Man weiß, daß manche immer an den Geheimnis- sen der christlichen Religion anstossen, und den Wunsch hören lassen, daß uns der Erlöser diese schwere, und dem Menschenverstand unbegreifliche Sätze nicht aufgedrungen hätte. Sollen wir diesen Tadlern nicht antworten: Jhr wisset nicht, was ihr verlangt? Was euch ein Einwurf zu seyn scheint, das dient gerade zu un- srer Ueberzeugung, und befestigt uns im Glauben. Was ist eine Offenbarung, die uns nichts Neues sagt, nichts weiter zu unsern Kenntnissen hinzusetzt? Wozu brauchen wir sie, wenn sie uns nichts lehren soll, als was die Ver- nunft in den hellsten Köpfen selber erfinden konnte? Jst es nicht ein Beweis mehr für die Wahrheit der Offen- barung, daß sie uns Dinge predigt, die unsre Begriffe übersteigen, und den engen Geist hinter sich zurücklassen? Jst es nicht ein verwegner Stolz, wenn wir glauben, daß wir mit unserm Tropfen Kraft den ganzen Zusammen- hang aller Wahrheiten übersehn, und alles auf unsre gewöhnte Grundsätze zurückführen können? Wir, die wir unter hunderttausend möglichen Wegen nur einen haben, zur Kenntniß von andern Dingen zu gelangen? Wir, die wir überall mit groben Körpern umgeben sind, und nur zur Hälfte in die Geisterwelt gehören? Wir, die wir uns Gott, seine unsichtbare Natur, und seine allmächtige Kraft nur aus den Werken vorstellen können? Wir, die wir heute lernen, und morgen vergessen? Wir, die wir durch ein vollgestopstes Gefäß, und durch einen verdick- ten oder verdorbenen Saft im Körper so zurückgeworfen werden können, daß wir nichts mehr denken, nichts ein- sehen, nichts prüfen und unterscheiden können! Kann der Schöpfer unserm Herzen Befehle geben, wie können
wir
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Vorurtheile in der Religion.
Man weiß, daß manche immer an den Geheimniſ- ſen der chriſtlichen Religion anſtoſſen, und den Wunſch hören laſſen, daß uns der Erlöſer dieſe ſchwere, und dem Menſchenverſtand unbegreifliche Sätze nicht aufgedrungen hätte. Sollen wir dieſen Tadlern nicht antworten: Jhr wiſſet nicht, was ihr verlangt? Was euch ein Einwurf zu ſeyn ſcheint, das dient gerade zu un- ſrer Ueberzeugung, und befeſtigt uns im Glauben. Was iſt eine Offenbarung, die uns nichts Neues ſagt, nichts weiter zu unſern Kenntniſſen hinzuſetzt? Wozu brauchen wir ſie, wenn ſie uns nichts lehren ſoll, als was die Ver- nunft in den hellſten Köpfen ſelber erfinden konnte? Jſt es nicht ein Beweis mehr für die Wahrheit der Offen- barung, daß ſie uns Dinge predigt, die unſre Begriffe überſteigen, und den engen Geiſt hinter ſich zurücklaſſen? Jſt es nicht ein verwegner Stolz, wenn wir glauben, daß wir mit unſerm Tropfen Kraft den ganzen Zuſammen- hang aller Wahrheiten überſehn, und alles auf unſre gewöhnte Grundſätze zurückführen können? Wir, die wir unter hunderttauſend möglichen Wegen nur einen haben, zur Kenntniß von andern Dingen zu gelangen? Wir, die wir überall mit groben Körpern umgeben ſind, und nur zur Hälfte in die Geiſterwelt gehören? Wir, die wir uns Gott, ſeine unſichtbare Natur, und ſeine allmächtige Kraft nur aus den Werken vorſtellen können? Wir, die wir heute lernen, und morgen vergeſſen? Wir, die wir durch ein vollgeſtopſtes Gefäß, und durch einen verdick- ten oder verdorbenen Saft im Körper ſo zurückgeworfen werden können, daß wir nichts mehr denken, nichts ein- ſehen, nichts prüfen und unterſcheiden können! Kann der Schöpfer unſerm Herzen Befehle geben, wie können
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Vorurtheile in der Religion.
Man weiß, daß manche immer an den Geheimniſ-
ſen der chriſtlichen Religion anſtoſſen, und den
Wunſch hören laſſen, daß uns der Erlöſer dieſe ſchwere,
und dem Menſchenverſtand unbegreifliche Sätze nicht
aufgedrungen hätte. Sollen wir dieſen Tadlern nicht
antworten: Jhr wiſſet nicht, was ihr verlangt? Was
euch ein Einwurf zu ſeyn ſcheint, das dient gerade zu un-
ſrer Ueberzeugung, und befeſtigt uns im Glauben. Was
iſt eine Offenbarung, die uns nichts Neues ſagt, nichts
weiter zu unſern Kenntniſſen hinzuſetzt? Wozu brauchen
wir ſie, wenn ſie uns nichts lehren ſoll, als was die Ver-
nunft in den hellſten Köpfen ſelber erfinden konnte? Jſt
es nicht ein Beweis mehr für die Wahrheit der Offen-
barung, daß ſie uns Dinge predigt, die unſre Begriffe
überſteigen, und den engen Geiſt hinter ſich zurücklaſſen?
Jſt es nicht ein verwegner Stolz, wenn wir glauben, daß
wir mit unſerm Tropfen Kraft den ganzen Zuſammen-
hang aller Wahrheiten überſehn, und alles auf unſre
gewöhnte Grundſätze zurückführen können? Wir, die wir
unter hunderttauſend möglichen Wegen nur einen haben,
zur Kenntniß von andern Dingen zu gelangen? Wir,
die wir überall mit groben Körpern umgeben ſind, und
nur zur Hälfte in die Geiſterwelt gehören? Wir, die wir
uns Gott, ſeine unſichtbare Natur, und ſeine allmächtige
Kraft nur aus den Werken vorſtellen können? Wir, die
wir heute lernen, und morgen vergeſſen? Wir, die wir
durch ein vollgeſtopſtes Gefäß, und durch einen verdick-
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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/121>, abgerufen am 24.06.2024.
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