017F;&#x017F;e Anzahl i&#x017F;t/ derowegen hab ich &#x017F;ie auff den<lb/>
Rucken geworffen/ damit ich &#x017F;ie nicht &#x017F;ehen/ und daru&#x0364;ber Leyd haben mo&#x0364;g-<lb/>
te: aber/ die wenige Su&#x0364;nden meines Mit-Bruders hab ich vor meine Au-<lb/>
gen gehangen/ und bemu&#x0364;he mich/ wie ich &#x017F;elbige doch richten mo&#x0364;ge. Nun<lb/>
aber i&#x017F;t gewiß/ daß man nicht &#x017F;olcher Ge&#x017F;talt richten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e; derhalben wirds<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;eyn/ daß ich meine eigene Su&#x0364;nden vor mich nehme/ die&#x017F;elbe bedencke/<lb/>
und GOtt bitte/ daß er &#x017F;ie mir verzeyhe. Da die&#x017F;es die andere Ein&#x017F;idler<lb/>
geho&#x0364;rt haben/ i&#x017F;t die&#x017F;e Beka&#x0364;ndtnuß von ihnen &#x017F;a&#x0364;mbtlichen hervorgebrochen:<lb/><hi rendition="#fr">Jn Warheit die&#x017F;er i&#x017F;t der Weeg deß ewigen Heyls.</hi> Ha&#x017F;tu<lb/>
mich ver&#x017F;tanden/ mein Chri&#x017F;tliche Seel/ wie &#x017F;chwa&#x0364;r es &#x017F;eye/ auch u&#x0364;ber die<lb/>
o&#x0364;ffentliche Su&#x0364;nden &#x017F;einen Na&#x0364;ch&#x017F;ten richten? Wolan dann/ &#x017F;o ergreiffe nun<lb/>
das zur Hand gebrachte Mittel gegen &#x017F;olches La&#x017F;ter; oder/ wans dir al&#x017F;o<lb/>
gefa&#x0364;llig/ &#x017F;uche dir eins auß den folgenden.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Der dritte Theil.</hi> </head><lb/>
          <p>14. <hi rendition="#in">D</hi>Je&#x017F;es muß uns ebenfals von dem freventlichen Urtheilen ab&#x017F;chre-<lb/>
cken/ wann wir gedencken/ und uns ver&#x017F;icheren; daß GOTT<lb/>
einmahlen einen wu&#x0364;rde la&#x017F;&#x017F;en in eine Su&#x0364;nd fallen/ wann er<lb/>
nicht wu&#x0364;&#x017F;te die&#x017F;en Fall in ein Gutes zu verkehren. Derhalben lehren die<lb/>
Thomi&#x017F;ten/ da &#x017F;ie von der Verordnung oder Ver&#x017F;uchung handlen/ daß die<lb/>
Zula&#x017F;&#x017F;ung der Su&#x0364;nde in den Außerwa&#x0364;hlten &#x017F;eye eine Wirckung oder Auß-<lb/>
gang ihrer Verordnung zum ewigen Leben; dann da &#x017F;ie in vielerley Su&#x0364;n-<lb/>
de fallen/ &#x017F;tehen &#x017F;ie mu&#x0364;tiger und dapfferer auff zu lauffen den Weeg der Voll-<lb/><note place="left"><hi rendition="#aq">Rom. 8. v.</hi> 28.</note>kommenheit/ Laut Zeugnuß deß H. Apo&#x017F;tels Pauli: <hi rendition="#fr">Den jenigen/ &#x017F;o<lb/>
GOtt Lieb haben/ wircken mit alle Ding zum Guten.</hi><lb/>
Hieru&#x0364;ber &#x017F;agen die Dollmet&#x017F;cher der H. Schrifft/ daß unter denen <hi rendition="#fr">allen<lb/>
Dingen/</hi> auch die Su&#x0364;nd begriffen werde. Und der H. Thomas lehret da-<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;ten/ daß die Su&#x0364;nden der Verordneten zur Seeligkeit denen&#x017F;elbigen<lb/>
mitwircken zum Guten. Die&#x017F;es &#x017F;agen ebenfals alle H. H. Va&#x0364;tter; auß<lb/>
denen der H. Augu&#x017F;tinus al&#x017F;o &#x017F;chreibet: Den jenigen/ &#x017F;o GOtt lieb hat/<lb/><note place="left"><hi rendition="#aq">De cor-<lb/>
rept. &amp;<lb/>
grat. c.</hi> 9.</note>mitwircken alle Ding zum Guten; &#x017F;o gar auch alles; daß/ wann einige auß<lb/>
ihnen den Weeg der Gerechtigkeit verf<supplied>e</supplied>hlen und &#x017F;u&#x0364;ndigen/ da&#x017F;&#x017F;elbige &#x017F;ie auch<lb/>
