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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Von dem freventlichen Vrtheil.
löbliches Werck der Gerechtigkeit und Liebe: dahero wohl zu mercken ist/
daß alsdann ein freventliches Urtheil zu nennen seye/ wanu nemblich nicht
nach dem Gesetz der gewissen Vernunfft; sondern auß unordentlicher Nei-
gung und verdorbener Betriegung deß Gemüts der neben-Mensch gerichtet
wird: nachdem wir nun dieses wohl verstanden haben/ ist nöthig/ dieses La-
sters Wirckungen zu erforschen/ welche/ ob zwar vielfältig seynd/ so wollen
wir doch selbige in dreyerley Gattung vertheilen; deren die erste ist; wann
man nemblich von eines andern guten und zumahlen tugentsamen Werck ein
unrechtes Urtheil fählet: die andere ist/ wann man ein Sach/ die in sich we-
der gut/ weder böß ist/ urtheilet/ daß sie auß böser Meinung geschehen seye:
die dritte und letzte Gattung ist/ wann man seinen Nechsten/ der da öffent-
lich sündiget/ ohne darzu habende Gewalt urtheilet.

2. Auff daß wir nun vom letzten zum ersten widerkehren/ ist zu wissen/ daß
das jenige Urtheil/ Krafft dessen wir das gute urtheilen/ als ob es böß seye/ von
dem Allmächtigen sehr gehasset und gestraffet werde; derhalben drewet der-
selbe billig den jenigen durch den Propheten Jsaiam: Weh euch/ die ihr5. v. 20.
das böse gut/ und das gute böß nennet/ die ihr Finsternuß
fur Liecht/ und Liecht fur Finsternuß haltet:
Solche Richter
seynd vorzeiten gewesen die Juden/ denen CHristus sagt: Joannes der
Täuffer ist kommen/ und hat weder Brod geffen/ noch
Wein getruncken/ so saget ihr er hat den Ceuffel: des Men-
schen Sohn ist kommen/ der isset und trincket: so sagt ihr/
siehe/ dieser Mensch ist ein Fresser und Wein-Säuffer/ ein
Freund der Zöllner und Sünder:
diesen übel wollenden Hebreeren
mögen wohl verglichen werden die jenige Christglaubige und Geistliche; vonIn Mo-
ral.

denen der H. Gregorius also schreibet: einige seynd/ die von allen Menschen
übel urtheilen: dann wann sie einen sehen/ der sich der Demuth befleisset/ so
sagen sie/ er ist ein Gleißner: nimbt er an die ordentliche Ergötzlichkeit/ so heist
er ein Fresser; ist er gedüldig/ so muß er ein verzagter Haaß seyn: liebt er die
Gerechtigkeit/ so schreyet man ihn für einen Ungeduldigen Menschen auß:
liebet er die Einfalt/ so wird er für einen Narren gehalten: ist er klug/ so muß
er listig seyn: sichet man an ihm die Eingezogenheit/ und höret weniges Re-
den: so wird er für einen sotten Menschen gehalten: ist er lustig und sröhlig/ so
heist er außgelassen: haltet er seine Reguln und Satzungen genau und fleissig/
so klagt man über ihn/ daß er ein besonder Heylig seye/ und wird derhalben ge-
hasset: liebet er ehrliche Gesellschafft/ so muß er hören/ er seye mehr welt- als
geistlich: ist er verschwiegen/ und ist friedsam/ so ist er doppel von Hertzen; will
er andere besseren/ dz nennet man eine Vermessenheit: wacht und bettet er was

