Wenn also die Lehre Jesu ChristiWiderlegung einzelner Vor- urtheile in der Religion. es ausser Zweifel setzt, daß wahre innre Heiligkeit aller Gedanken und Empfin- dungen, und durchgängige Rechtschaffenheit des Lebens der einzige Charakter des Christen ist, ist es denn nun nicht thöricht, wenn wir durch unsre Einbildungen diese Wahrheit umstoßen wollen? Wenn wir uns wiegen und wägen lassen, wie das Rohr am Strom, von al- lerley windigen Lehren? (Ephes. 4, 14.) Sollte uns nicht vielmehr jede Weisung der Vernunft heilig, und jede Anleitung, die die Offenbarung giebt, willkommen seyn? Sollte nicht gewissenhafte Aufmerksamkeit auf alle, auch auf die kleinsten und verborgensten Handlungen un- ser tägliches Geschäft seyn? Wie viel Ruhe hoffen wir wohl zu gewinnen, wenn uns jede Tändeley lieber ist, als der Fleiß, den wir auf unsre innre Gesinnung, auf die Lau- terkeit und Reinigkeit unsers Herzens wenden sollen? Die Schrift sagt: fürchte Gott, und halte seine Ge- bote, das ist die Pflicht aller Menschen. (Predig. Sal. 12, 13.) Freue dich Jüngling in deiner Ju- gend, aber wisse, daß dich Gott um das alles vor Gericht bringen wird. (Predig. Sal. 12, 1.) Aber ewiger Gott! wie wenig Mühe kostet es manchen, das Gewissen zu besiegen! Wie geschwind schweigt bey man- chem die warnende Stimme der Gottheit in der Brust! Wie viele haben schon in jungen Jahren die unglückliche Kunst gelernk, in jede Sünde einzuwilligen, sich mit ei- nem falschen Gepränge von Edelmüthigkeit und Men- schenliebe zu schmücken, und sich der Welt nie anders, als hinter einer glänzenden Larve zu zeigen! Denkt euch die Tausende von Menschen, die das Gift der Wollust im
Herzen
G 4
Vorurtheile in der Religion.
Wenn alſo die Lehre Jeſu ChriſtiWiderlegung einzelner Vor- urtheile in der Religion. es auſſer Zweifel ſetzt, daß wahre innre Heiligkeit aller Gedanken und Empfin- dungen, und durchgängige Rechtſchaffenheit des Lebens der einzige Charakter des Chriſten iſt, iſt es denn nun nicht thöricht, wenn wir durch unſre Einbildungen dieſe Wahrheit umſtoßen wollen? Wenn wir uns wiegen und wägen laſſen, wie das Rohr am Strom, von al- lerley windigen Lehren? (Epheſ. 4, 14.) Sollte uns nicht vielmehr jede Weiſung der Vernunft heilig, und jede Anleitung, die die Offenbarung giebt, willkommen ſeyn? Sollte nicht gewiſſenhafte Aufmerkſamkeit auf alle, auch auf die kleinſten und verborgenſten Handlungen un- ſer tägliches Geſchäft ſeyn? Wie viel Ruhe hoffen wir wohl zu gewinnen, wenn uns jede Tändeley lieber iſt, als der Fleiß, den wir auf unſre innre Geſinnung, auf die Lau- terkeit und Reinigkeit unſers Herzens wenden ſollen? Die Schrift ſagt: fürchte Gott, und halte ſeine Ge- bote, das iſt die Pflicht aller Menſchen. (Predig. Sal. 12, 13.) Freue dich Jüngling in deiner Ju- gend, aber wiſſe, daß dich Gott um das alles vor Gericht bringen wird. (Predig. Sal. 12, 1.) Aber ewiger Gott! wie wenig Mühe koſtet es manchen, das Gewiſſen zu beſiegen! Wie geſchwind ſchweigt bey man- chem die warnende Stimme der Gottheit in der Bruſt! Wie viele haben ſchon in jungen Jahren die unglückliche Kunſt gelernk, in jede Sünde einzuwilligen, ſich mit ei- nem falſchen Gepränge von Edelmüthigkeit und Men- ſchenliebe zu ſchmücken, und ſich der Welt nie anders, als hinter einer glänzenden Larve zu zeigen! Denkt euch die Tauſende von Menſchen, die das Gift der Wolluſt im
Herzen
G 4
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Vorurtheile in der Religion.
Wenn alſo die Lehre Jeſu Chriſti
es auſſer Zweifel ſetzt, daß wahre innre
Heiligkeit aller Gedanken und Empfin-
dungen, und durchgängige Rechtſchaffenheit des Lebens
der einzige Charakter des Chriſten iſt, iſt es denn nun
nicht thöricht, wenn wir durch unſre Einbildungen dieſe
Wahrheit umſtoßen wollen? Wenn wir uns wiegen
und wägen laſſen, wie das Rohr am Strom, von al-
lerley windigen Lehren? (Epheſ. 4, 14.) Sollte uns
nicht vielmehr jede Weiſung der Vernunft heilig, und
jede Anleitung, die die Offenbarung giebt, willkommen
ſeyn? Sollte nicht gewiſſenhafte Aufmerkſamkeit auf alle,
auch auf die kleinſten und verborgenſten Handlungen un-
ſer tägliches Geſchäft ſeyn? Wie viel Ruhe hoffen wir
wohl zu gewinnen, wenn uns jede Tändeley lieber iſt, als
der Fleiß, den wir auf unſre innre Geſinnung, auf die Lau-
terkeit und Reinigkeit unſers Herzens wenden ſollen?
Die Schrift ſagt: fürchte Gott, und halte ſeine Ge-
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Gericht bringen wird. (Predig. Sal. 12, 1.) Aber
ewiger Gott! wie wenig Mühe koſtet es manchen, das
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chem die warnende Stimme der Gottheit in der Bruſt!
Wie viele haben ſchon in jungen Jahren die unglückliche
Kunſt gelernk, in jede Sünde einzuwilligen, ſich mit ei-
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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/109>, abgerufen am 24.06.2024.
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