Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.Von dem freventlichen Vrtheil. löbliches Werck der Gerechtigkeit und Liebe: dahero wohl zu mercken ist/daß alsdann ein freventliches Urtheil zu nennen seye/ wanu nemblich nicht nach dem Gesetz der gewissen Vernunfft; sondern auß unordentlicher Nei- gung und verdorbener Betriegung deß Gemüts der neben-Mensch gerichtet wird: nachdem wir nun dieses wohl verstanden haben/ ist nöthig/ dieses La- sters Wirckungen zu erforschen/ welche/ ob zwar vielfältig seynd/ so wollen wir doch selbige in dreyerley Gattung vertheilen; deren die erste ist; wann man nemblich von eines andern guten und zumahlen tugentsamen Werck ein unrechtes Urtheil fählet: die andere ist/ wann man ein Sach/ die in sich we- der gut/ weder böß ist/ urtheilet/ daß sie auß böser Meinung geschehen seye: die dritte und letzte Gattung ist/ wann man seinen Nechsten/ der da öffent- lich sündiget/ ohne darzu habende Gewalt urtheilet. 2. Auff daß wir nun vom letzten zum ersten widerkehren/ ist zu wissen/ daß mehr L 2
Von dem freventlichen Vrtheil. loͤbliches Werck der Gerechtigkeit und Liebe: dahero wohl zu mercken iſt/daß alsdann ein freventliches Urtheil zu nennen ſeye/ wanu nemblich nicht nach dem Geſetz der gewiſſen Vernunfft; ſondern auß unordentlicher Nei- gung und verdorbener Betriegung deß Gemuͤts der neben-Menſch gerichtet wird: nachdem wir nun dieſes wohl verſtanden haben/ iſt noͤthig/ dieſes La- ſters Wirckungen zu erforſchen/ welche/ ob zwar vielfaͤltig ſeynd/ ſo wollen wir doch ſelbige in dreyerley Gattung vertheilen; deren die erſte iſt; wann man nemblich von eines andern guten und zumahlen tugentſamen Werck ein unrechtes Urtheil faͤhlet: die andere iſt/ wann man ein Sach/ die in ſich we- der gut/ weder boͤß iſt/ urtheilet/ daß ſie auß boͤſer Meinung geſchehen ſeye: die dritte und letzte Gattung iſt/ wann man ſeinen Nechſten/ der da oͤffent- lich ſuͤndiget/ ohne darzu habende Gewalt urtheilet. 2. Auff daß wir nun vom letzten zum erſten widerkehren/ iſt zu wiſſen/ daß mehr L 2
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Von dem freventlichen Vrtheil.
loͤbliches Werck der Gerechtigkeit und Liebe: dahero wohl zu mercken iſt/
daß alsdann ein freventliches Urtheil zu nennen ſeye/ wanu nemblich nicht
nach dem Geſetz der gewiſſen Vernunfft; ſondern auß unordentlicher Nei-
gung und verdorbener Betriegung deß Gemuͤts der neben-Menſch gerichtet
wird: nachdem wir nun dieſes wohl verſtanden haben/ iſt noͤthig/ dieſes La-
ſters Wirckungen zu erforſchen/ welche/ ob zwar vielfaͤltig ſeynd/ ſo wollen
wir doch ſelbige in dreyerley Gattung vertheilen; deren die erſte iſt; wann
man nemblich von eines andern guten und zumahlen tugentſamen Werck ein
unrechtes Urtheil faͤhlet: die andere iſt/ wann man ein Sach/ die in ſich we-
der gut/ weder boͤß iſt/ urtheilet/ daß ſie auß boͤſer Meinung geſchehen ſeye:
die dritte und letzte Gattung iſt/ wann man ſeinen Nechſten/ der da oͤffent-
lich ſuͤndiget/ ohne darzu habende Gewalt urtheilet.
2. Auff daß wir nun vom letzten zum erſten widerkehren/ iſt zu wiſſen/ daß
das jenige Urtheil/ Krafft deſſen wir das gute urtheilen/ als ob es boͤß ſeye/ von
dem Allmaͤchtigen ſehr gehaſſet und geſtraffet werde; derhalben drewet der-
ſelbe billig den jenigen durch den Propheten Jſaiam: Weh euch/ die ihr
das boͤſe gut/ und das gute boͤß nennet/ die ihr Finſternuß
fůr Liecht/ und Liecht fůr Finſternuß haltet: Solche Richter
ſeynd vorzeiten geweſen die Juden/ denen CHriſtus ſagt: Joannes der
Taͤuffer iſt kommen/ und hat weder Brod geffen/ noch
Wein getruncken/ ſo ſaget ihr er hat den Ceuffel: des Men-
ſchen Sohn iſt kommen/ der iſſet und trincket: ſo ſagt ihr/
ſiehe/ dieſer Menſch iſt ein Freſſer und Wein-Saͤuffer/ ein
Freund der Zoͤllner und Suͤnder: dieſen uͤbel wollenden Hebreeren
moͤgen wohl verglichen werden die jenige Chriſtglaubige und Geiſtliche; von
denen der H. Gregorius alſo ſchreibet: einige ſeynd/ die von allen Menſchen
uͤbel urtheilen: dann wann ſie einen ſehen/ der ſich der Demuth befleiſſet/ ſo
ſagen ſie/ er iſt ein Gleißner: nimbt er an die ordentliche Ergoͤtzlichkeit/ ſo heiſt
er ein Freſſer; iſt er geduͤldig/ ſo muß er ein verzagter Haaß ſeyn: liebt er die
Gerechtigkeit/ ſo ſchreyet man ihn fuͤr einen Ungeduldigen Menſchen auß:
liebet er die Einfalt/ ſo wird er fuͤr einen Narren gehalten: iſt er klug/ ſo muß
er liſtig ſeyn: ſichet man an ihm die Eingezogenheit/ und hoͤret weniges Re-
den: ſo wird er fuͤr einen ſotten Menſchen gehalten: iſt er luſtig und ſroͤhlig/ ſo
heiſt er außgelaſſen: haltet er ſeine Reguln und Satzungen genau und fleiſſig/
ſo klagt man uͤber ihn/ daß er ein beſonder Heylig ſeye/ und wird derhalben ge-
haſſet: liebet er ehrliche Geſellſchafft/ ſo muß er hoͤren/ er ſeye mehr welt- als
geiſtlich: iſt er verſchwiegen/ und iſt friedſam/ ſo iſt er doppel von Hertzen; will
er andere beſſeren/ dz nennet man eine Vermeſſenheit: wacht und bettet er was
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5. v. 20.
In Mo-
ral.
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