mehr
L 2

Von dem freventlichen Vrtheil.
loͤbliches Werck der Gerechtigkeit und Liebe: dahero wohl zu mercken iſt/
daß alsdann ein freventliches Urtheil zu nennen ſeye/ wanu nemblich nicht
nach dem Geſetz der gewiſſen Vernunfft; ſondern auß unordentlicher Nei-
gung und verdorbener Betriegung deß Gemuͤts der neben-Menſch gerichtet
wird: nachdem wir nun dieſes wohl verſtanden haben/ iſt noͤthig/ dieſes La-
ſters Wirckungen zu erforſchen/ welche/ ob zwar vielfaͤltig ſeynd/ ſo wollen
wir doch ſelbige in dreyerley Gattung vertheilen; deren die erſte iſt; wann
man nemblich von eines andern guten und zumahlen tugentſamen Werck ein
unrechtes Urtheil faͤhlet: die andere iſt/ wann man ein Sach/ die in ſich we-
der gut/ weder boͤß iſt/ urtheilet/ daß ſie auß boͤſer Meinung geſchehen ſeye:
die dritte und letzte Gattung iſt/ wann man ſeinen Nechſten/ der da oͤffent-
lich ſuͤndiget/ ohne darzu habende Gewalt urtheilet.

2. Auff daß wir nun vom letzten zum erſten widerkehren/ iſt zu wiſſen/ daß
das jenige Urtheil/ Krafft deſſen wir das gute urtheilen/ als ob es boͤß ſeye/ von
dem Allmaͤchtigen ſehr gehaſſet und geſtraffet werde; derhalben drewet der-
ſelbe billig den jenigen durch den Propheten Jſaiam: Weh euch/ die ihr5. v. 20.
das boͤſe gut/ und das gute boͤß nennet/ die ihr Finſternuß
fůr Liecht/ und Liecht fůr Finſternuß haltet:
Solche Richter
ſeynd vorzeiten geweſen die Juden/ denen CHriſtus ſagt: Joannes der
Taͤuffer iſt kommen/ und hat weder Brod geffen/ noch
Wein getruncken/ ſo ſaget ihr er hat den Ceuffel: des Men-
ſchen Sohn iſt kommen/ der iſſet und trincket: ſo ſagt ihr/
ſiehe/ dieſer Menſch iſt ein Freſſer und Wein-Saͤuffer/ ein
Freund der Zoͤllner und Suͤnder:
dieſen uͤbel wollenden Hebreeren
moͤgen wohl verglichen werden die jenige Chriſtglaubige und Geiſtliche; vonIn Mo-
ral.

denen der H. Gregorius alſo ſchreibet: einige ſeynd/ die von allen Menſchen
uͤbel urtheilen: dann wann ſie einen ſehen/ der ſich der Demuth befleiſſet/ ſo
ſagen ſie/ er iſt ein Gleißner: nimbt er an die ordentliche Ergoͤtzlichkeit/ ſo heiſt
er ein Freſſer; iſt er geduͤldig/ ſo muß er ein verzagter Haaß ſeyn: liebt er die
Gerechtigkeit/ ſo ſchreyet man ihn fuͤr einen Ungeduldigen Menſchen auß:
liebet er die Einfalt/ ſo wird er fuͤr einen Narren gehalten: iſt er klug/ ſo muß
er liſtig ſeyn: ſichet man an ihm die Eingezogenheit/ und hoͤret weniges Re-
den: ſo wird er fuͤr einen ſotten Menſchen gehalten: iſt er luſtig und ſroͤhlig/ ſo
heiſt er außgelaſſen: haltet er ſeine Reguln und Satzungen genau und fleiſſig/
ſo klagt man uͤber ihn/ daß er ein beſonder Heylig ſeye/ und wird derhalben ge-
haſſet: liebet er ehrliche Geſellſchafft/ ſo muß er hoͤren/ er ſeye mehr welt- als
geiſtlich: iſt er verſchwiegen/ und iſt friedſam/ ſo iſt er doppel von Hertzen; will
er andere beſſeren/ dz nennet man eine Vermeſſenheit: wacht und bettet er was

