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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Neunte Geistliche Lection
und sehest/ daß alles in derselben über und über sich lige; so gedencke nicht/
daß dieser oder diese in ihren Wercken nachlässig und unsauber seyen; son-
dern lasse dir vorkommen/ daß selbige glückseelig seyen/ indem sie also in
der innerlichen Anschauung GOttes vertieffet seynd/ daß sie das eusserli-
che nicht achteten. Siehestu aber hingegen/ daß sie in allen ihren Sachen
sein reinlich seynd/ und dieselbe wohl beobachten/ so mache dir das Facit;
dieser Bruder oder Schwester zeigen in ihren eusserlichen Wercken/ daß sie
die innerliche Reinigkeit der Seelen sonderbahr lieben; also kanstu nicht
fehlen. Wie du aber Urtheilen sollest/ wann du einen öffentlich sündigen se-
hest/ daß lerne auß folgendem andern Theil dieser Lection.

Der andere Theil.
Langius
[fn] Poli-
ant. fol.

617.

7.DEr Welt-berühmte Mahler Apelles pflegte seine Kunst-reiche
Mahlereyen vor sein Hauß öffentlich zu stellen/ damit er die Ur-
theilen der vorbeygehenden erfahren mögte. Unter diesen stehet
auch einsmals ein Schuster still/ und beschauet die von Apelle gemachte Ar-
beit; und daß er die übel-entworffene Pantoffelen eines Bildnüß lästeret/
dieses höret der Apelles mit Gedult an; da aber derselbige auch von anderen
Eigenschafften dessen Bildnuß zu urtheilen sich erkühnet; ruffet alsbald
der Mähler zum Fenster hinauß und sagt: Schuster./ Schuster
laß es bey den Coffeln.
Also machts der allgewaltige Werckmeister
und Erschöpffer aller Dinge/ die Göttliche Majestät; Sie formiret vie-
lerley Bildnüssen/ in dem Selbige die Seelen der Menschen erschaffet; so da
seynd Ebenbilde GOttes: diese stellet vor der grosse Künstler auff dem öf-
1. Cor. 4.fentlichen Schau-Platz der Welt; wie der Apostel bezeuget: Wir seynd
zum Schau-Spiel worden der Welt/ den Engelen und
den Menschen.
Diese Bildnussen/ sage ich/ setzet GOtt derhalben
nicht vor unsere Augen/ daß wir selbige urtheilen und tadlen; sondern in An-
sehung deren Jhn loben und preisen sollen. Derowegen lasset uns behut-
samb seyn/ und an diesen Bildern nicht schmähen daß jenige/ so uns nicht
angehet/ wann wir nicht mit obgemeldtem Schuster wollen bestraffet und
schamroth gemacht werden. Solte nun einer sagen/ er urtheile nicht das jenige/
so wohl gemacht/ und gut zu seyn scheinet; sondern dasjenige allein/ dessen man
versichert ist/ daß es GOtt mißfalle: selbiger solle wissen/ daß auch sotha-
nes Urtheil nicht zulässig seye; darumb wird solchen durch den Heil. Apostel

Pau-

Die Neunte Geiſtliche Lection
und ſeheſt/ daß alles in derſelben uͤber und uͤber ſich lige; ſo gedencke nicht/
daß dieſer oder dieſe in ihren Wercken nachlaͤſſig und unſauber ſeyen; ſon-
dern laſſe dir vorkommen/ daß ſelbige gluͤckſeelig ſeyen/ indem ſie alſo in
der innerlichen Anſchauung GOttes vertieffet ſeynd/ daß ſie das euſſerli-
che nicht achteten. Sieheſtu aber hingegen/ daß ſie in allen ihren Sachen
ſein reinlich ſeynd/ und dieſelbe wohl beobachten/ ſo mache dir das Facit;
dieſer Bruder oder Schweſter zeigen in ihren euſſerlichen Wercken/ daß ſie
die innerliche Reinigkeit der Seelen ſonderbahr lieben; alſo kanſtu nicht
fehlen. Wie du aber Urtheilen ſolleſt/ wann du einen oͤffentlich ſuͤndigen ſe-
heſt/ daß lerne auß folgendem andern Theil dieſer Lection.

Der andere Theil.
Langius
[fn] Poli-
ant. fol.

617.

