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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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einen Stift von Eisendrath, etwas dicker gemeiniglich,
als eine starke Strickenadel; auf die aussen hervorstehende
Spitze des Eisens steckt er Eine Granate, denn mehrere
zugleich kan er nicht schleifen; damit sie nicht wieder her-
abfalle, drückt er die in ihrer gebohrten Höhlung aufge-
steckte Granate in einem Stück gelben Leders, das er
neben sich liegen hat, fest, legt sich nun auf seinen Stuhl
und schleift. Die Sandsteine werden auf der Achse hie-
her gebracht von Heimbach und Tennenbach in der
Marggrafschaft Hachberg. Einer kan 24. auch 26.
Gulden kosten, und wenn die Schleismühle nicht oft stil-
le steht, währt er doch kaum ein Jahr. Man kan nie
mehr als 4. Sandsteine neben einander stellen, und mit
einander herum laufen lassen, well sonst ein Arbeiter dem
andern im Lichte stünde, und helle muß es bei dieser Ar-
beit seyn. Als ich mich darüber wunderte, warum man
nicht lieber einige grosse Gebäude, lang und schmal, mit
vielen Rädern und Steinen in einer Reihe aufgesührt
hätte, als so viele kleine einzelne Mühlen, erzählte man
mir einen Versuch, den man nur mit fürf Steinen neben
einander angestellt hatte, und der nicht gelingen konnte,
weil der Arbeiter in der Mitte bei dieser Einrichtung nichts
mehr sah. Die Sandsteine springen auch zuweilen in
der Mitte plötzlich entzwei. Man zeigte mir solche Stü-
cke von einem Stein, der von sich selber unvermuthet zer-
brach. Ueberhaupt ist das Schleifen ein gefährliches
Handwerk für den Arbeiter. Wenn er 30. bis 40. Jahre
alt ist, ist er insgemein blind, kan in das Elend gehn
und betteln. Beim Schleifen kommt alles darauf an,
daß der Arbeiter die Granaten gehörig in Rauten abthei-
le. Er muß es im Kopfe machen, und mit den Augen
abtheilen. Den Anfängern zeigt man es an schon ge-

sprun-

einen Stift von Eiſendrath, etwas dicker gemeiniglich,
als eine ſtarke Strickenadel; auf die auſſen hervorſtehende
Spitze des Eiſens ſteckt er Eine Granate, denn mehrere
zugleich kan er nicht ſchleifen; damit ſie nicht wieder her-
abfalle, druͤckt er die in ihrer gebohrten Hoͤhlung aufge-
ſteckte Granate in einem Stuͤck gelben Leders, das er
neben ſich liegen hat, feſt, legt ſich nun auf ſeinen Stuhl
und ſchleift. Die Sandſteine werden auf der Achſe hie-
her gebracht von Heimbach und Tennenbach in der
Marggrafſchaft Hachberg. Einer kan 24. auch 26.
Gulden koſten, und wenn die Schleiſmuͤhle nicht oft ſtil-
le ſteht, waͤhrt er doch kaum ein Jahr. Man kan nie
mehr als 4. Sandſteine neben einander ſtellen, und mit
einander herum laufen laſſen, well ſonſt ein Arbeiter dem
andern im Lichte ſtuͤnde, und helle muß es bei dieſer Ar-
beit ſeyn. Als ich mich daruͤber wunderte, warum man
nicht lieber einige groſſe Gebaͤude, lang und ſchmal, mit
vielen Raͤdern und Steinen in einer Reihe aufgeſuͤhrt
haͤtte, als ſo viele kleine einzelne Muͤhlen, erzaͤhlte man
mir einen Verſuch, den man nur mit fuͤrf Steinen neben
einander angeſtellt hatte, und der nicht gelingen konnte,
weil der Arbeiter in der Mitte bei dieſer Einrichtung nichts
mehr ſah. Die Sandſteine ſpringen auch zuweilen in
der Mitte ploͤtzlich entzwei. Man zeigte mir ſolche Stuͤ-
cke von einem Stein, der von ſich ſelber unvermuthet zer-
brach. Ueberhaupt iſt das Schleifen ein gefaͤhrliches
Handwerk fuͤr den Arbeiter. Wenn er 30. bis 40. Jahre
alt iſt, iſt er insgemein blind, kan in das Elend gehn
und betteln. Beim Schleifen kommt alles darauf an,
daß der Arbeiter die Granaten gehoͤrig in Rauten abthei-
le. Er muß es im Kopfe machen, und mit den Augen
abtheilen. Den Anfaͤngern zeigt man es an ſchon ge-

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[366/0404] einen Stift von Eiſendrath, etwas dicker gemeiniglich, als eine ſtarke Strickenadel; auf die auſſen hervorſtehende Spitze des Eiſens ſteckt er Eine Granate, denn mehrere zugleich kan er nicht ſchleifen; damit ſie nicht wieder her- abfalle, druͤckt er die in ihrer gebohrten Hoͤhlung aufge- ſteckte Granate in einem Stuͤck gelben Leders, das er neben ſich liegen hat, feſt, legt ſich nun auf ſeinen Stuhl und ſchleift. Die Sandſteine werden auf der Achſe hie- her gebracht von Heimbach und Tennenbach in der Marggrafſchaft Hachberg. Einer kan 24. auch 26. Gulden koſten, und wenn die Schleiſmuͤhle nicht oft ſtil- le ſteht, waͤhrt er doch kaum ein Jahr. Man kan nie mehr als 4. Sandſteine neben einander ſtellen, und mit einander herum laufen laſſen, well ſonſt ein Arbeiter dem andern im Lichte ſtuͤnde, und helle muß es bei dieſer Ar- beit ſeyn. Als ich mich daruͤber wunderte, warum man nicht lieber einige groſſe Gebaͤude, lang und ſchmal, mit vielen Raͤdern und Steinen in einer Reihe aufgeſuͤhrt haͤtte, als ſo viele kleine einzelne Muͤhlen, erzaͤhlte man mir einen Verſuch, den man nur mit fuͤrf Steinen neben einander angeſtellt hatte, und der nicht gelingen konnte, weil der Arbeiter in der Mitte bei dieſer Einrichtung nichts mehr ſah. Die Sandſteine ſpringen auch zuweilen in der Mitte ploͤtzlich entzwei. Man zeigte mir ſolche Stuͤ- cke von einem Stein, der von ſich ſelber unvermuthet zer- brach. Ueberhaupt iſt das Schleifen ein gefaͤhrliches Handwerk fuͤr den Arbeiter. Wenn er 30. bis 40. Jahre alt iſt, iſt er insgemein blind, kan in das Elend gehn und betteln. Beim Schleifen kommt alles darauf an, daß der Arbeiter die Granaten gehoͤrig in Rauten abthei- le. Er muß es im Kopfe machen, und mit den Augen abtheilen. Den Anfaͤngern zeigt man es an ſchon ge- ſprun-

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/404>, abgerufen am 02.05.2024.