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[83/0111] Von dem freventlichen Vrtheil. loͤbliches Werck der Gerechtigkeit und Liebe: dahero wohl zu mercken iſt/ daß alsdann ein freventliches Urtheil zu nennen ſeye/ wanu nemblich nicht nach dem Geſetz der gewiſſen Vernunfft; ſondern auß unordentlicher Nei- gung und verdorbener Betriegung deß Gemuͤts der neben-Menſch gerichtet wird: nachdem wir nun dieſes wohl verſtanden haben/ iſt noͤthig/ dieſes La- ſters Wirckungen zu erforſchen/ welche/ ob zwar vielfaͤltig ſeynd/ ſo wollen wir doch ſelbige in dreyerley Gattung vertheilen; deren die erſte iſt; wann man nemblich von eines andern guten und zumahlen tugentſamen Werck ein unrechtes Urtheil faͤhlet: die andere iſt/ wann man ein Sach/ die in ſich we- der gut/ weder boͤß iſt/ urtheilet/ daß ſie auß boͤſer Meinung geſchehen ſeye: die dritte und letzte Gattung iſt/ wann man ſeinen Nechſten/ der da oͤffent- lich ſuͤndiget/ ohne darzu habende Gewalt urtheilet. 2. Auff daß wir nun vom letzten zum erſten widerkehren/ iſt zu wiſſen/ daß das jenige Urtheil/ Krafft deſſen wir das gute urtheilen/ als ob es boͤß ſeye/ von dem Allmaͤchtigen ſehr gehaſſet und geſtraffet werde; derhalben drewet der- ſelbe billig den jenigen durch den Propheten Jſaiam: Weh euch/ die ihr das boͤſe gut/ und das gute boͤß nennet/ die ihr Finſternuß fůr Liecht/ und Liecht fůr Finſternuß haltet: Solche Richter ſeynd vorzeiten geweſen die Juden/ denen CHriſtus ſagt: Joannes der Taͤuffer iſt kommen/ und hat weder Brod geffen/ noch Wein getruncken/ ſo ſaget ihr er hat den Ceuffel: des Men- ſchen Sohn iſt kommen/ der iſſet und trincket: ſo ſagt ihr/ ſiehe/ dieſer Menſch iſt ein Freſſer und Wein-Saͤuffer/ ein Freund der Zoͤllner und Suͤnder: dieſen uͤbel wollenden Hebreeren moͤgen wohl verglichen werden die jenige Chriſtglaubige und Geiſtliche; von denen der H. Gregorius alſo ſchreibet: einige ſeynd/ die von allen Menſchen uͤbel urtheilen: dann wann ſie einen ſehen/ der ſich der Demuth befleiſſet/ ſo ſagen ſie/ er iſt ein Gleißner: nimbt er an die ordentliche Ergoͤtzlichkeit/ ſo heiſt er ein Freſſer; iſt er geduͤldig/ ſo muß er ein verzagter Haaß ſeyn: liebt er die Gerechtigkeit/ ſo ſchreyet man ihn fuͤr einen Ungeduldigen Menſchen auß: liebet er die Einfalt/ ſo wird er fuͤr einen Narren gehalten: iſt er klug/ ſo muß er liſtig ſeyn: ſichet man an ihm die Eingezogenheit/ und hoͤret weniges Re- den: ſo wird er fuͤr einen ſotten Menſchen gehalten: iſt er luſtig und ſroͤhlig/ ſo heiſt er außgelaſſen: haltet er ſeine Reguln und Satzungen genau und fleiſſig/ ſo klagt man uͤber ihn/ daß er ein beſonder Heylig ſeye/ und wird derhalben ge- haſſet: liebet er ehrliche Geſellſchafft/ ſo muß er hoͤren/ er ſeye mehr welt- als geiſtlich: iſt er verſchwiegen/ und iſt friedſam/ ſo iſt er doppel von Hertzen; will er andere beſſeren/ dz nennet man eine Vermeſſenheit: wacht und bettet er was mehr 5. v. 20. In Mo- ral. L 2

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/111>, abgerufen am 23.11.2024.