mache zunehmen im Guten/ dann &#x017F;ie werden nach ihrer Wider-Kehr be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
und vor&#x017F;ichtiger. Darzu i&#x017F;t die Zula&#x017F;&#x017F;ung der Su&#x0364;nde von GOtt gewilliget<lb/><note place="left"><hi rendition="#aq">In Enchi.<lb/>
c.</hi> 11.</note>zu einem guten Ende: dieweilen GOtt (wie das gro&#x017F;&#x017F;e Kirchen-Licht Au-<lb/>
gu&#x017F;tinus dagt) indem er unendlich gut i&#x017F;t/ nicht wu&#x0364;rde zula&#x017F;&#x017F;en/ daß etwas<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ubels</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0122] Die Neunte Geiſtliche Lection den; und weil derſelben eine groſſe Anzahl iſt/ derowegen hab ich ſie auff den Rucken geworffen/ damit ich ſie nicht ſehen/ und daruͤber Leyd haben moͤg- te: aber/ die wenige Suͤnden meines Mit-Bruders hab ich vor meine Au- gen gehangen/ und bemuͤhe mich/ wie ich ſelbige doch richten moͤge. Nun aber iſt gewiß/ daß man nicht ſolcher Geſtalt richten muͤſſe; derhalben wirds beſſer ſeyn/ daß ich meine eigene Suͤnden vor mich nehme/ dieſelbe bedencke/ und GOtt bitte/ daß er ſie mir verzeyhe. Da dieſes die andere Einſidler gehoͤrt haben/ iſt dieſe Bekaͤndtnuß von ihnen ſaͤmbtlichen hervorgebrochen: Jn Warheit dieſer iſt der Weeg deß ewigen Heyls. Haſtu mich verſtanden/ mein Chriſtliche Seel/ wie ſchwaͤr es ſeye/ auch uͤber die oͤffentliche Suͤnden ſeinen Naͤchſten richten? Wolan dann/ ſo ergreiffe nun das zur Hand gebrachte Mittel gegen ſolches Laſter; oder/ wans dir alſo gefaͤllig/ ſuche dir eins auß den folgenden. Der dritte Theil. 14. DJeſes muß uns ebenfals von dem freventlichen Urtheilen abſchre- cken/ wann wir gedencken/ und uns verſicheren; daß GOTT einmahlen einen wuͤrde laſſen in eine Suͤnd fallen/ wann er nicht wuͤſte dieſen Fall in ein Gutes zu verkehren. Derhalben lehren die Thomiſten/ da ſie von der Verordnung oder Verſuchung handlen/ daß die Zulaſſung der Suͤnde in den Außerwaͤhlten ſeye eine Wirckung oder Auß- gang ihrer Verordnung zum ewigen Leben; dann da ſie in vielerley Suͤn- de fallen/ ſtehen ſie muͤtiger und dapfferer auff zu lauffen den Weeg der Voll- kommenheit/ Laut Zeugnuß deß H. Apoſtels Pauli: Den jenigen/ ſo GOtt Lieb haben/ wircken mit alle Ding zum Guten. Hieruͤber ſagen die Dollmetſcher der H. Schrifft/ daß unter denen allen Dingen/ auch die Suͤnd begriffen werde. Und der H. Thomas lehret da- ſelbſten/ daß die Suͤnden der Verordneten zur Seeligkeit denenſelbigen mitwircken zum Guten. Dieſes ſagen ebenfals alle H. H. Vaͤtter; auß denen der H. Auguſtinus alſo ſchreibet: Den jenigen/ ſo GOtt lieb hat/ mitwircken alle Ding zum Guten; ſo gar auch alles; daß/ wann einige auß ihnen den Weeg der Gerechtigkeit verfehlen und ſuͤndigen/ daſſelbige ſie auch mache zunehmen im Guten/ dann ſie werden nach ihrer Wider-Kehr beſſer und vorſichtiger. Darzu iſt die Zulaſſung der Suͤnde von GOtt gewilliget zu einem guten Ende: dieweilen GOtt (wie das groſſe Kirchen-Licht Au- guſtinus dagt) indem er unendlich gut iſt/ nicht wuͤrde zulaſſen/ daß etwas Ubels Rom. 8. v. 28. De cor- rept. & grat. c. 9. In Enchi. c. 11.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/122
Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/122>, abgerufen am 20.04.2024.