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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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etwas, das wir allerdings im jugendlichen Feuer nicht ge-
nug bedachten, das wir nachher beinahe bereueten, das
ich wenigstens jetzt, da ich mit kühlerm Blute daran den-
ke, schwerlich wieder thun würde. Ich hatte Lust, an
der Felsenwand noch höher hinauf zu klettern, und von
oben herab in den stürzenden Strom zu schauen. Das
Häuschen ist durch hölzerne Stangen, die an den Klippen
zur Seite hinauflaufen, an der Wand des Berges befe-
stigt. Der Bediente muste unsre beide Hüte unten hal-
ten, weil sie sonst der oben heftig wehende Wind davon
geführt hätte. Ob er uns nicht auch nehmen würde,
daran dachten wir nicht. Auch fiel's weder mir noch
meinem Freunde ein, wie wir wieder herabkommen wür-
den. Voll Muth und rascher Entschlossenheit kletterten
wir an den schmalen hölzernen Stangen, hart neben dem
Sturz, noch etwa 100. Schuhe höher hinauf, und sahen
nun von oben immer deutlicher in den besonders mächti-
gen ersten Wirbel, und erblickten da, was wir unten nicht
sehen, nur vermuthen konnten, viele Felsenzacken, an
welchen das Wasser schrecklich anprellt, und sich über das
Gewinde von Klippen hinüber arbeiten muß. Ich kan
Ihnen aber wieder nichts bessres sagen, als: Stellen
Sie sich einen wellenwerfenden Ocean von siedender und
schäumender Milch vor. Die Luft wehte hier oben so
stark, und unsre Grundfläche, die wir uns sehr breit vor-
gestellt hatten, war so schmal, daß wir einander beim
Ueberbücken und Hinabsehen abwechseln, und einer den
andern halten muste. Aber als ich hinab sah in die
grosse Szene der Natur, da nahm sie mir alle Sprache.
Ich konnte nicht mehr jauchzen, nicht mehr Jubel und
hohen Jubel rufen, alle Sinnen vergingen, und alle Ge-
danken schwanden. Ganz deutlich weis ich mich noch

der

etwas, das wir allerdings im jugendlichen Feuer nicht ge-
nug bedachten, das wir nachher beinahe bereueten, das
ich wenigſtens jetzt, da ich mit kuͤhlerm Blute daran den-
ke, ſchwerlich wieder thun wuͤrde. Ich hatte Luſt, an
der Felſenwand noch hoͤher hinauf zu klettern, und von
oben herab in den ſtuͤrzenden Strom zu ſchauen. Das
Haͤuschen iſt durch hoͤlzerne Stangen, die an den Klippen
zur Seite hinauflaufen, an der Wand des Berges befe-
ſtigt. Der Bediente muſte unſre beide Huͤte unten hal-
ten, weil ſie ſonſt der oben heftig wehende Wind davon
gefuͤhrt haͤtte. Ob er uns nicht auch nehmen wuͤrde,
daran dachten wir nicht. Auch fiel’s weder mir noch
meinem Freunde ein, wie wir wieder herabkommen wuͤr-
den. Voll Muth und raſcher Entſchloſſenheit kletterten
wir an den ſchmalen hoͤlzernen Stangen, hart neben dem
Sturz, noch etwa 100. Schuhe hoͤher hinauf, und ſahen
nun von oben immer deutlicher in den beſonders maͤchti-
gen erſten Wirbel, und erblickten da, was wir unten nicht
ſehen, nur vermuthen konnten, viele Felſenzacken, an
welchen das Waſſer ſchrecklich anprellt, und ſich uͤber das
Gewinde von Klippen hinuͤber arbeiten muß. Ich kan
Ihnen aber wieder nichts beſſres ſagen, als: Stellen
Sie ſich einen wellenwerfenden Ocean von ſiedender und
ſchaͤumender Milch vor. Die Luft wehte hier oben ſo
ſtark, und unſre Grundflaͤche, die wir uns ſehr breit vor-
geſtellt hatten, war ſo ſchmal, daß wir einander beim
Ueberbuͤcken und Hinabſehen abwechſeln, und einer den
andern halten muſte. Aber als ich hinab ſah in die
groſſe Szene der Natur, da nahm ſie mir alle Sprache.
Ich konnte nicht mehr jauchzen, nicht mehr Jubel und
hohen Jubel rufen, alle Sinnen vergingen, und alle Ge-
danken ſchwanden. Ganz deutlich weis ich mich noch

der
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[294/0332] etwas, das wir allerdings im jugendlichen Feuer nicht ge- nug bedachten, das wir nachher beinahe bereueten, das ich wenigſtens jetzt, da ich mit kuͤhlerm Blute daran den- ke, ſchwerlich wieder thun wuͤrde. Ich hatte Luſt, an der Felſenwand noch hoͤher hinauf zu klettern, und von oben herab in den ſtuͤrzenden Strom zu ſchauen. Das Haͤuschen iſt durch hoͤlzerne Stangen, die an den Klippen zur Seite hinauflaufen, an der Wand des Berges befe- ſtigt. Der Bediente muſte unſre beide Huͤte unten hal- ten, weil ſie ſonſt der oben heftig wehende Wind davon gefuͤhrt haͤtte. Ob er uns nicht auch nehmen wuͤrde, daran dachten wir nicht. Auch fiel’s weder mir noch meinem Freunde ein, wie wir wieder herabkommen wuͤr- den. Voll Muth und raſcher Entſchloſſenheit kletterten wir an den ſchmalen hoͤlzernen Stangen, hart neben dem Sturz, noch etwa 100. Schuhe hoͤher hinauf, und ſahen nun von oben immer deutlicher in den beſonders maͤchti- gen erſten Wirbel, und erblickten da, was wir unten nicht ſehen, nur vermuthen konnten, viele Felſenzacken, an welchen das Waſſer ſchrecklich anprellt, und ſich uͤber das Gewinde von Klippen hinuͤber arbeiten muß. Ich kan Ihnen aber wieder nichts beſſres ſagen, als: Stellen Sie ſich einen wellenwerfenden Ocean von ſiedender und ſchaͤumender Milch vor. Die Luft wehte hier oben ſo ſtark, und unſre Grundflaͤche, die wir uns ſehr breit vor- geſtellt hatten, war ſo ſchmal, daß wir einander beim Ueberbuͤcken und Hinabſehen abwechſeln, und einer den andern halten muſte. Aber als ich hinab ſah in die groſſe Szene der Natur, da nahm ſie mir alle Sprache. Ich konnte nicht mehr jauchzen, nicht mehr Jubel und hohen Jubel rufen, alle Sinnen vergingen, und alle Ge- danken ſchwanden. Ganz deutlich weis ich mich noch der

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/332>, abgerufen am 25.11.2024.