7.DEr Welt-beruͤhmte Mahler Apelles pflegte ſeine Kunſt-reiche
Mahlereyen vor ſein Hauß oͤffentlich zu ſtellen/ damit er die Ur-
theilen der vorbeygehenden erfahren moͤgte. Unter dieſen ſtehet
auch einsmals ein Schuſter ſtill/ und beſchauet die von Apelle gemachte Ar-
beit; und daß er die uͤbel-entworffene Pantoffelen eines Bildnuͤß laͤſteret/
dieſes hoͤret der Apelles mit Gedult an; da aber derſelbige auch von anderen
Eigenſchafften deſſen Bildnuß zu urtheilen ſich erkuͤhnet; ruffet alsbald
der Maͤhler zum Fenſter hinauß und ſagt: Schuſter./ Schuſter
laß es bey den Coffeln.
Alſo machts der allgewaltige Werckmeiſter
und Erſchoͤpffer aller Dinge/ die Goͤttliche Majeſtaͤt; Sie formiret vie-
lerley Bildnuͤſſen/ in dem Selbige die Seelen der Menſchen erſchaffet; ſo da
ſeynd Ebenbilde GOttes: dieſe ſtellet vor der groſſe Kuͤnſtler auff dem oͤf-
1. Cor. 4.fentlichen Schau-Platz der Welt; wie der Apoſtel bezeuget: Wir ſeynd
zum Schau-Spiel worden der Welt/ den Engelen und
den Menſchen.
Dieſe Bildnuſſen/ ſage ich/ ſetzet GOtt derhalben
nicht vor unſere Augen/ daß wir ſelbige urtheilen und tadlen; ſondern in An-
ſehung deren Jhn loben und preiſen ſollen. Derowegen laſſet uns behut-
ſamb ſeyn/ und an dieſen Bildern nicht ſchmaͤhen daß jenige/ ſo uns nicht
angehet/ wann wir nicht mit obgemeldtem Schuſter wollen beſtraffet und
ſchamroth gemacht werden. Solte nun einer ſagen/ er urtheile nicht das jenige/
ſo wohl gemacht/ und gut zu ſeyn ſcheinet; ſondern dasjenige allein/ deſſen man
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nes Urtheil nicht zulaͤſſig ſeye; darumb wird ſolchen durch den Heil. Apoſtel

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[88/0116] Die Neunte Geiſtliche Lection und ſeheſt/ daß alles in derſelben uͤber und uͤber ſich lige; ſo gedencke nicht/ daß dieſer oder dieſe in ihren Wercken nachlaͤſſig und unſauber ſeyen; ſon- dern laſſe dir vorkommen/ daß ſelbige gluͤckſeelig ſeyen/ indem ſie alſo in der innerlichen Anſchauung GOttes vertieffet ſeynd/ daß ſie das euſſerli- che nicht achteten. Sieheſtu aber hingegen/ daß ſie in allen ihren Sachen ſein reinlich ſeynd/ und dieſelbe wohl beobachten/ ſo mache dir das Facit; dieſer Bruder oder Schweſter zeigen in ihren euſſerlichen Wercken/ daß ſie die innerliche Reinigkeit der Seelen ſonderbahr lieben; alſo kanſtu nicht fehlen. Wie du aber Urtheilen ſolleſt/ wann du einen oͤffentlich ſuͤndigen ſe- heſt/ daß lerne auß folgendem andern Theil dieſer Lection. Der andere Theil. 7.DEr Welt-beruͤhmte Mahler Apelles pflegte ſeine Kunſt-reiche Mahlereyen vor ſein Hauß oͤffentlich zu ſtellen/ damit er die Ur- theilen der vorbeygehenden erfahren moͤgte. Unter dieſen ſtehet auch einsmals ein Schuſter ſtill/ und beſchauet die von Apelle gemachte Ar- beit; und daß er die uͤbel-entworffene Pantoffelen eines Bildnuͤß laͤſteret/ dieſes hoͤret der Apelles mit Gedult an; da aber derſelbige auch von anderen Eigenſchafften deſſen Bildnuß zu urtheilen ſich erkuͤhnet; ruffet alsbald der Maͤhler zum Fenſter hinauß und ſagt: Schuſter./ Schuſter laß es bey den Coffeln. Alſo machts der allgewaltige Werckmeiſter und Erſchoͤpffer aller Dinge/ die Goͤttliche Majeſtaͤt; Sie formiret vie- lerley Bildnuͤſſen/ in dem Selbige die Seelen der Menſchen erſchaffet; ſo da ſeynd Ebenbilde GOttes: dieſe ſtellet vor der groſſe Kuͤnſtler auff dem oͤf- fentlichen Schau-Platz der Welt; wie der Apoſtel bezeuget: Wir ſeynd zum Schau-Spiel worden der Welt/ den Engelen und den Menſchen. Dieſe Bildnuſſen/ ſage ich/ ſetzet GOtt derhalben nicht vor unſere Augen/ daß wir ſelbige urtheilen und tadlen; ſondern in An- ſehung deren Jhn loben und preiſen ſollen. Derowegen laſſet uns behut- ſamb ſeyn/ und an dieſen Bildern nicht ſchmaͤhen daß jenige/ ſo uns nicht angehet/ wann wir nicht mit obgemeldtem Schuſter wollen beſtraffet und ſchamroth gemacht werden. Solte nun einer ſagen/ er urtheile nicht das jenige/ ſo wohl gemacht/ und gut zu ſeyn ſcheinet; ſondern dasjenige allein/ deſſen man verſichert iſt/ daß es GOtt mißfalle: ſelbiger ſolle wiſſen/ daß auch ſotha- nes Urtheil nicht zulaͤſſig ſeye; darumb wird ſolchen durch den Heil. Apoſtel Pau- 1. Cor. 4.

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/116>, abgerufen am 27.11.2024.